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Aus den Ländern
Apotheken besser in neue Primärversorgungseinrichtungen einbinden
DGSMP-Workshop diskutierte interdisziplinäre Zusammenarbeit
Ein wesentliches Ziel von Public Health ist es, die gesundheitlichen Ungleichheiten in der Gesellschaft abzubauen. Seit Langem ist bekannt, dass sozial Benachteiligte eine größere Krankheitslast tragen: Sie leben unter schwierigen Arbeits- und Umweltbedingungen und verfügen über weniger Ressourcen, um Krankheiten zu bewältigen, ihre Gesundheit zu schützen oder zu fördern. Community Health nimmt den Bedarf vielfältiger Bevölkerungsgruppen in den Blick, um soziale Ungleichheit in Bezug auf Gesundheit und Krankheit zu verringern, wie Jennifer Becker, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Department of Community Health in der Hochschule für Gesundheit (Bochum) ausführte. Dabei wird Diversitätssensibilität groß geschrieben, um die jeweils besonderen Bedürfnisse sowie Ressourcen einzelner Communities zu erfassen und gemeinsam mit den Betroffenen Wege zu finden, (gesundheitliche) Belastungen abzubauen und Gesundheit zu fördern.
Neue Primärversorgungseinrichtungen, wie Gesundheitskioske in Hamburg, Aachen, Essen und vergleichbar unter der Bezeichnung „Kümmerei“ in Köln mit sozialen und gesundheitlichen Unterstützungs- und Lotsenfunktionen ermöglichen neue Möglichkeiten des Zugangs zu unterschiedlichen Communities in sozial benachteiligten Stadtteilen oder Quartieren, so die Gesundheitswissenschaftlerin. Darüber hinaus bieten Polikliniken ein zusätzliches primärmedizinisches, also hausärztliches Angebot, derzeit allerdings nur in Hamburg und Berlin sowie etwas abgewandelt in von der Robert-Bosch-Stiftung geförderten „Patientenorientierten Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung“ (PORT-Zentren). Weitere Primärversorgungseinrichtungen werden in Baden-Württemberg und Hamburg geplant, und auch die schwarz-grüne Koalitionsvereinbarung in NRW will „gemeinwohlorientierte, multiprofessionelle Gesundheitszentren als Modellprojekte“ fördern. Ende August kündigte zudem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an, 1000 Gesundheitskioske in Deutschland auf den Weg zu bringen.
Apotheken und das Thema Arzneimittel sind bislang so gut wie kein Thema in diesen neuen Primärversorgungseinrichtungen. Es überwiegen soziale und sozialrechtliche Fragen, um den Nutzern der Einrichtungen den besten Zugang zu Angeboten des Gesundheits- und Sozialwesens zu ermöglichen. Dass Arzneimittel durchaus bei den Nachfragenden der Gesundheitskioske eine Rolle spielen, zeigen Beispiele aus anderen Ländern wie Finnland, woher das Konzept des Gesundheitskiosks kommt. Aber auch vergleichbare Einrichtungen, wie Community Health Centers in Kanada haben Arzneimittel im Fokus. Was Apotheken in der Bundesrepublik konkret zum Auftrag der neuen Primärversorgungseinrichtungen beitragen können, erläuterten Apothekerin Sabine Haul aus der Elefanten-Apotheke (Hamburg) sowie Apothekerin Elisabeth Schuster aus Berlin. Beide engagieren sich in den neuen Primärversorgungseinrichtungen und erfahren, welche Probleme in solchen Einrichtungen angesprochen werden. Beide konnten im Workshop darauf verweisen, dass auch Apotheken als niedrigschwellige Einrichtungen mit hohem Vertrauen in der örtlichen Bevölkerung wichtige Knotenpunkte im Netzwerk der Primärversorgung sein können.
Apotheken haben Kontakt mit allen Bevölkerungsgruppen, sie können wichtige Informationen in die Bevölkerung tragen und gezielt bestimmte Communities ansprechen, so die Hamburger Apothekerin. Gleichzeitig können sie als Sensor für Probleme im Quartier wichtige Informationen in das lokale Public-Health-Netzwerk einbringen. Nicht zuletzt können Apothekerinnen und Apotheker bei älteren, multimorbiden Patientinnen und Patienten aufgrund ihrer Kenntnisse im Bereich Medikationsmanagement den Erfolg und die Sicherheit der Arzneimitteltherapien wesentlich beeinflussen. Apotheken und ihr Personal könnten also als natürliche Partner im Netzwerk der Primärversorgungseinrichtungen betrachtet werden, was bislang allerdings von beiden Seiten zu selten im Fokus steht. Daria Bula, wissenschaftliche Mitarbeiterin der AG Versorgungsforschung und Pflegewissenschaft der Universität Bielefeld, diskutierte die Frage, welche Chancen sich für eine von der Public-Health-Wissenschaft als optimal angesehene multidisziplinäre Zusammenarbeit in solchen neuen Primärversorgungsansätzen ergeben. Ziel der von ihr vorgestellten Studie war es, fördernde und hemmende Bedingungen für die Etablierung integrierter Primärversorgungskonzepte aus Sicht von Schlüsselpersonen im Gesundheitswesen zu analysieren. Im Ergebnis waren die Befragten zunächst zurückhaltend gegenüber raschen Veränderungen, ein kleiner Teil zeigte sogar eine skeptische oder gar ablehnende Haltung gegenüber dem Aufbau neuer Organisationsformen der Primärversorgung und einer anderen Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsprofessionen. Dennoch begriff die Mehrheit der Befragten eine engere Zusammenarbeit als Chance und erhoffte sich zunehmende Kooperations- und Handlungsbereitschaft von den jeweils anderen in der Grundversorgung praktizierenden Professionen.
Einig waren sich die Diskutanten in dem Workshop, dass Apotheken und Arzneimittel beim Aufbau neuer Primärversorgungseinrichtungen mitgedacht werden müssen; denn die Nähe von Apotheken zur Bevölkerung und die Allgegenwärtigkeit von Arzneimitteln, gerade bei älteren, multimorbiden Menschen, ermöglichen niedrigschwellige Zugänge zu den Betroffenen und eine bessere Einbindung bislang nicht ausreichend genutzter pharmazeutischer Kompetenzen im Gesundheitswesen. Die noch zum Teil bestehenden Vorbehalte gegen Veränderungen im Gesundheitswesen, gegen einen Ausbau interdisziplinärer Primärversorgung und für mehr Prävention und Gesundheitsförderung müssten Stück für Stück überwunden werden. Vonseiten der Apothekerschaft, aber auch vonseiten der Public-Health-Wissenschaft sollten Schritte aufeinander zugegangen werden, um die in den Apotheken schlummernden Möglichkeiten mehr und effektiver in der Primärversorgung zu nutzen. |
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