Arzneimittel und Therapie

Schmaler Grat der Schlaganfallprophylaxe

Strategien zur Sekundärprävention auf dem Prüfstand

In der Sekundärprävention des ischämischen Schlaganfalls gehört die antithrombotische Therapie mit Acetylsalicylsäure (ASS) zum Standard. Doch auch neuere orale Antikoagulanzien (NOAKs) wie Rivaroxaban sowie die duale Plättchenhemmung (DAPT) mit ASS und Clopidogrel werden in dieser Indikation untersucht. Wie zwei große randomisierte kontrollierte Studien zeigen, ist der Grat zwischen Nutzen und Blutungsrisiko jedoch schmal.
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Die Sekundärprävention nach einem ischämischen Schlaganfall gleicht einer Gratwanderung.

In Deutschland liegt die Inzidenz für einen Schlaganfall bei 1,82 Fällen/1000 Einwohnern pro Jahr, wobei 40% innerhalb eines Jahres tödlich verlaufen. Patienten, die einen Schlaganfall überleben, weisen zu 65% erhebliche körperliche Einschränkungen auf und sind zu 15% auf fremde Hilfe angewiesen [1]. Zudem haben sie ein sehr hohes Risiko, in den nächsten Jahren einen erneuten Schlaganfall zu erleiden. Die Sekundärprävention des Schlaganfalls hat daher eine hohe Bedeutung. Gemäß der Leitlinien folgt die Prävention einem multimodalen Ansatz (s. Tabelle) [1, 2].

Tab.: Sekundärprävention des Schlaganfalls bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder TIA (nach [2])
Pharmakotherapie
Empfehlungen
Thrombozytenfunktions-hemmer
  • ASS 100 mg (oder ASS 25 mg in Kombination mit verzögert freisetzendem Dipyridamol 200 mg) oder Clopidogrel 75 mg, sofern keine Indikation zur Antikoagulation (z. B. Vorhofflimmern) vorliegt
  • Therapiebeginn innerhalb von 48 Stunden nach klinischem Verdacht und Ausschluss eines hämorrhagischen Schlaganfalls
  • Dauerhafte Anwendung; sofern keine Kontra­indikationen oder Indikationen zur Antikoagulation vorliegen
  • langfristige Kombination von ASS mit Clopidogrel nur bei zusätzlicher Indikation wie akutes Koronarsyndrom oder koronarer Stentimplantation
  • ggf. Kombination mit Protonenpumpeninhibitor (PPI) bei vorangegangenem abgeheiltem gastrointestinalem Ulkusleiden
Orale Antikoagulanzien
  • bei Patienten mit permanentem, persistierendem oder paroxysmalem oder nicht valvulärem Vorhofflimmern
  • neuere Antikoagulanzien (z. B. Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban) als Alternative zu Vitamin-K-Antagonisten; günstigeres Nutzen-Risiko-Profil, Nierenfunktion muss jedoch überprüft werden
Lipidsenker
  • Statine bei Hyperlipidämie (Nutzen-Risiko-Abwägung bei Hirnblutung)
  • kein routinemäßiger Einsatz von Nikotinsäure­derivaten, Fibraten oder Ezetimib
Antihypertensiva
  • langfristige Therapie bei Patienten mit arterieller Hypertonie
  • Zielwert < 140/90 mmHg

Rivaroxaban – ohne Vorteil und mit erhöhtem Risiko

In der Studie NAVIGATE ESUS wurde die Wirksamkeit von Rivaroxaban als Alternative zu ASS bei 7.213 Patienten untersucht, die in den letzten sechs Monaten einen embolischen Schlaganfall ungeklärter Ursache (ESUS) erlitten hatten [3]. Diese auch als „kryptogen“ bezeichneten Schlaganfälle machen rund 20% aller ischämischen Insulte aus und sind mit einem hohen Risiko für einen erneuten Schlaganfall verbunden. Die Studienteilnehmer erhielten entweder 15 mg Rivaroxaban oder 100 mg ASS täglich. Der primäre Endpunkt war definiert als das erste erneute Auftreten eines ischämischen oder eines hämorrhagischen Schlaganfalls oder einer systemischen Embolie. Die Untersuchung wurde vorzeitig beendet, weil das Risiko einer Blutung in der Rivaroxaban-Gruppe deutlich erhöht war: 62 von 3.609 in der Rivaroxaban-Gruppe erlitten eine Blutung, während in der ASS-Gruppe bei 3.604 Patienten 23 Fälle beobachtet wurden (p < 0,001). Demgegenüber war das erneute Auftreten eines Schlaganfalls in beiden Behandlungsgruppen ähnlich. Rivaroxaban zeigte hier also mehr Risiken als Vorteile.

Schlaganfall und TIA

Bei einem ischämischen Schlaganfall kommt es zu Ausfällen der neurologischen Funktionen (z. B. Lähmungen, Bewusstseins-, Seh- und Wahrnehmungsstörungen). Diese beruhen auf einem fokalen Infarkt – einer dauerhaften Schädigung durch Zelltod aufgrund einer gestörten Blutversorgung – des Gehirns, des Rückenmarks oder der Retina. Bei einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) handelt es sich um eine vorübergehende Minderdurchblutung des Gehirns, des Rückenmarks oder der Retina, die mit neurologischen Ausfallerscheinungen einhergeht – allerdings ohne Anhaltspunkte für einen akuten Infarkt.

DAPT – Nutzen überwiegt in den ersten drei Wochen

In der POINT-Studie wurde die duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel und ASS im Vergleich zu einer ASS-Monotherapie untersucht [4]. Eingeschlossen wurden 4.881 Patienten, die in den vorausgegangenen zwölf Stunden einen kleineren ischämischen Schlaganfall oder eine transitorische ischämische Attacke (TIA) mit einem hohen Risiko für einen weiteren Schlaganfall erlitten hatten. Die Studienteilnehmer wurden in zwei Gruppen randomisiert: Die erste erhielt ASS in einer Dosis von 50 bis 325 mg pro Tag; die zweite Gruppe erhielt zusätzlich einmalig 600 mg Clopidogrel am ersten Tag und dann 75 mg Clopidogrel täglich. Der primäre zusammengesetzte Endpunkt war definiert als ischämischer Schlaganfall, Herzinfarkt oder Tod durch ein anderes ischämisches Ereignis in einem Zeitraum von 90 Tagen. Die Studie wurde durch das Safety Monitoring Board vorzeitig beendet, da die Gruppe, die die Kombination aus ASS und Clopidogrel erhalten hatte, zwar ein niedrigeres Risiko für ein ischämisches Ereignis, aber ein höheres Risiko für eine Blutung aufwies: 121 von 2432 Patienten (5%) erlitten unter der Kombinationstherapie ein ischämisches Ereignis, während in der ASS-Gruppe 160 von 2449 Patienten (6,5%) betroffen waren (p = 0,02). Demgegenüber kam es in der ASS-Gruppe bei zehn Patienten (0,4%) zu einer Blutung, unter der DAPT war dies bei 23 Patienten (0,9%) der Fall (p = 0,02).

Bei der Betrachtung der sekundären Endpunkte zeigt sich, dass vor allem ein erneuter Schlaganfall durch die Kombinationstherapie verhindert werden konnte, wohingegen die weiteren Aspekte des primären Endpunkts (Herzinfarkt oder Tod durch ein anderes ischämisches Ereignis) in den beiden Behandlungsgruppen ähnlich häufig auftraten. Eine zusätzliche Analyse des zeitlichen Verlaufs ergab, dass der Vorteil der DAPT vor allem in den ersten sieben Tagen bis 30 Tagen der Behandlung auftrat, wohingegen das erhöhte Blutungsrisiko der Kombinationstherapie erst nach Tag acht signifikant nachweisbar war. Ein Kommentator der Studie fordert daher eine differenziertere Herangehensweise [5]: Eine Kombinationstherapie sollte in den ersten drei Wochen nach einem Schlaganfall – in denen das Risiko für ein erneutes Ereignis am höchsten ist – erwogen werden, um dann als Monotherapie fortgesetzt zu werden. Bei Patienten mit einer TIA unklarer Genese oder mit schlechter Compliance ist die Kombinationstherapie hingegen weniger empfehlenswert. Da Patienten mit einem hohen Blutungsrisiko von der Teilnahme an der Studie ausgeschlossen waren, sollte diesen auch keine DAPT angeboten werden. Außerdem ist zu beachten, dass Clopidogrel in Deutschland zur Sekundärprävention in den ersten sieben Tagen nach einem Schlaganfall nicht zugelassen ist. |

Quelle

[1] Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)-Leitlinie Nr. 8. Schlaganfall. AWMF-Register Nr. 053-011. Stand 2012; abgelaufen

[2] Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). S3-Leitlinie Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke. Stand 2015; AWMF-Register Nr. 030-133

[3] Hart RG. Rivaroxaban for Stroke Prevention after Embolic Stroke of Undetermined Source. N Engl J Med 2018;378(23):2191-2201

[4] Johnston SC et al. Clopidogrel and Aspirin in Acute Ischemic Stroke and High-Risk TIA. N Engl J Med 2018;379(3):215-225

[5] Grotta J C. Antiplatelet Therapy after Ischemic Stroke or TIA. N Engl J Med 2018;­379(3):291-292

Apothekerin Dr. Maren Flügel

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