Gesundheitspolitik

Erfolglos angeschwärzt

Arzt wollte Regress zu Retax-Fall machen

ks | Ein Hausarzt, der einem männlichen Patienten ohne klare Diagnose ein teures Brustkrebsarzneimittel verordnet hat, wurde dafür von einer Krankenkasse in Regress genommen. Sein Versuch, der Apotheke eine Pflichtverletzung bei der Arzneimittelabgabe in die Schuhe zu schieben, misslang. Das Sozialgericht Hannover hielt den Regress für berechtigt. (SG Hannover, Urteil vom 14. September 2022, Az.: S 20 KA 56/20)

Retaxationen gehören zum müh­samen und unerfreulichen Alltag vieler Apotheken. Das Gegenstück auf ärztlicher Seite sind die Regresse. Hier wie dort spüren die Krankenkassen möglichen Fehlern bei der Arzneimittelabgabe bzw. -verordnung nach.

Das Sozialgericht Hannover hatte sich nun mit einem Fall zu befassen, der für beide Berufsgruppen bemerkenswert ist. Im Zentrum des jetzt veröffentlichten Urteils steht ein Allgemeinmediziner, der einem seiner Patienten im Jahr 2017 viermal das Arzneimittel Ibrance® verordnete. Kostenpunkt für die Kasse: 20.470,08 Euro.

Die Krankenkasse wurde jedoch stutzig: Ibrance® (Wirkstoff: Palbociclib) ist ein hochpreisiges Arzneimittel gegen Brustkrebs, das vorrangig von erfahrenen Gynäkologen, Onkologen und Fachkliniken verordnet wird. Der Arzt erklärte dazu, dass sich der Patient mit der Behauptung vor­gestellt habe, er habe männlichen Brustkrebs und würde einen entsprechenden Arztbericht nachreichen. Dies geschah allerdings nie. Obwohl der Patient langjährig in der Behandlung des Hausarztes stand, fand sich keine passende Krebsdiagnose im Versicherungsverlauf. Lediglich im Zusammenhang mit den Ibrance®-Verordnungen habe der Arzt „C50.9 Bösartige Neubildung: Brustdrüse nicht näher bezeichnet“ angegeben. Die in den Fachinformationen empfohlene Blutbildkontrolle rechnete er jedoch nicht ab. Der Vorwurf der Kasse: Der Arzt habe die Verordnungen ausgestellt, ohne sich zuvor vom Krankheitszustand überzeugt zu haben. Sie beantragte daher die Festsetzung eines Regresses in Höhe von 20.470,08 Euro wegen „eines sonstigen Schadens“.

Arzt beruft sich auf Vertrauensverhältnis

Im weiteren Verfahren rechtfertigte sich der Arzt. Es bestehe ein besonderes Vertrauensverhältnis zu besagtem Patienten und es habe keinen Anlass gegeben, an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Als dieser sagte, die Diagnose Brustkrebs durch einen Facharzt für Onkologie sowie die Therapieempfehlung Ibrance® erhalten zu haben, kam dies dem Allgemeinmediziner offensichtlich nicht komisch vor. Der Patient habe erklärt, dass die Verordnung wegen eines bevorstehenden Urlaubs des Onkologen durch den Hausarzt erfolgen solle. Der Arzt gab zudem an, er habe den Patienten auch körperlich untersucht und beim Abtasten der Brust eine deutliche Verhärtung festgestellt.

Arzt: Apotheke hätte Verordnung hinterfragen müssen

Letztlich, so der Arzt weiter, liege hier aber eine Pflichtverletzung der abgebenden Apotheke vor. Diese hätte aus seiner Sicht retaxiert werden müssen. Denn nach § 17 Abs. 5 Satz 2 Apothekenbetriebsordnung sei eine Abgabe ausgeschlossen, wenn sich aus der Verordnung „sonstige Bedenken“ ergäben. Solche Bedenken hätte die abgebende Apotheke hier haben müssen, da ein onkologisches Spezialmittel von einem Hausarzt verordnet wurde, es sich um die Behandlung von Brustkrebs bei einem Mann handelte und der Gemeinsame Bundesausschuss überdies einen Zusatznutzen des Arzneimittels verneint habe. Die Apotheke hätte daher Rücksprache halten müssen, so der Arzt.

Was hätte das gebracht?

Die Krankenkasse hielt diese Ausführungen zu einer Haftung der Apotheke für nicht nachvollziehbar. Selbst wenn von dort eine Nachfrage erfolgt wäre, hätte der Arzt die Auskunft gegeben, dass die Verordnung so für den Patienten ausgestellt worden wäre.

Letztlich landete der Fall also vor dem Sozialgericht. Und dieses hält den Regress für rechtmäßig. Zwar folgte das Gericht nicht der von der Kasse geltend gemachten Anspruchsgrundlage – im Ergebnis gab es ihr aber recht: Die Verordnung eines (objektiv) nicht indizierten Arzneimittels könne als Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot die Festsetzung eines Ver­ordnungsregresses rechtfertigen.

Und dass das Arzneimittel vorliegend nicht indiziert war, daran zweifeln die Richter nicht. Maßgeblich für die Beurteilung eines indikationsgerechten Arzneimitteleinsatzes sei nicht die subjektive Vorstellung des Arztes, der die Arzneimittelverordnung ausstellt, heißt es im Urteil. Entscheidend sei vielmehr, ob für die beanstandete Verordnung zum Ausstellungszeitpunkt eine Leistungspflicht der Krankenkasse bzw. ein Versorgungsanspruch des Versicherten bestand – es geht also um die tatsächliche Diagnose. Bei einer unvollständigen oder offensichtlich fernliegenden Diagnose wie hier sei das nicht der Fall. Das bloße Abtasten der Brust stelle keine belastbare Grundlage für die gestellte Krebsdiagnose dar.

Keine Hypothesen

Auf ein mögliches Fehlverhalten der Apotheke oder eine möglicherweise bestehende Betrugsabsicht des Versicherten könne sich der Arzt ebenfalls nicht berufen. „Im Vertragsarztrecht ist danach kein Raum, einen Verstoß gegen Gebote und Verbote, die nicht bloße Ordnungsvorschriften betreffen, durch Berücksichtigung eines hypothetischen alternativen Geschehens­ablaufs als unbeachtlich anzusehen; denn damit würde das vertragsarztrechtliche Ordnungssystem relativiert“, zitieren die Richter dazu das Bundessozialgericht. |

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