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Viel Arbeit und 12 Millionen Euro weniger
Folgen der Mehrwertsteuersenkung für die Apotheken
Die Bundesregierung hat in der vorigen Woche ein Konjunkturpaket mit dem Rekordvolumen von 130 Milliarden Euro vorgestellt, das die Wirtschaft angesichts der Corona-Krise wieder ankurbeln soll. Voraussichtlich wird die Bundesregierung dies am 12. Juni auf einer außerordentlichen Kabinettssitzung beschließen. Für politische Beobachter besonders überraschend ist darin die Senkung der Mehrwertsteuersätze im zweiten Halbjahr 2020 von 19 auf 16 Prozent und von 7 auf 5 Prozent. Dadurch werden Steuerausfälle von 20 Milliarden Euro erwartet. Die niedrigeren Preise sollen Kaufanreize schaffen und damit den Konsum verstärken.
Einbuße beim Kassenabschlag
Doch für Apotheken wird sich daraus bei der Abrechnung von Arzneimitteln mit der GKV eine Einbuße ergeben. Denn der Abschlag, den die Apotheken gemäß § 130 SGB V an die gesetzlichen Krankenkassen leisten müssen, ist als Bruttobetrag unabhängig von der Mehrwertsteuer formuliert und beträgt 1,77 Euro für jede Rx-Fertigarzneimittelpackung und jedes klassische Rx-Rezepturarzneimittel. Wenn Apotheken derzeit für ein Arzneimittel 1,77 Euro brutto weniger erhalten, mindert das ihren Nettoumsatz um 1,487 Euro. Wenn der Mehrwertsteuersatz jedoch auf 16 Prozent sinkt, vermindert der Kassenabschlag den Nettoumsatz um 1,526 Euro. Für jedes abgerechnete Arzneimittel nehmen die Apotheken also netto 4 Cent weniger ein. Bei etwa 760 Millionen Rx-Arzneimittelpackungen pro Jahr (siehe ABDA-Apothekenwirtschaftsbericht für 2019), einem geschätzten Marktanteil der GKV von 80 Prozent und zusätzlichen 10 Millionen klassischen Rezepturen ergibt das für ein halbes Jahr etwa 310 Millionen Rx-Arzneimittel und damit eine Einbuße von 12,4 Millionen Euro für alle Apotheken oder etwa 650 Euro pro Durchschnittsapotheke. Um diesen Betrag würden sich die Nettoumsätze der Apotheken reduzieren. Wenn das verhindert werden soll, müsste der gesetzliche Abschlag für das zweite Halbjahr 2020 auf 1,73 Euro brutto gesenkt werden.
Hinzu kommen die Mühen beim zweimaligen Umstellen der Preise. Wenn die pharmazeutischen Unternehmer ihre als Nettopreise ausgewiesenen Abgabepreise unverändert lassen, führt die geringere Mehrwertsteuer zu einem geringeren Brutto-Verkaufspreis in den Apotheken. Damit ändern sich alle Taxpreise. Die Verarbeitung erfordert üblicherweise einen Vorlauf von etwa zwei Wochen. Doch die geplante Gesetzesänderung muss erst den Bundestag und den Bundesrat passieren. Falls die Daten nicht zum 1. Juli in den Apotheken vorliegen, droht jedoch ein Abrechnungschaos.
Zuzahlungen und Festbeträge
Hinzu kommen die Folgen für weitere sozialrechtliche Regeln. Die Zuzahlung gemäß § 61 SGB V wird anhand des Brutto-Verkaufspreises berechnet. Bei Brutto-Verkaufspreisen zwischen 50 und 100 Euro beträgt sie 10 Prozent des Preises. Wenn dieser Preis durch die verminderte Mehrwertsteuer sinkt, vermindert sich auch die Zuzahlung. Ein derzeitiger Brutto-Verkaufspreis von 80 Euro würde auf 77,98 Euro sinken. Die Zuzahlung würde dann von 8,00 Euro auf 7,80 Euro fallen.
Ein weiterer Aspekt sind die Festbeträge. Das Verfahren zur Berechnung der Festbeträge für Rx-Arzneimittel beruht auf den Netto-Abgabepreisen der pharmazeutischen Unternehmer, sodass wohl keine verzögerten ungeordneten Anpassungen drohen. Doch es stellt sich die Frage, ob der GKV-Spitzenverband alle Festbeträge für das zweite Halbjahr 2020 entsprechend der veränderten Mehrwertsteuer anpassen wird oder die Festbeträge unverändert lässt. Auch die letztere Version dürfte in den meisten Fällen unproblematisch sein, weil die Arzneimittel billiger werden. Allerdings gäbe es in beiden Fällen veränderte Aufzahlungen bei Arzneimitteln, deren Preise den Festbetrag überschreiten und für die deshalb eine Aufzahlung fällig ist. Noch mehr Durcheinander könnte bei den Festbetragsgruppen für verschreibungsfreie Arzneimittel entstehen, weil diese anhand von Preisen einschließlich Mehrwertsteuer ermittelt werden.
Weitere Konsequenzen ergeben sich für Importarzneimittel, weil sich die Preisabstände zu den Originalen verändern, sowie für alle Verträge der Apothekerverbände mit Preisvereinbarungen, beispielsweise für Hilfsmittel. Wenn dort Bruttopreise vereinbart sind, könnten die Apotheken zeitweilig höhere Nettobeträge einnehmen. Wenn Nettopreise vereinbart sind, müssten die zu taxierenden Bruttopreise korrigiert werden. Beim Zwangsrabatt der pharmazeutischen Unternehmer (Herstellerabschlag) sind hingegen wohl keine Probleme zu erwarten, weil dieser Abschlag in § 130a SGB V auf den Abgabepreis „ohne Umsatzsteuer“ bezogen wird.
Strategien für OTC-Preisumstellungen
Die veränderte Mehrwertsteuer erfordert auch Reaktionen der Apotheker bei der eigenen Preisbildung für OTC-Arzneimittel und andere frei kalkulierbare Waren. Dafür gibt es keine Vorschriften und kein Patentrezept. Besonders drei Argumentationsweisen erscheinen plausibel, wobei die Entscheidung für eine dieser Sichtweisen je nach Apotheke und Produkt unterschiedlich ausfallen wird:
- In vielen Apotheken werden für Waren mit eher geringem Preiswettbewerb vermutlich produktgruppenspezifische Zuschlagssätze angewendet. In diese Kalkulation fließt auch die sinkende Mehrwertsteuer ein. Damit sinkt der Verkaufspreis. Dies kann offensiv als faire Umstellung vermarktet werden.
- Bei einigen Waren, deren Preise den Kunden kaum bekannt sind, kann es praktikabel sein, die Brutto-Verkaufspreise unverändert zu lassen. Dann hat die Apotheke einen zusätzlichen Ertrag.
- Viele Produkte mit eher intensivem Preiswettbewerb haben auffällige Preise, die auf ganze Euro lauten oder auf 95, 98 oder 99 Cent enden. Dann erscheint es sinnvoll, die Preise genau entsprechend der Mehrsteuersenkung umzustellen und dabei bewusst „krumme“ Preise entstehen zu lassen, um die Umstellung möglicherweise auch ohne weitere Erklärung herauszustellen.
Es stellt sich also die Frage, ob alle oder nur bestimmte Preise frei kalkulierbarer Waren umgestellt werden und wie dies vermittelt wird. Vieles wird auch davon abhängen, welche Vorgehensweisen sich Anfang Juli im Einzelhandel etablieren. Es sollte auch in Apotheken darauf geachtet werden, ob sich dabei gesellschaftliche Trends entwickeln. Durch die Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 16 Prozent müssten die Bruttopreise um 2,52 Prozent sinken. Vermutlich ist vielen Verbrauchern der genaue Rechenweg nicht bewusst und vermutlich werden preisaktive Unternehmen in anderen Wirtschaftsbereichen großspurig ankündigen, dass sie ihre Preise „um 3 Prozent“ senken, weil sie sich von solchen Aussagen mehr Nachfrage erhoffen, als die „verlorenen“ 0,48 Prozent kosten. Auch solche Aspekte werden zu bedenken sein.
Wenig Aussicht auf Mehrertrag
Die obigen Überlegungen zielen primär darauf, als Apotheke fair auf die Situation zu reagieren und keinen Imageschaden zu erleiden. Ob sich wirtschaftliche Vorteile ergeben, ist eher zweifelhaft. Denn die Nachfrage nach Arzneimitteln ist weitgehend preisunelastisch. Sie verschiebt sich eher zwischen verschiedenen Apotheken, aber das erübrigt sich bei einer einheitlichen Steuersenkung für alle. Vermutlich wird es im Dezember einige Vorzieheffekte bei langfristig eingesetzten OTC-Arzneimitteln und Kosmetika geben. Ansonsten bleiben allenfalls mögliche Mengensteigerungen bei einzelnen Artikeln des Ergänzungssortiments. Dort erscheint es sinnvoll herauszustellen, wenn diese zeitweilig günstiger erhältlich sind. |
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