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Praxis

Mit Vorratshaltung gegen Lieferengpässe

Ist der Wochenbedarf nach den Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung noch zeitgemäß?

„Nicht lieferbar“ in Deutschland! 150 bis 200 gängige Arzneimittel nicht erhältlich – die mehrmals tägliche Abfrage beim Großhandel gleicht einem Lotteriespiel. Jubelschreie in der Apotheke inbegriffen, wenn ein Teammitglied ein Präparat doch noch ergattern kann. Immer wieder stellt sich die Frage, ob diese Lieferengpässe auch die Versorgungssicherheit gefährden und inwiefern die Apotheken durch vorausschauende Vorratshaltung dem entgegenwirken können. In der Apothekenbetriebsordnung existiert die Vorgabe, dass es in den Apotheken einen Wochenbedarf an Arzneimitteln geben muss. Doch ist diese Regel noch zeitgemäß und vor allem in der aktuellen Situation zielführend? | Von Christian Bauer

Den öffentlichen Apotheken ist nach § 1 Apothekengesetz (ApoG) die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten übertragen worden – und nicht dem Versandhandel, den Plattformen oder den Kurierdiensten! Dieser § 1 ApoG ist im Prinzip unsere Existenzberechtigung. Damit erfüllt die ­öffentliche Apotheke vor Ort Gemeinwohlpflichten des ­Staates. Diese Übertragung beinhaltet sowohl Rechte (z. B. die noch zum Teil bestehende Arzneimittelpreisbindung oder die Apothekenpflicht) als auch Pflichten (z. B. Kontra­hierungszwang, Notdienst, Beratung, Vorschriften für den ­Apothekenbetrieb). Und eine weitere Pflicht ist eine aus­reichende Vorratshaltung in der Apotheke. Nach § 15 Abs. 1 Apothekenbetriebs­ordnung (ApBetrO) hat die Apothekenleitung sicherzustellen, dass Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte in einer Menge vorrätig sind, die dem durchschnittlichen ­Bedarf für eine Woche entsprechen. Es ist also nicht zulässig, nur ein extrem kleines Warenlager in der Apotheke zu besitzen und dann erst bei Kundennachfrage zu bestellen. Dies entspräche nicht dem Versorgungsauftrag.

Was ist nun der Wochenbedarf?

In der „alten“ ApBetrO von 1995 gab es eine Anlage 2 zu § 15 Abs. 1 Satz 1, die 23 Arzneimittelgruppen aufführte, die vorrätig zu halten waren (von A wie Analgetika bis V wie Vaginaltherapeutika). In der derzeit geltenden ApBetrO von 2012 wurde diese ­Anlage gestrichen und nur absolut wichtige Arzneimittelgruppen aufgeführt im Rahmen des sogenannten „Notfall­depots“.

Damit verfolgt die derzeitige ApBetrO die Förderung der Eigenverantwortlichkeit der Apotheken­leitung. Ein rigides Listenprinzip ist nicht mit dem Selbstverständnis eines freien Heilberufes vereinbar und würde den individuellen Bedürfnissen vor Ort nicht genügen. Die Verantwortung für die ­Sicherstellung eines Wochenbedarfs an Arznei­mitteln und Medizinprodukten und damit der ­ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der ­Bevölkerung ist also in die Hände jeder einzelnen Apothekenleitung gelegt.

Und es muss an dieser Stelle betont werden, dass die öffentlichen Apotheken und das darin beschäftigte Personal diese Aufgabe sehr ernst nehmen und ihrer Verpflichtung trotz aller Widrigkeiten und Hindernisse ausgezeichnet nachkommen!

Wenn eine Patientin oder ein Patient mit einem ­Rezept die öffentliche Apotheke aufsucht, möchte sie bzw. er in der Regel das verordnete Arzneimittel sofort erhalten, und das nicht nur bei dringenden Arzneimitteln wie z. B. Antibiotika oder starken Schmerzmitteln. Die Apotheken meistern diese ­hohen Anforderungen an die Vorratshaltung ­mithilfe modernster EDV- und Lagertechnik. Eine Lieferfähigkeit von über 90 Prozent ist in den Apotheken keine Seltenheit – trotz ständig wechselnder Rabattverträge oder Lieferdefekte.

Die „alte“ Anlage 2 der ApBetrO

1. Analgetika/Betäubungsmittel

2. Antiarrhythmika

3. Antibiotika/Chemotherapeutika

4. Antidiabetika

5. Antiemetika

6. Antihistaminika

7. Antihypertonika

8. Antihypotonika

9. Antikoagulantien

10. Antipyretika

11. Antitussiva/Expektorantia

12. Beta-Rezeptorenblocker

13. Bronchospasmolytika/Antiasthmatika

14. Kortikoide

15. Desinfizientien

16. Diuretika

17. Hämostyptika

18. Kardiaka

19. Koronarmittel

20. Magen-Darmtherapeutika

21. Ophthalmika/Glaukommittel

22. Rhinologika

23. Vaginaltherapeutika

Anmerkung: Seit 2012 ist die Anlage 2 und damit diese Auflistung gestrichen.

Zur praktischen Umsetzung

Der durchschnittliche Wochenbedarf an Arznei­mitteln und Medizinprodukten ist von Apotheke zu Apotheke verschieden, abhängig von den örtlichen Gegebenheiten, der Lage oder der aktuellen Jahreszeit. So wird eine Apotheke mit benachbarter ­Augenarztpraxis sicherlich wesentlich mehr ophthalmologische Präparate vorrätig halten als eine Apotheke, bei der die nächste Augenarztpraxis weit entfernt ist. Das entscheidende Kriterium ist also die Lieferfähigkeit bzw. eine niedrige Defektquote. Ein ständig überquellendes Nachlieferungsregal sollte Anlass zum Handeln geben (das überprüft die Apothekenrevision). Jede Apotheke in Deutschland sollte ihren Versorgungsauftrag (auch für den Katastrophenfall) sehr ernst nehmen und eine möglichst niedrige Defektquote anstreben, z. B. durch:

  • sofortige Belieferung einer Akutmedikation. Die akute Versorgung (auch die nahtlose Weiterführung der Dauertherapie) hat Vorrang vor einem eventuellen Rabattvertrag – dafür existiert das Sonderkennzeichen „Akutversorgung“. Es ist nicht mit einer ordnungsge­mäßen und heilberuflich verantwortlichen Arzneimittelversorgung vereinbar, wenn z. B. ein dringend benötigtes Antibiotikum, ein Glucocorticoid oder ein starkes Schmerzmittel nicht abgegeben wird, obwohl mehrere vergleichbare Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff an Lager sind.
  • Verwendung des Sonderkennzeichens „Nichtlieferbarkeit“ bei Lieferdefekten, sofortiges Ausweichen auf ein vergleichbares Arzneimittel eines anderen Herstellers – natürlich mit der Information und Beratung des Patienten.
  • ggf. Teilung einer höheren Dosis, wenn die verordnete Dosis nicht zur Verfügung steht.
  • extensive Nutzung der Freiheiten, die derzeit mit den coronabedingten Sonderregeln vorhanden sind. Von der Politik ist zu fordern, dass diese Regelungen für die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung dauerhaft gesetzlich verankert werden.
  • permanente Beobachtung der nicht lieferbaren Arznei­mittel. Sollte sich eine Nichtlieferbarkeit eines Arznei­mittels abzeichnen, kann vielleicht rechtzeitig auf einen noch lieferfähigen anderen Hersteller ausgewichen und sich ausreichend bevorratet werden. Hier ist die Vergleichssuche der Warenwirtschaftssysteme sehr hilfreich.
  • ausreichende Bevorratung für den Nachtdienst oder für den Notdienst an Sonn- und Feiertagen mit den voraussichtlich benötigten Arzneimitteln. Ein Hinweis auf ein großes Warenlager in der Hauptapotheke ist nicht mit dieser Pflicht vereinbar. Hat ein am Ort ansässiger Facharzt (z. B. Kinderarzt) mit einem größeren Einzugsgebiet Dienst, dann ist z. B. der Bestand an Antibiotikasäften zu erhöhen. Sind die Telefonnummern der umliegenden dienstbereiten Apotheken griffbereit (um sich aushelfen zu können)? Ist die Notfallnummer des Großhandels vorhanden, damit sich die Apotheke auch am Sonntag ein dringend benötigtes Arzneimittel besorgen kann?

All diese Maßnahmen erfordern natürlich einen großen Aufwand in der Apotheke. Es wäre zu wünschen, dass dieser tägliche Aufwand und Einsatz für die Arzneimittel-­Versorgung der Bevölkerung von der Politik auch gewürdigt und honoriert wird.

Benötigen wir einen Wochenbedarf nach den Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung?

Ja, die Regelung ist sehr zeitgemäß, sie ist sogar elementar wichtig, weil sie einen wesentlichen Baustein des Versorgungsauftrages der öffentlichen Apotheken darstellt. Jede Apotheke muss und wird die Forderung des Vorrätighaltens eines Wochenbedarfs an Arzneimitteln und Medizin­produkten sehr ernst nehmen und dazu die Möglichkeiten der Warenwirtschaftssysteme nutzen.

Der Gesetzgeber ist aufzufordern, die bestehenden Sonderregelungen zur Arzneimittelabgabe dauerhaft gesetzlich zu verankern und allen Hindernissen einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung durch die öffentliche Apotheke (z. B. Kontingentierung der Pharmaindustrie, Retax-Risiken durch die Krankenkassen) eine deutliche Absage zu erteilen. Die öffentlichen Apotheken leisten Hervorragendes und das sollen sie auch in Zukunft tun können. |

Autor

Pharmazierat Christian Bauer, Inhaber der Löwen-Apotheke Burglengenfeld

 

 

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