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- AZ 11/2023
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Management
Das ist ja unerhört!
Über den Umgang mit unverschämten Kunden
Was als unhöflich empfunden wird, ist sehr individuell und unterliegt kulturellen Einflüssen. Trotzdem sollten Gefühle von Abwertung, Zurückweisung, Beschämung oder Ignoranz ernst genommen werden, da diese im Erleben mit körperlichem Schmerz gleichgesetzt werden können.
In gleicher Manier zurückzuschießen, ist selbstverständlich nicht die eleganteste Lösung. Ganz unabhängig davon, ob wir uns trauen oder nicht. In solchen Situationen (oder im Nachhinein) wägen wir den Nutzen und die Risiken eines Konters ab. Würde die Situation eskalieren? Schreibt der Kunde später eine schlechte Google-Bewertung? Wie würde die Führungskraft reagieren? Besonders bei guten Bekannten des Chefs möchte man sich nicht in die Nesseln setzen und damit zur Zielscheibe werden.
Im Vergleich machen wir uns viel weniger Gedanken darüber, welche Konsequenzen unser Schweigen hat. Wer häufig den Weg des Schweigens wählt, sollte sich die Frage stellen, ob er auch geschwiegen hätte, wäre es ein Schlag ins Gesicht gewesen. Schweigen kann interpretiert werden als „Es ist in Ordnung, wenn du mich so behandelst“ und unterstützt eine negative Eigendynamik.
Falscher Fuß oder Laus auf der Leber?
Wenn ein Kunde einen unpassenden Kommentar von sich gibt und der Treffer sitzt, ist die Erste-Hilfe-Maßnahme der Wahl: tief durchatmen. Klingt abgedroschen. Hilft aber. Eine Alternative ist der Gedanke an Leitsätze, die einem helfen, gelassen zu bleiben. „Na, dem scheint eine Laus über die Leber gelaufen zu sein“ ist ein Klassiker und es lässt sich noch Schöneres finden. Tatsächlich ist es dienlich, kurz innezuhalten und abzuwägen, ob der andere einfach nur einen schlechten Tag oder er einen auf dem falschen Fuß erwischt hat. Der Effekt ist, dass man sich weniger persönlich angegriffen fühlt, was freier und handlungsfähiger macht. Vielleicht sind Sie dank Ihres Einfühlungsvermögens sogar in der Lage, den anderen und sein Anliegen zu verstehen und das zum Ausdruck zu bringen.
Regeln im Umgang mit unhöflichem Verhalten
Eventuell gibt es im Unternehmen bereits Regeln oder Präventionsmaßnahmen für den Umgang mit übergriffigem Kundenverhalten. In den allermeisten Fällen werden diese nicht verschriftlicht sein, aber es lohnt sich, vor allem als Neuzugang, danach zu fragen. In einigen Apotheken ist es üblich, dass bei aggressiv auftretenden Kunden eine weitere Person dazukommt. Der Mitarbeiter hat dann mentale Unterstützung und einen Zeugen. Andere Regelungen können sein, dass der Kollege das Gespräch übernimmt oder sofort die Leitung verständigt wird.
Ein weiteres Beispiel ist die Bandansage im Notdienst. Je nach Lage der Apotheke kann es vermehrt zu unpassenden Kommentaren seitens der Kunden kommen, wenn Kolleginnen im Notdienst Telefonate annehmen. Eine Ansage auf dem Anrufbeantworter, dass die Apotheke notdienstbereit ist und der Anrufer nach der Ansage an einen Apotheker (m) weitergeleitet wird, kann die Vorfälle reduzieren.
Eine Aussage stehen lassen
Auch wenn Schweigen nicht immer Gold ist, kann es weise sein, einige Aussagen einfach stehen zu lassen. Nicht alle Nebensätze verdienen Aufmerksamkeit. Bei Kunden mit Erkrankungen wie Demenz gehört das zum professionellen Umgang mit der Krankheit. Der entscheidende Punkt ist, dass das Schweigen zur Strategie wird, die jederzeit geändert werden kann, und nicht einer Schockstarre gleichkommt, über die man sich später ärgert.
Der richtige Ton und das passende Timing
Bei einer Parade auf einen verbalen Angriff geht es um das WIE. Der richtige Ton und das passende Timing tragen zur Lösung bei. Beides lässt sich nur nutzen, wenn man wieder bei sich ist. Also: Erst mal runterkommen. Die eigene Sicherheit und das persönliche Wohlergehen haben immer Priorität.
Für wiederkehrende Gesprächssituationen lassen sich Standardvorgehensweisen austesten bis hin zur Perfektion. Wo es uns im Affekt die Sprache verschlägt, haben wir hier die Möglichkeit, Antworten vorzubereiten. Das kann ein einfacher Ausruf wie „Autsch!“ sein oder ein „Vermutlich war es nicht Ihre Absicht, aber der hat gesessen“. Das verschafft Ihnen Zeit zum Nachdenken und gibt dem Gegenüber die Chance, das Gesagte richtigzustellen.
Ich, Sie, Es, Du
Viele Kommentare waren im Ursprung nicht als Angriff gedacht, sondern kommen lediglich unglücklich rüber. Wenn Sie das Gegenüber darauf ansprechen möchten, wählen Sie am besten eine Ich-Botschaft. Das schildert, wie das Verhalten bei Ihnen angekommen ist, und lädt zum Perspektivwechsel ein. Ein Beispiel ist: „Ich erlebe Ihre Bemerkung als abwertend.“
Wenn eine Äußerung nicht ganz eindeutig war, kann gut mit einer Rückfrage reagiert werden: „Wie meinen Sie das genau?“ Eine weitere Finesse ist, den Kunden um eine Wiederholung seiner Aussage zu bitten. Mit einer zweiten moderateren Fassung lässt sich meist viel besser arbeiten.
Möglich ist zudem, seine eigene Wahrnehmung in einer Ich-Botschaft zu beschreiben. Betritt ein sehr wütender Kunde die Apotheke, wirkt es deeskalierend, wenn er sich gesehen fühlt. „Ich sehe, Sie sind sehr wütend.“ Sie erkennen damit lediglich die Emotion des anderen an, stimmen jedoch nicht dem Fehlverhalten zu. Meist verrät der Kunde im nächsten Atemzug, was genau passiert ist, und die Suche nach einer konstruktiven Lösung kann beginnen.
Mit Es-Botschaften können Grenzen klar gesetzt werden. „Es reicht“ sozusagen.
Ein Du oder Sie in der Ansprache mit einer Interpretation oder Zuweisung wie „Du bist einfach ein respektloser Mensch“ kann als schroffe Retourkutsche gewertet werden und ist deswegen mit Vorsicht zu genießen.
Immer eine neue Chance
Eine gute und eine schlechte Nachricht: Schlimme Kunden bleiben uns meistens erhalten. Das bedeutet zwar, dass das Spiel immer wieder von vorne losgeht, aber es bietet sich auch immer wieder eine neue Chance. Kollegen, die schon lange in der Apotheke arbeiten, berichten davon, wie echte Angstkunden nach ein paar Besuchen zu den treuesten und liebsten Seelen geworden sind. Es braucht etwas Beharrlichkeit und guten Willen, aber es funktioniert.
Eine kleine Anekdote zum Schluss
Es gibt Szenen im Leben, die man nicht nur niemals vergisst, sondern von denen auch nicht oft genug berichtet werden kann. Als Abiturientin hatte ich einen Schülerjob als Servicekraft in einem Restaurant mit gehobener Kundschaft. Ich war gut eingearbeitet und dort schon längere Zeit beschäftigt. An einem Tag bediente ich ein Pärchen, dem man es nicht recht machen konnte. Was genau für Äußerungen fielen, weiß ich gar nicht mehr, aber sie waren laut und abfällig. Ich empfand es gar nicht so schlimm. Ich habe mich nicht beschwert, mein Bestes gegeben und mich sozusagen durch diese besondere Begegnung larviert. Der Inhaber bewertete die Situation jedoch anders und präsentierte dem Pärchen noch zum Hauptgang die Rechnung mit der deutlichen Bitte, zeitnah das Haus zu verlassen. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Der Kommentar des Inhabers zu mir war recht kurz und nüchtern: „So brauchen Sie sich nicht behandeln zu lassen. Und wo kämen wir denn da hin, wenn ich zulassen würde, dass die Gäste so mit meinem Personal umgehen.“
Für mich war psychologische Sicherheit im Unternehmen spürbar, noch bevor ich wusste, dass es so etwas gibt. Es war ein deutliches Statement für die Unternehmenskultur und dafür, wie eine gute Führungskraft Verantwortung übernimmt. |
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