- DAZ.online
- DAZ / AZ
- AZ 51-52/2023
- Der Apotheken-Ökonom: Zu...
Gesundheitspolitik
Der Apotheken-Ökonom: Zu viele offene Fragen – Rückblick auf 2023
Das Jahr 2023 war über viele Monate von der Vergütungsfrage für die apothekerliche Leistung geprägt und gipfelte in den Protestaktionen von Apothekerinnen und Apothekern an unterschiedlichen Standorten. Die Vergütungsfrage ist seit 2004 ein Dauerbrenner, da man mit dem damaligen Start des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) versäumt hatte, mit der Umstellung der Vergütungslogik zumindest so etwas wie eine Anpassungsdynamik für inflationäre Entwicklungen miteinzubauen, wie es z. B. auch bei Indexmieten üblich ist. Dies hätte viele der seitdem teilweise erbittert geführten Grabenkämpfe verhindern können, und der Maßstab für einen Index hätte zum Start für beide Seiten akzeptabel definiert werden können.
Drei exogene Schocks
So aber sind seitdem Apotheker darauf angewiesen, dass sich Gesundheits- und Wirtschaftspolitiker egal welcher Couleur für ihre Sache stark machen oder sich ihrer erbarmen. Lange Zeit hat die fast nicht wahrnehmbare Preissteigerung in Deutschland dazu geführt, dass man stillgehalten hatte, aber drei exogene Schocks in Folge haben nun die Inflation in lange nicht gekannte Höhen getrieben und damit die Kostensteigerungen signifikant werden lassen. Die daraus resultierenden Forderungen der Apothekerschaft sind mehr als nachzuvollziehen, denn Mieten, Gehälter des Personals, Kreditzinsen, Energiepreise usw. sind gestiegen, nicht aber das dafür äquivalente Honorar pro Packung.
Besonders ärgerlich mutet an, dass die regelmäßige Anpassung der Vergütung in 2004 schon auf dem Plan stand, allerdings so wachsweich formuliert, dass sich offensichtlich niemand darauf festnageln lassen wollte. Auch die Apothekerschaft nicht, weil es dann auch eine Anpassung von den damaligen 8,10 Euro nach unten hätte geben können. Nahezu 20 Jahre später kann man konstatieren, dass es bislang nur eine Anpassung gab und zwar rund 10 Jahre nach der Umstellung der Vergütungslogik auf die bis heute geltenden 8,35 Euro als Ausgangsbasis. Die zwischenzeitlich vollzogenen Neuregelungen z. B. des Kassenabschlags, des Nacht- und Notdienstes oder der Vergütung der pharmazeutischen Dienstleistungen spielen zwar in diesem Zusammenhang eine Rolle, dürfen aber keinen Einfluss auf die Grundvergütung der apothekerlichen Leistung nehmen. Als 2017 das 2HM-Gutachten einen deutlich geringeren Basiswert für die Abgabe einer Packung ausgerechnet hatte, sah sich ein Gutteil der Standesvertreter, die in den ersten Jahren nach Einführung des GMG zur Vorsicht mahnten, bestätigt. Seitdem hört man wenig aus Regierungskreisen hinsichtlich des damals in Auftrag gegebenen Gutachtens und muss sich fragen, woher diese Zurückhaltung rührt und ob dies immer noch als Ruhe vor dem Sturm, Desillusionierung ob der gutachterlichen „Stockfehler“ oder Angst vor dem Eingeständnis eines zu hohen Basiswertes anzusehen ist.
Wie kam man auf den Wert?
Am Ende mag es daran liegen, dass auch in 2023 die dazu erforderlichen Präzisierungen – egal von wem – ausgeblieben sind. So müsste doch zuallererst geklärt werden, was man 2004 als Gegenleistung für die 8,10 Euro pro Packung bekommen hat oder anders formuliert, was faktisch alles eingerechnet wurde und damit als abgegolten anzusehen ist. Wie kam man auf diesen Wert und was heißt dies in 2023? Zudem stellt sich die Frage, ob die 0,25-Euro-Erhöhung zehn Jahre später eine reine Inflationsausgleichszahlung war oder eine Anerkennung zwischenzeitlich den Apotheken zusätzlich aufgebürdeter Aufgaben wie das Administrieren von Rabattverträgen und zunehmend ausufernden Dokumentationspflichten. Eine weitere, nicht minder spannende Frage lautet, wie die vielfach laut gewordene Forderung nach nun zwölf Euro pro abgegebener Packung errechnet wurde und ob diese Rechnung für politische Entscheidungsträger nachvollziehbar ist.
Wie definiert sich flächendeckende Versorgung?
Die ABDA, die Verbände und Kammern monieren gegenwärtig, und darauf fußt substanziell deren Argumentation, dass durch die mittlerweile aus ihrer Sicht eindeutig zu geringe Vergütung je Packung Apotheken schließen würden/müssten und infolgedessen die flächendeckende Versorgung gefährdet sei. Wie definiert sich diese „ominöse“ flächendeckende Versorgung und gab es diese jemals? Haben wir sie noch, zeigt sie sich durch die Entwicklung in 2023 besonders gefährdet, oder hatten wir diese Flächendeckung noch nie erreicht? Solange diese eindeutige Definition fehlt und infolgedessen eine valide Datenbasis und eine stringente Argumentation ausbleibt, läuft das Argument der Flächendeckung ins Leere, denn eine nicht eindeutig bestimmte Flächendeckung kann auch nicht eindeutig gefährdet sein. Marktwirtschaftler könnten dagegen halten, dass das seit geraumer Zeit beobachtbare Apothekensterben eine übliche Marktbereinigung auf dynamischen Märkten ist und gegebenenfalls Ausdruck eines bis dato vorherrschenden Überangebots an Apotheken. Gegebenenfalls ergäbe sich auch bei geklärter Definition eine Karte, die zwar ausweist, dass das Land im Durchschnitt noch versorgt ist, auf der aber viele Stellen der Überversorgung auf viele Stellen der Unterversorgung treffen. Wie politisch brisant die Auseinandersetzung mit diesem Thema wäre und weshalb die Argumentation der Standesvertretung unter Umständen das Problem verschärft, ergibt sich durch die als logische Konsequenz resultierende Gefährdung der Niederlassungsfreiheit, denn der mit Vergütungsanpassungen konfrontierte Gesetzgeber sähe sich dann in einer sozialen Marktwirtschaft gezwungen, marktregulierend einzugreifen und entsprechende Regeln zu treffen.
Das nächste Dilemma der Apothekerschaft wurde ebenfalls in 2023 gegenwärtig. Ein Streik im herkömmlichen Sinne, um auf die schwierige Situation hinzuweisen, schloss sich aus, denn dann wären die beteiligten Apotheker als selbstständige Kaufleute und Heilberufler in die groteske Situation gekommen, als Unternehmer typische Instrumente der Arbeitnehmerschaft zur Durchsetzung ihrer Forderungen für sich zu reklamieren. Zudem ist dann die Versorgung der Bevölkerung erst recht gefährdet, und es entstehen im Zweifel teure Einbußen bei an diesen Tagen ausbleibenden Erlösen. Also beschränkte man nachvollziehbar die Aktionen auf vermeintlich öffentlichkeitswirksame Protesttage, die aber vergleichsweise schnell in ihrer Wirkung verpuffen.
Und diese Situation entsteht ausgerechnet in einem Haushaltsjahr, in dem die Ampelkoalitionäre eine wenig glückliche Hand hinsichtlich Ausgabenmanagement und einem verfassungskonformen Haushalt zeigen. Eine Koalition, die 60 Milliarden Euro Manövriermasse verloren hat, wird sich nicht an anderer Stelle über eine auf Jahre hin verbindliche Zusage einer Erhöhung des Fixums für das Packungshonorar in nennenswerter Höhe festlegen lassen, schon gar nicht, wenn es nicht unbedingt sein muss.
Zur gleichen Zeit werden die zur Verfügung und zäh ausgehandelten finanziellen Mittel für das Anbieten vordefinierter pharmazeutischer Dienstleistungen eher zurückhaltend von den Apotheken angeboten, von den Kunden kaum angenommen und die dafür vorgesehenen Honorare entsprechend schwach abgerufen. Die dafür vorhandenen Gründe sind nachvollziehbar, runden das Gesamtbild aber drastisch ab.
Dilemma ohne Lösungen
Weder Wirtschaftsminister Habeck noch Gesundheitsminister Lauterbach signalisierten 2023 Lösungen für das Dilemma, die den Apothekern schmecken könnten. Im Gegenteil, Lauterbach kokettiert mit einer Apotheke light, die die Hürden für Öffnungen oder Aufrechterhaltungen von Apothekenstandorten in strukturschwachen Gebieten befeuern sollen, und kontert damit den Forderungen nach Flächendeckung.
So muss zum Jahresende 2023 die Kernfrage der Vergütungsanpassung als festgefahren bezeichnet werden und kann nur gelöst werden, wenn die hier skizzierten und noch erweiterbaren offenen Fragen seitens der Standesvertretung valide und reliabel beantwortet und belegt werden. Erfolgt dies nicht, hat immer der Recht, der am längeren Hebel sitzt. Noch nie wurde diese Rollenverteilung deutlicher als in 2023. |
In eigener Sache
Da die AZ in ein Online-Format wechselt, in welche die Kolumne des Apothekenökonoms von ihrer Art nicht hineinpasst, haben sich Verlag, Redaktion und Autor entschieden, die Kolumne mit der Ihnen vorliegenden Folge auslaufen zu lassen. Der erste Beitrag dazu erschien im November 2010 bis hin zu dieser Folge „Zu viele offene Fragen“ und stellt insgesamt die 237. und letzte Ausgabe dar. Auf Bewährtes folgt Neues, in welcher Form und zu welchen Themen, wird sich weisen.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.