Die Seite 3

Gesundheitsregion krankt

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Soll es eine Corona-Impfpflicht in Deutschland geben oder nicht? Viele Umfragen deuten darauf hin, dass sich die Bevölkerung in dieser Angelegenheit offenbar hin- und hergerissen fühlt. Knapp die Hälfte ist dafür, der etwas größere Teil dagegen – Unionsanhänger und Linken-Wähler gelten als Befürworter, während die Zustimmung im FDP- und AfD-Lager am kleinsten ist. Doch die Marschrichtung der noch amtierenden Bundesregierung zeigt sich von solchen Trends unbeeindruckt: Jeder Mensch solle diese Entscheidung selbst treffen können. Das Angebot sei da, die Nachfrage werde ja hoffentlich (noch) folgen.

Individualität wird bei dieser Debatte also groß geschrieben, während in anderen Lebensbereichen oftmals das Gegenteil gefordert wird. Bei den Maßnahmen gegen den Klimawandel beispielsweise, die von fast ­allen Parteien propagiert werden, geht es mehr um Kollektivismus als um individuelle Entscheidungen. Alle müssen verzichten oder zumindest ihren Lebensstil verändern, um das große Ganze für die Gesellschaft zu erreichen beziehungsweise – und gerade beim Thema Klimawandel – abzuwenden.

Individualität versus Kollektivismus – dieses Spannungsfeld offenbart sich auch bei den Zukunftsfragen im Gesundheitswesen, und hierbei sind die Apotheken direkt betroffen. Zwar muss der Berufsstand unmittelbar vor der Bundestagswahl auf konkrete Zugeständnisse und Visionen aus der Politik weitgehend verzichten (S. 20), umso aufmerksamer sollte man aber auf die Strömungen innerhalb der Parteienlandschaft achten. Den Grünen beispielsweise schweben sogenannte Gesundheitsregionen vor. Dabei soll der Bund den groben Rahmen vorgeben, während die konkrete Organisation des Gesundheitswesens vor Ort erfolgt. Für die bundesweite Arzneimittelversorgung halten die Grünen nur ein einziges Regelungskonzept für nicht praktikabel und fürchten die Unterversorgung einzelner ­Gebiete. Vorstellbar wären vielmehr Lockerungen beim Mehrbesitzverbot.

Was sich zunächst nach gelebter Individualität anhört, würde wohl entweder auf ein Poliklinik-System nach sozialistischem Vorbild oder auf die Stärkung Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) mit einem vergrößerten Einfluss branchenfremder, kapitalstarker Konzerne hinauslaufen. Überhaupt täuscht der Begriff „Gesundheitsregion“ darüber hinweg, dass es letztendlich mehr Bürokratismus und zentralistische Strukturen geben wird. Patienten würden noch weitere Wege haben, mit deutlich längeren Wartezeiten rechnen müssen und die angestellten Heil- und Assistenzberufe würden sich zum Spielball unterschiedlichster Interessen entwickeln.

Diskutieren muss man also nicht, ob sich die Versorgung auf dieser Grundlage verbessern oder weiterentwickeln lässt, sondern viel eher, wie lange es ab dann noch funktionieren kann. Wer das Denken und Agieren in Sektoren beenden und alle Beteiligten besser vernetzen will, darf Leistungserbringern und Patienten keinen Einheitsbrei vorsetzen.

So lenken auch die Grünen auf ihre Weise von den wirklichen Herausforderungen ab, ohne sich tatsächlich für das System stark zu machen.

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