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Krebs – Das Geschäft mit der Angst
Ein Film von Claudia Ruby
die story | 17. August 2016, 22.10 - 22.55 Uhr | WDR
Der Film ist auch verfügbar in der ARD-Mediathek
Drei Patienten einer „Biologischen Krebsklinik“ starben kurz nach einer umstrittenen Behandlung. Gegenüber DAZ.online fordern Gesundheitspolitiker der Union, SPD und Linken nun Gesetzesänderungen. Auch der Patientenschützer Eugen Brysch sieht dringenden Handlungsbedarf für Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe.
Der Fall eines „Krebsheilers“ in Brüggen-Bracht lenkt den Blick wieder auf ein Feld, das oft im Dunklen bleibt. Der Heilpraktiker warb, dass eine nicht geprüfte Substanz besser sei als alle Chemotherapeutika – und behandelte laut einer Information des Kreis Viersen seine später verstorbenen Patienten in einer Notfallsituation mit Vitaminen. Wie andere laufende Gerichtsverfahren und auch Recherchen von Journalisten zeigen, handelt es sich um keinen Einzelfall, sondern um eher um einen besonders dramatischen. Gegenüber DAZ.online fordern Gesundheitspolitiker der Großen Koalition wie auch der Linken nun Änderungen der Heilpraktiker-Gesetzgebung.
Als „unfassbar“ bezeichnet der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Edgar Franke (SPD), die Vorfälle. „Es ist die Frage, ob Heilpraktiker die fachliche Eignung für onkologische Therapien haben“, erklärt er auf Nachfrage. „Wir müssen gewährleisten, dass Scharlatane keine Menschen therapieren dürfen.“ Der Fall könne als Anlass genommen werden, den Rahmen für die Befugnisse von Heilpraktikern neu zu regeln. Das sei Aufgabe des Bundesgesetzgebers, sagt er. „Das Heilpraktikergesetz muss überarbeitet und geschärft werden.“
Auch der stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Rudolf Henke (CDU), denkt über Begrenzungen und Konkretisierungen der Befugnisse von Heilpraktikern nach. Während es früher kaum einen Unterschied machte, ob ein Patient zum Arzt, zum Heilpraktiker oder zur Kräuterfrau ging, sei die Qualität und Bandbreite der ärztlichen Versorgung nun sehr gut ausgebaut. „Schon aus Gründen der Patientensicherheit frage ich mich deshalb, ob man die Heilpraktiker-Erlaubnis so undifferenziert erteilen soll wie bisher“, erklärt das Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer gegenüber DAZ.online. Er ist auch Vorsitzender des Marburger Bundes.
Der CDU-Politiker verweist darauf, dass in der Schweiz nach einem Diskussionsprozess Heilpraktikern manche Kompetenzen zugesprochen, andere verboten wurden. „Ich denke, dass man diese Diskussion führen muss und führen wird“, erklärt Henke. Die Grenze dessen, was für Heilpraktiker erlaubt ist, müsse klarer definiert werden. „Das ist glaube ich der Weg, den man gehen sollte“, erklärt er.
Das Heilpraktiker-Gesetz regele aktuell „nur sehr wenig“, erklärt auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Kathrin Vogler. Insbesondere zur Qualifikation und zur Berufsausübung der Heilpraktiker gäbe es wenig Anforderungen. „Entsprechend viel müssen die Durchführungsverordnungen der Länder regeln“, sagt sie auf Nachfrage. „Eine Revision wäre überfällig.“
Wenn Patienten gefährdet werden, müssten laut Vogler Erlaubnisse zurückgezogen und straf- und zivilrechtliche Verfahren angestrengt werden. „Wenn die Selbstkontrolle versagt, muss staatliche Kontrolle ausgeübt werden“, betont sie. Das wäre auch im Sinne der Heilpraktiker, die ihre berufliche Verantwortung ernst nehmen. „Die Verzweiflung von Krebspatienten, denen die Schulmedizin keine Hoffnung mehr machen darf, darf nicht von Scharlatanen zum Geldverdienen genutzt werden“, erklärt Vogler gegenüber DAZ.online.
Für jede Therapie müssten Belege zu ihrer Sicherheit und Wirksamkeit erbracht werden – auch wenn Patienten die Freiheit haben sollten, wissenschaftlich nicht belegte Therapien auf eigenes Risiko auszuprobieren. „Sonst dürften ja zum Beispiel auch die meisten Heilkräuter nicht mehr als solche verkauft werden“, sagt die Linken-Politikerin. Aber diejenigen, die solche Therapien anbieten und teilweise sogar anpreisen, „müssen wahrheitsgemäß über den wissenschaftlichen Gehalt, das angenommene Wirkprinzip und vor allem über mögliche Risiken aufklären“, verlangt Vogler. „Insbesondere dann, wenn es um schwere und lebensbedrohliche Erkrankungen geht, dürfen Patienten nicht manipuliert und von der Nutzung konventioneller Therapiemöglichkeiten abgehalten werden.“
Auch die Grünen zeigen sich offen, die Regeln zu ändern. „Wir wollen, dass Patientinnen und Patienten gut und sicher versorgt sind“, erklärte die Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche gegenüber DAZ.online. Auch Heilpraktiker hätten ein Interesse daran, dass Scharlatane keine Chance haben. „Es muss gesetzlich sichergestellt sein, dass Ausbildung und Zulassung nach einheitlichen hohen Standards erfolgt“, sagte sie.
Anders als seine Parlamentskollegen sieht
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe auch angesichts der Zwischenfällen,
über die er sich als erschüttert gezeigt hatte, offenbar keinen
Handlungsbedarf. „Aktuell ist keine Änderung geplant“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums DAZ.online am Mittwoch auf Nachfrage. „Die Verabreichung von
Substanzen, die nicht zugelassen sind und sich in einer Grundlagenforschung
befinden, ist nicht vertretbar“, hatte Gröhe betont – doch offenbar wären
Gesetzesänderungen nötig, um dies durchzusetzen.
Sein Ministerium sieht sich im Bereich Heilpraktiker-Wesen als kaum zuständig an. Die laut Heilpraktikergesetz nötige Überprüfung, ob von einem Alternativmediziner eine Gesundheitsgefahr ausgehen würde, und die Erteilung der Erlaubnis „liegen wie auch die Überwachung der Ausübung der beruflichen Tätigkeit als Heilpraktiker in der Verantwortung der Länder“, erklärte eine Sprecherin gegenüber DAZ.online.
Mit dem „Heilpraktikergesetz“ regelten die Nationalsozialisten erstmalig den Bereich der nicht-ärztlichen Medizin – sie wollten eine „Neue Deutsche Heilkunde“ etablieren und im Zuge dessen auch alternative Heilmethoden nutzen und regulieren. Das Gesetz ist mit nur rund 300 Wörtern äußerst kurz gehalten. Nur etwas umfassender ist die „Erste Durchführungsverordnung“ zum Gesetz, die beispielsweise eine Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten zukünftiger Heilpraktiker durch das Gesundheitsamt regelt. Die Erlaubnis wird hiernach nicht erteilt, wenn keine Volksschulbildung nachgewiesen werden kann – oder „die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde“.
Für seine zurückhaltenden Äußerungen erhält Gröhe starke Kritik von Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. „Ich glaube, dass der Gesundheitsminister keine Zaungastfunktion hat, sondern aktiv handeln muss“, sagt Brysch gegenüber DAZ.online. Es sei ein äußerst schwaches Argument, sich darauf zurückzuziehen, dass man verwaltungstechnisch nicht zuständig sei. „Wenn es Gefahr für Leib und Leben gibt, kann ein Gesundheitsminister nicht sagen, das passt nicht zu meiner Verwaltungsstruktur“, betont Brysch.
Seiner Einschätzung nach handele es sich bei der Alternativmedizin um einen Milliardenmarkt, von dem kaum einer wisse, was genau geschieht. Deutschland scheine verschiedenste Therapieansätze aus aller Welt anzuziehen. „Da muss man sich von Seiten der Politik fragen, wie es sein kann, dass wir ein solcher Magnet sind – im Ausland begreift das keiner“, sagt Brysch. Das Heilpraktikergesetz müsse nachgeschärft werden. „Hier ist alles erlaubt, was nicht verboten ist“, erklärt er. In den Niederlanden ginge man einen anderen Weg. „Dort darf nur verabreicht werden, was zuvor zugelassen wurde“, sagt Brysch.
Update: Das Statement der Grünen wurde nachträglich ergänzt.
Krebs – Das Geschäft mit der Angst
Ein Film von Claudia Ruby
die story | 17. August 2016, 22.10 - 22.55 Uhr | WDR
Der Film ist auch verfügbar in der ARD-Mediathek
21 Kommentare
Politik, Heilpraktiker,Ärzte
von Knabe Bärbel am 04.10.2016 um 22:14 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Biologische Krebsmedizin
von Benedde am 20.08.2016 um 23:05 Uhr
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Von wegen gut ausgebaute Qualität der ärztlichen Versorgung
von Dr. Werner Ullrich am 18.08.2016 um 10:42 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 4 Antworten
AW: Wirklich?
von Norbert Aust am 18.08.2016 um 14:25 Uhr
AW: Artikel
von I.Fischer am 18.08.2016 um 14:38 Uhr
AW: ??
von Norbert Aust am 18.08.2016 um 17:01 Uhr
AW: Bitte?
von Udo Endruscheit am 18.08.2016 um 17:07 Uhr
Danke
von Natalie Grams am 18.08.2016 um 8:31 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 5 Antworten
AW: Skeptizismus
von Loengard am 18.08.2016 um 13:32 Uhr
AW: Kalter Kaffee...
von Susanne Aust am 18.08.2016 um 15:13 Uhr
AW: Bullshit
von Loengard am 18.08.2016 um 15:49 Uhr
AW: Nachtrag
von Loengard am 18.08.2016 um 15:51 Uhr
AW: Noch´n Nachtrag
von Loengard am 18.08.2016 um 15:53 Uhr
Falscher Eindruck ...
von Reinhard Herzog am 17.08.2016 um 23:37 Uhr
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AW: Heilpraktiker-Methoden
von Udo Endruscheit am 18.08.2016 um 4:33 Uhr
AW: Heilpraktiker sind genau richtig in dieser Zeit
von Ina Elsner am 18.08.2016 um 8:55 Uhr
AW: Heilpraktiker - weshalb gehen Menschen hin?
von Ellen Baas am 18.08.2016 um 9:48 Uhr
AW: Falscher 'falscher Eindruck'
von Norbert Aust am 18.08.2016 um 10:30 Uhr
Patientenschutz muss endlich durchgesetzt werden!
von Udo Endruscheit am 17.08.2016 um 21:16 Uhr
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Politiker fordern...
von Jens-Wilhelm Salchow am 17.08.2016 um 20:15 Uhr
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