Arzneimittel und Therapie

Entwicklungsstörungen durch Antiepileptika

Einnahme in der Schwangerschaft kann Risiken für das Kind bergen

Mithilfe nordischer Registerdaten wurden die Folgen einer Einnahme von Antiepileptika in der Schwangerschaft erneut unter die Lupe genommen. Dabei wurde das Auftreten von neurologischen Entwicklungsstörungen bei den Kindern untersucht. Es stellte sich heraus, dass sowohl die Therapie mit Topiramat, Valproinsäure als auch diverse Doppeltherapien in der Schwangerschaft das ­Risiko für neurologische Störungen beim Kind erhöhen.

Das Absetzen von Antiepileptika vor oder während der Schwangerschaft kann zu unkontrollierten epileptischen Anfällen und damit auch zum Tod der Mutter führen [2, 3]. Für Verunsicherung sorgt, dass einige Wirkstoffe teratogen sind und mögliche Auswirkungen auf die neurologische Entwicklung des Kindes haben können [4, 5]. Um hier für Klarheit zu sorgen, hat eine nordische Kohortenstudie Daten aus Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden gesammelt, wobei nicht nur einzelne krampflösende Stoffe untersucht, sondern auch eine Reihe von Doppeltherapien geprüft wurden.

Zwischen 1996 und 2017 wurden Studiendaten erhoben, die im Februar 2022 ausgewertet wurden. Es wurden Kinder von Frauen eingeschlossen, welche mindestens ein krampflösendes Medikament vom Zeitpunkt der letzten Periode bis zur Geburt des Kindes eingenommen haben. Ausgeschlossen wurden Früh- und Spätgeburten, Geburten mit unklarer Datenlage und Zwillings- und Drillingsgeburten. Auch Kinder, die innerhalb der Follow-up-Zeit mit einer chromosomalen Störung diagnostiziert wurden, sind nicht in den Ergebnissen der Studie zu finden. Das mittlere Alter der Kinder lag bei acht Jahren.

Schwerpunkt war das spätere Auftreten einer Autismus-Spektrum-Störung oder einer Art der Intelligenzminderung beim Kind. Diese beiden Krankheitsbilder umfassen dabei eine Reihe von Unterkategorien wie beispielsweise das Asperger-Syndrom.

Vergleichsgruppe waren Kinder von Frauen, welche keine krampflösenden Medikamente seit frühem Beginn der Schwangerschaft eingenommen haben. Hierbei war unerheblich, ob sie an Epilepsie erkrankt waren oder nicht.

Insgesamt wurden die Daten von ­4.494.926 Kindern ausgewertet. Davon waren 51,3% männlich. 24.825 Kinder waren einer pränatalen Einnahme von Antiepileptika ausgesetzt.

Pregabalin, Gabapentin und Phenobarbital haben die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Autismus-Spektrum-Störung oder Intelligenzminderung nicht erhöht (s. Tab). Levetir­acetam steht in keinem Zusammenhang mit dem Auftreten einer Intelligenzminderung.

Tab.: Risiko des Auftretens von neurologischen Entwicklungsstörungen
Hazard ratio für das Auftreten einer Autismus-Spektrum-Störung
Hazard ratio für das Auftreten einer Intelligenzminderung
Kinder von Müttern mit Epilepsie
Lamotrigin
0,81 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,59 – 1,11)
0,73 (95%-KI: 0,46 – 1,16)
Carbamazepin
0,94 (95%-KI: 0,60 – 1,46)
0,83 (95%-KI: 0,49 – 1,42)
Valproinsäure
2,40 (95%-KI: 1,73 – 3,30)
2,50 (95%-KI: 1,70 – 3,69)
Oxcarbazepin
1,33 (95%-KI: 0,83 – 2,13)
0,87 (95%-KI: 0,48 – 1,58)
Clonazepam
1,23 (95%-KI: 0,62 – 2,45)
0,83 (95%-KI: 0,33 – 2,08)
Levetiracetam
1,06 (95%-KI: 0,49 – 2,30)
keine Daten verfügbar
Topiramat
2,77 (95%-KI: 1,35 – 5,65)
3,47 (95%-KI: 1,40 – 8,63)
Kinder der Gesamt­bevölkerung (unab­hängig von einer ­maternalen Epilepsie)
Lamotrigin
1,13 (95%-KI: 0,91 – 1,40)
1,34 (95%-KI: 0,92 – 1,95)
Carbamazepin
1,36 (95%-KI: 1,00 – 1,85)
2,01 (95%-KI: 1,45 – 2,79)
Valproinsäure
3,44 (95%-KI: 2,77 – 4,28)
4,77 (95%-KI: 3,73 – 6,10)
Oxcarbazepin
1,88 (95%-KI: 1,29 – 2,73)
1,95 (95%-KI: 1,19 – 3,18)
Clonazepam
1,43 (95%-KI: 0,96 – 2,12)
1,76 (95%-KI: 1,06 – 2,92)
Levetiracetam
1,59 (95%-KI: 0,76 – 3,33)
keine Daten verfügbar
Topiramat
2,64 (95%-KI: 1,50 – 4,65)
3,92 (95%-KI: 1,76 – 8,74)

Negative und positive ­Auswirkungen

Durch die Therapie mit Valproinsäure oder Topiramat in der Schwangerschaft ist die Wahrscheinlichkeit für das Entwickeln einer neurologischen Störung des Kindes um das Zwei- bis Vierfache erhöht. Dieses Risiko steigt mit zunehmender Dosis der krampflösenden Medikamente der Mutter. Auch die Doppeltherapie aus Levetiracetam und Carbamazepin oder Lamotrigin und Topiramat wirkt sich negativ auf die Entwicklung des Kindes aus. Levetiracetam und Lamotrigin als Doppeltherapie hatten hingegen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis.

Trotz der großen Zahl der ausgewerteten Daten und der langen Dauer der Datenerhebung müssen die Ergebnisse der Studie vorsichtig interpretiert werden. Zum einen wurden nur Lebendgeburten eingeschlossen, zum anderen wurde nicht zwischen generalisierten oder fokalen Anfällen der Mütter unterschieden. Auch eine mögliche genetische Prädisposition für die Erkrankungen konnte nicht berücksichtigt werden. Vorausgesetzt wurde stets die Therapietreue der Mütter.

PRAC startete Review

Vor dem Hintergrund dieser Daten hat das PRAC (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee) der Euro­päischen Arzneimittel-Agentur EMA einen Review zu Topiramat und möglichen neurologischen Folgeerkrankungen von Kindern gestartet, deren Mütter während der Schwangerschaft mit dem Antiepileptikum behandelt worden waren. Die Auswertung der nordischen Registerdaten wurde als Risikosignal gewertet, das eine weitere Überprüfung notwendig macht. |
 

Literatur

[1] Bjørk MH, Zoega H, Leinonen MK et al. Association of Prenatal Exposure to Antiseizure Medication With Risk of Autism and Intellectual Disability. JAMA Neurology 2022, 10.1001/jamaneurol.2022.1269

[2] Knight MNM, Tuffnell D, Shakespeare J et al. Saving Lives, Improving Mothers’ CareLessons learned to inform maternity care from the UK and Ireland Confidential Enquiries into Maternal Deaths and Morbidity 2013-15, www.npeu.ox.ac.uk/ mbrrace-uk/presentations/saving-lives-improving- mothers-care

[3] Edey S, Moran N, Nashef L. SUDEP and epilepsy-related mortality in pregnancy. Epilepsia 2014;55(7):e72-e74, 10.1111/epi.12621

[4] Veroniki AA, Rios P, Cogo E et al. Comparative safety of antiepileptic drugs for neurological development in children exposed during pregnancy and breast feeding: a systematic review and network meta-analysis. BMJ Open 2017;7(7): e017248. 10.1136/bmjopen-2017-017248

[5] Tomson T, Battino D,Perucca E. Teratogenicity of antiepileptic drugs. Curr Opin Neurol. 2019;32(2):246-252, 10.1097/WCO.0000000000000659

Apothekerin Judith Scharpf

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