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Beratung

Mobil machen!

Bei Rückenschmerzen hilft Bewegung, doch auch Analgetika sind oft unverzichtbar

Obwohl nur ein Symptom, haben Rückenschmerzen den Charakter der „Volkskrankheit“. Ein Grund für ihre Häufigkeit ist, dass die Ursachen weit über das Somatische hinausgehen: Kreuzschmerzen sind ein bio-psycho-soziales Geschehen. Das heißt nicht, dass „Rücken“ kein Thema für die Offizin ist, im Gegenteil: Die früh einsetzende schmerzlindernde Therapie, auch medikamentös, ermöglicht oft erst, dass der Leidende wieder in Bewegung kommt. Und das primäre Beratungs- und Behandlungsziel heißt: Aktivierung des Patienten. Rückenschmerz darf nicht chronisch werden. | Von Ralf Schlenger

Ohne Kreuzschmerzen geht kaum einer durchs Leben. Laut der Rückenschmerzstudie 2003/2006 bleiben nur 15% der Deutschen lebenslang verschont. Im Gesundheitssurvey 2009/2010 gaben jede vierte Frau und jeder sechste Mann an, im Jahr vor der Befragung unter Kreuzschmerzen gelitten zu haben, die mindestens drei Monate anhielten und sich nahezu täglich bemerkbar machten. Verglichen mit der Umfrage von 2003 ist das ein Anstieg.

Während akute Kreuzschmerzen weitgehend altersunabhängig auftreten – im sechsten Lebensjahrzehnt aber am häufigsten –, nehmen chronische Rückenschmerzen sichtbar mit dem Alter zu [1]. So geben 11% der unter 30-Jährigen chronische Rückenschmerzen im vergangenen Jahr an, aber 30% der über 65-Jährigen. In allen Altersgruppen sind Frauen sowie Personen mit niedrigem Sozialstatus häufiger von Kreuzschmerzen betroffen. Rückenschmerzen führen seit Jahren die Statistiken der Anlässe für Arbeitsunfähigkeit und medizinische Rehabilitation an.

„Ich habe Rücken!“

Was heißt eigentlich „Kreuzschmerz“? Bei den Beschwerden entlang der Wirbelsäule gehen 62% von den gewichtstragenden Lendenwirbeln (Lumbalwirbel L1 bis L5) aus (s. Abb. 1). Sie heißen definitionsgemäß Kreuzschmerzen: Schmerzen in Höhe der Lendenwirbelsäule (LWS) bis zum Unterrand der Gesäßfalte. Begleitend können weitere Beschwerden vorhanden sein. Von der Halswirbelsäule (Wirbel C1 bis C7) gehen noch 36% der Probleme aus, von der Brustwirbelsäule (BWS, Wirbel Th1 bis Th12) nur 2%.

Columna vertebralis Die Wirbelsäule hält den Körper aufrecht, trägt die Last von Kopf, Rumpf und Armen und schützt im Wirbelkanal das Rückenmark. Sie besteht aus 24 freien Wirbel und den verwachsenen von Kreuz- und Steißbein. Die sieben Halswirbel der Wirbelsäule (Wirbel C1 bis C7) und die fünf Lendenwirbel (Wirbel L1 bis L5) sind nach vorn gekrümmt (Lordose). Die zwölf Brustwirbel (Th1 bis Th12), die Kreuzbein- (S1 bis S5) und Steißbeinwirbel sind nach hinten gekrümmt.

Rückenschmerzen richtig einordnen

Ursache, Dauer, Schwere und das Stadium der Chronifizierung sind in der Beratung bzw. Behandlung von Rückenschmerzpatienten relevant und sollten so weit wie möglich erfragt werden.

Spezifische oder unspezifische Ursache? Die in 2017 überarbeitete Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz (NVL, [2]) behält ihre pragmatische Unterteilung bei:

  • 80 bis 90% der Patienten mit akut aufgetretenem Rückenschmerz haben nicht-spezifische oder „funktionelle“ Schmerzen ohne fassbare körperliche Ursache. Sie sind nicht das Ergebnis von Veränderungen an der Wirbelsäule, sondern von Störungen im komplexen System aus Wirbeln, Muskeln, Gelenken und Bändern des Rückens. Manche Muskeln sind überfordert, andere unterfordert, sie verhärten und verkürzen sich. Schuld daran sind häufig Bewegungsmangel, Fehlhaltungen und Stress.
  • Spezifische Kreuzschmerzen haben eine fassbare somatische Ursache, die vom Arzt festgestellt werden muss und deren gezielte Therapie den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann. Dazu zählen z. B. Bandscheibenvorfall, Spinalkanalverengung, Wirbelgleiten (Spondylolisthesis), Entzündungen und Infektionen, Osteoporose, Fraktur, Tumor usw. Solche fassbaren Ursachen sind mit etwa 10 bis 20% relativ selten. 4 bis 7% der Kreuzschmerzen gehen auf das Konto von Bandscheibenvorfällen oder Einengungen des Wirbelkanals [3]. Krebs- und Rheumaleiden sind bei weniger als 1% der Betroffenen die Schmerzursache.

Dauer und Verlauf: Unterschieden werden bei unspezifischen Kreuzschmerzen

  • akute (bis sechs Wochen), die sich meist schon nach einigen Tagen bessern,
  • subakute (sechs bis zwölf Wochen) und
  • chronische Kreuzschmerzen (länger als zwölf Wochen bestehend). Die Schmerzen können während der Perioden variieren, ohne ganz zu verschwinden.
  • Rezidivierend heißen Kreuzschmerzen, die nach einer symptomfreien Phase von mindestens sechs Monaten wieder „akut“ werden. Dann werden sie – anders als chronische Kreuzschmerzen – auch wie akut aufgetretene Kreuzschmerzen behandelt.

Häufig wird zitiert, dass die Genesungsrate von Kreuzschmerzen binnen sechs Wochen bei 90% liege, akute Beschwerden somit üblicherweise selbstbegrenzend seien. Diese Darstellung beruht auf Studien, die als Endpunkte die Konsultation des Hausarztes bzw. die Wiederaufnahme der Arbeit hatten, nicht aber den tatsächlichen Schmerzverlauf! Die Untersuchung des langfristigen Schmerzverlaufes ergab in neueren Metaanalysen [8] ein ganz anderes Bild:

  • Nur bei jedem dritten Patienten mit akuten nicht-­spezifischen Kreuzschmerzen kann innerhalb der ersten drei Monate von einer wirklichen Genesung gesprochen werden.
  • Durchschnittlich 16% (3 bis 40%) waren nach sechs Monaten noch nicht in der Lage, ihre alltäglichen Aktivitäten wieder aufzunehmen.
  • Durchschnittlich 62% (42 bis 75%) der Betroffenen waren nach zwölf Monaten nicht schmerzfrei.
  • Etwa zwei von drei Betroffenen erlitten Rückfälle, und jeder Dritte wurde erneut arbeitsunfähig.

Somit bestätigt sich zwar, dass insgesamt die stärkste Symptomverbesserung innerhalb der ersten sechs Wochen zu verzeichnen ist. Danach verläuft die Genesung aber zäh. Oft scheinen die Rückenschmerzen nicht ganz zu verschwinden, und oft kehren sie wieder. Der Kreuzschmerz­patient scheint ein Patient zu bleiben, und somit beratungsbedürftig.

Schweregrad der Schmerzen: Zur Beurteilung der Schmerz­intensität können die Numerische Rating-Skala (NRS) oder die visuelle Analogskala (VAS) herangezogen werden. Beide spiegeln das subjektive Schmerzempfinden zwischen den Endpunkten „keine Schmerzen“ und „unerträgliche Schmerzen“, wobei die funktionellen Beeinträchtigungen unberücksichtigt bleiben.

Ein Teufelskreis – Wie „unspezifische“ Kreuzschmerzen entstehen

Die Ursache unspezifischer Rückenschmerzen bleibt meist unklar. Aber praktisch immer spielen mehrere Faktoren zusammen: höheres Alter, (Über)Gewicht, Bewegungsmangel, schwache Rückenmuskulatur, zu schwere oder monotone Belastung, Fehlhaltungen, ungeeignete Sitz- und Schlafmöbel, Stress, Depressionen und Weiteres mehr. Einzelne Auslöser können sich gegenseitig verstärken: Übergewicht, Fehlbelastung oder Fehlhaltung – etwa durch langes, gebeugtes Sitzen am PC – setzen die Bandscheiben unter Druck. Sie verlieren an Elastizität, flachen ab. In der Folge lockern sich die zwischen den Wirbeln gespannten Bänder; auch die kleinen Zwischenwirbelgelenke (Facettengelenke) werden nun stärker abgenutzt. Der ganze Wirbelsäulenabschnitt wird instabiler. Um dies zu kompensieren, schalten sich Rückenmuskeln ein, sie spannen sich an. Eine untrainierte Rückenmuskulatur wird mit dieser Aufgabe rasch überfordert und verspannt sich. Verspannte, harte Muskeln können in der Nähe liegende Nerven reizen. Die Rückenschmerzen wiederum führen zu Schon- und Fehlhaltungen, die ihrerseits Verspannungen und weitere Schmerzen hervorrufen – so entsteht ein Teufelskreis. Weiter angetrieben wird er durch psychische Faktoren: Angst vor dem Schmerz und Stress.

Kreuzschmerzen können sich also schleichend aufbauen – aber auch einschießen: Von einem „Hexenschuss“ (Lumbago, Lendenlähmung) spricht der Volksmund, wenn der Schmerz im Kreuz plötzlich und stechend auftritt. Auslöser sind Alltagsbewegungen wie Drehen, Bücken bzw. Aufrichten oder das Heben von Lasten. Die Rückenmuskeln sind plötzlich so verspannt (Hartspann), dass die Bewegung wie eingefroren und gesperrt ist. Häufig sind die „Getroffenen“ nicht mehr in der Lage, ihren Rücken zu strecken, und nehmen eine Schonhaltung ein. Der Schmerz beim Hexenschuss geht von einer Reizung von Nerven aus, die die Wirbelsäule selbst versorgen, weshalb er nicht ausstrahlt, sondern auf den Rücken begrenzt bleibt.

Mitunter ist gleichzeitig mit einer Lumbago der Ischias-Nerv betroffen. Dieser stärkste Nerv des Körpers zieht von unterhalb des vierten Lendenwirbels zur Streckseite des Hüftgelenks und an der Hinterseite des Oberschenkels in Richtung Kniekehle. Dementsprechend zieht der Ischias-Schmerz vom unteren Rücken auch in Gesäß und Bein. Die Kombination aus Lumbago und Ischias (bzw. Ischialgie) heißt Lumbo­ischialgie.

Rote Flagge: „Spezifische“ Rückenschmerzen ausschließen

Ausstrahlende Schmerzen, vor allem wenn sie mit Kribbeln, Taubheit oder Schwäche im Bein verbunden sind, können „spezifische“ Ursachen haben wie eine Nervenwurzelkompression mit Einengungen oder entzündlichen Reizungen von Nerven im Bereich des Spinalkanals. Ein radikuläres Syndrom erfordert eine spezielle Diagnostik und Therapie und ist zumindest bei erstmaligem Auftreten kein Fall für eine Selbstmedikation. Das gilt auch für andere fassbare Ursachen, allen voran die Bandscheibenschäden. Im Wirbelkanal kann eine verschobene oder geschädigte Bandscheibe (Bandscheibenprolaps oder -protrusion) buchstäblich „auf den Nerv gehen“. Entzündungsbedingt können Sehnenansätze der Wirbel schmerzen (Enthesitis/Enthesiopathie). Auch können sich Bandscheibe und angrenzende Wirbel­körper bakteriell infizieren (Spondylodiszitis).

Red Flags

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Folgende „Red Flags“ sind Warnhinweise auf eine ernsthafte Erkrankung und bedingen dringend die ärztliche Abklärung [2]:

  • beinbetonte Schmerzen, Taubheit, Kribbeln (Parästhesien), Lähmungserscheinungen (Paresen), Blasen- und/oder Mastdarmstörung: Verdacht auf Bandscheiben-Massenprolaps
  • leichtes Trauma bei Osteoporosepatienten bzw. schweres Trauma, Unfall: Verdacht auf Wirbelkörperfraktur
  • Krebsleiden in der Vorgeschichte, starker nächtlicher Schmerz in Rückenlage, Gewichtsverlust, Nachtschweiß: Verdacht auf Tumor
  • durchgemachte bakterielle Infektion, Eingriff oder Injektionen an Wirbelsäule, starker Klopf- und Druckschmerz: Verdacht auf Spondylodiszitis

Nicht-medikamentöse Therapie: macht mobil

Neben der körperlichen Aktivität, der entängstigenden Beratung und der medikamentösen Therapie gibt es eine Reihe nicht-medikamentöser Maßnahmen. Unter diesen werden von der Nationalen VersorgungsLeitlinie bei unspezifischen Kreuzschmerzen empfohlen [2]:

Aktivität statt Bettruhe:

Generell soll der Patient gewohnte körperliche Aktivitäten möglichst weitgehend beibehalten oder schrittweise wieder aufnehmen. Dies beschleunigt die symptomatische Besserung und hilft, der Chronifizierung vorzubeugen. Von Bettruhe wird abgeraten. Bettruhe hat bei akuten nicht-spezifischen Kreuzschmerzen entweder keinen Effekt oder verstärkt sogar die Schmerzen und verzögert die Genesung, wie kontrollierte Studien mehrfach gezeigt haben. Selbst bei radikulärer Symptomatik (ausstrahlende Schmerzen) erscheint die Empfehlung von Bettruhe nicht gerechtfertigt [4]. Hier kann akut die Stufenlagerung helfen (s. Kasten „Stufenlagerung bei akuten Kreuzschmerzen mit radikulärer Symptomatik“).

Stufenlagerung bei akuten Kreuzschmerzen mit radikulärer Symptomatik

Eine Stufenlagerung entlastet das Bandscheibengewebe und kann den Druck auf die Nervenwurzeln reduzieren. Dazu legt man sich auf den Boden und bringt Hüft- und Kniegelenke in einen rechten Winkel. Die Unterschenkel werden auf einer passenden Ablage abgestützt, zum Beispiel auf einen Hocker. Es gibt auch spezielle Schaumstoffwürfel in unterschiedlichen Größen. Das Gesäß bis an diesen Aufbau dicht heranschieben, denn nur wenn die Lenden­wirbelsäule flach auf dem Boden liegt und Hüft- und Kniegelenke angewinkelt sind, setzt die gewünschte Druckentlastung ein [nach 4].

Bewegungstherapie: Bei akut auftretenden Kreuzschmerzen ist sie nicht nötig, weil sie nicht wirksamer ist als das Beibehalten der normalen Aktivität. Empfohlen wird sie bei Rückenschmerzen, die sechs Wochen überdauern (subakut/chronisch). Die NVL nennt als Optionen unter anderem Muskeltraining, Aerobic, Dehnungsübungen, Yoga, Pilates und Tai Chi, Alexandertechnik. Die Methoden setzen unterschiedliche Schwerpunkte: Stress abbauen, Verspannungen lösen, Muskeln und Körperbewusstsein trainieren. Was für den Patienten, seine Alltagsumstände und die individuelle Fitness passend ist, sollte er versuchen.

Entspannungsverfahren: Die progressive Muskelrelaxation (PMR) wird zur Behandlung chronischer Kreuzschmerzen empfohlen. Ein Erfolg bei akuten Schmerzen setzt voraus, dass der Patient diese Technik schon eingeübt hat. Das Training der schnellen und tiefen Entspannung dauert in der Regel einige Wochen.

Massagen sind bei Rückenschmerzen janusgesichtig: „Hand anlegen“ kann akute Verspannungen mindern, die Durchblutung bessern und vermutlich schmerzlindernde Botenstoffe freisetzen. Jede Förderung der Passivität steht jedoch im Widerspruch zu dem primären Behandlungsziel der Aktivierung der Betroffenen. Insofern Massagen zum Wohlbefinden beitragen und die Compliance für aktivierende Maßnahmen unterstützen, sind sie zu vertreten.

Wärmetherapie kann im Rahmen des Selbstmanagements in Kombination mit aktivierenden Maßnahmen bei unspezifischen Kreuzschmerzen empfohlen werden. Zwei Studien zur Wirksamkeit von Wärmepflastern bei Patienten mit akuten Kreuzschmerzen wiesen kurzzeitige positive Effekte auf die Schmerzintensität und die Beweglichkeit nach. Körperliche Aktivität steigert den positiven Effekt. Die gängigen Wärmepflaster und -auflagen (z. B. SOS® Wärme-Pflaster, Thermacare®) enthalten Eisenpulver, das nach dem Öffnen der Pads mit Luftsauerstoff reagiert. Die freigesetzte Wärme erreicht rund 40 °C und bleibt über acht Stunden konstant, wie aktuelle Tests bestätigten [9]. Pflaster wie ABC® Wärme-Pflaster Capsicum oder Rheumaplast® enthalten Capsaicin, das zu einer Reizung der Haut und zu Wärmeempfindung führt, die mehrere Stunden anhalten kann. Für empfindliche Haut stehen Pflaster mit Nonivamid zur Verfügung (z. B. ABC® Wärme-Pflaster sensitive, RheumaMed® Wärmepflaster), einer synthetischen Version von Capsaicin, die wärmend, hyperämisierend und nach wiederholter Anwendung analgetisch wirkt. Rotlicht, Wärmflasche und Vollbad sind weitere Optionen. Achtung: Steigern Wärmeanwendungen den Schmerz, ist die Diagnose ärztlich zu überprüfen (Verdacht auf Tumoren oder Entzündungen).

Akupunktur: Sie erzielt kurzfristig positive Akutschmerzlinderung ohne Effekte auf die körperliche Funktionsfähigkeit. Die NVL formuliert, dass Akupunktur „bei unzureichendem Erfolg symptomatischer und medikamentöser Therapien in Kombination mit aktivierenden Maßnahmen in möglichst wenigen Sitzungen“ bei akuten Kreuzschmerzen angewendet werden kann. Bei chronischen Schmerzen wird sie ohne diese Einschränkungen empfohlen und ist GKV-­erstattungsfähig.

Was nicht empfohlen wird: Die Negativliste der Nationalen VersorgungsLeitlinie ist länger als die Positivliste. Keine ausreichend belegte Wirksamkeit bei akuten Kreuzschmerzen haben unter anderem Ergotherapie, Kinesio-Taping, Lasertherapie, Magnetfeldtherapie, medizinische Hilfsmittel wie Orthesen, perkutane und transkutane elektrische Nervenstimulation (PENS/TENS), Kältetherapie und therapeutischer Ultraschall. Gemeinsam ist diesen Therapieformen, dass sie die Passivität fördern, was im Widerspruch zu dem primären Behandlungsziel steht, die Betroffenen zu mobilisieren.

Arzneimittel: So viel wie nötig, so wenig wie möglich

Die medikamentöse Therapie unspezifischer Kreuzschmerzen ist eine rein symptomatische Maßnahme, gleichwohl oft unverzichtbar. Wenn der Schmerz heftig, die Verspannungen stark ausfallen, unterstützt oder ermöglicht sie, dass die Betroffenen frühzeitig wieder aktiv werden. Es gelten die Prinzipien

  • stufenweise Dosistitration zum Erreichen einer relevanten Schmerzlinderung und Mobilisierung mit der geringsten effektiven Dosis,
  • zeitiges Ausschleichen bzw. Absetzen der Medikation mit Besserung der Symptomatik,
  • Beachtung der Nebenwirkungen und Kontraindikationen insbesondere bei nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) [2].

Orale NSAR sind nach wie vor die Mittel erster Wahl. Ihre schmerzlindernde und funktionsverbessernde Wirksamkeit ist bei akuten und chronischen unspezifischen Kreuzschmerzen gut belegt. Die NVL empfiehlt die Wirkstoffe Ibuprofen, Diclofenac und Naproxen, zwischen deren Wirksamkeit bei Rückenschmerzen keine wesentlichen Unterschiede bestehen. In verschreibungsfreier Dosierung sind sie zugelassen für leichte bis mäßig starke Schmerzen; in höherer Dosis bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen und Reizzuständen bei degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen (s. Tab. 1).

Tab. 1: Im Rahmen der Selbstmedikation zugelassene Wirkstoffe für leichte bis mäßig starke Schmerzen(nach: [2, 6])
Tages-Maximal­dosis (laut NVL)
Maximaldosis bei unzureichender Wirkung
rezeptfrei bis
relatives Risiko für GIT-Komplikationen (rezeptfreie Dosierung)
relatives Risiko für Myokardinfarkt
Ibuprofen
1200 mg
2400 mg
1200 mg (400 mg 3 × täglich)
1,84
1,14
Diclofenac
100 mg
150 mg
75 mg (25 mg 3 × täglich)
3,34
1,38
Naproxen
750 mg
1250 mg
750 mg (250 mg 3 × täglich)
4,10
1,06

Auch bei kurzzeitiger Anwendung von NSAR sind Kontraindikationen abzufragen: Ein erhöhtes Risiko für Komplikationen im Bereich des Magen-Darm-Trakts haben generell ältere Menschen (über 65 Jahre) und Patienten mit einer Vorgeschichte von Magenschleimhautentzündung, Ulcus oder einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung. Kontraindikationen bestehen für Asthmatiker und bei schweren Formen von Nieren- und Leberfunktionsstörungen und Herzinsuffizienz. Abzuklären ist wegen des Blutungsrisikos auch die gleichzeitige Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS, auch niedrig dosiert) und anderen Gerinnungshemmern sowie Antidepressiva aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI). Ibuprofen hebt bei zeitgleicher und hochdosierter Gabe die kardioprotektive Wirkung von ASS auf; ein Ausweg ist die Einnahme mindestens zwei Stunden nach der Gabe von ASS oder das Ausweichen auf andere NSAR [5]. Alle Cyclooxygen­asehemmer (einschließlich der COX-2-Inhibitoren) erhöhen leicht das kardiovaskuläre Risiko – mit Ausnahme von Naproxen, das aber am wenigsten schleimhautverträglich ist [6].

Für die topische Anwendung von NSAR bei unspezifischen Kreuzschmerzen liegen laut NVL keine positiven Studien vor. Bekanntlich können aber durch dermale Applikation, beispielsweise von Diclofenac, therapeutisch wirksame systemische Blutspiegel erzielt werden. Dabei ist ein im Vergleich zur peroralen Gabe verzögerter Wirkeintritt (langsames Anfluten über vier bis sechs Stunden) zu berücksichtigen, außerdem das Irritationspotenzial für die Haut [10].

Für Paracetamol wurde in neuen Metaanalysen keine Verbesserung der Schmerzen oder der Funktionsfähigkeit bei Patienten mit akuten oder chronischen Kreuzschmerzen nachgewiesen, verglichen mit Placebo. Dennoch hält die NVL ein erfahrungsbasiertes Hintertürchen offen: einen Therapieversuch bei akuten Kreuzschmerzen oder bei einer kurzen Exazerbation chronischer Schmerzen. Denn die Substanz ist im Vergleich zu NSAR nebenwirkungsarm. Starke Effekte sind aber bei der empfohlenen Tagesdosis von 3 g Paracetamol nicht zu erwarten.

Nicht (mehr) empfohlen zur Behandlung akuter und chronischer Kreuzschmerzen werden Flupirtin und Muskelrelaxanzien. Eine bessere Alternative bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeit von NSAR könnte Metamizol sein, das aber der Verschreibungspflicht unterliegt. Metamizol ist zur Behandlung akuter und chronischer starker Schmerzen zugelassen, wenn andere Analgetika kontraindiziert sind – und ebenfalls vergleichsweise nebenwirkungsarm. Die Häufigkeit der vielzitierten Agranulozytose ist trotz steigender Verordnungszahlen seit Jahren nicht gestiegen [11].

Pflanzenkraft bei Kreuzschmerz

Ein 2014 veröffentlichter Cochrane Review untersuchte Phytotherapeutika bei Kreuzschmerzen [7]. Demnach waren Extrakte aus Weidenrinde (Salicis cortex, von Salix alba), standardisiert auf 240 mg Salicin, kurzfristig wirksam, ohne wesentlich die Thrombozytenaggregation zu hemmen. Besser als Placebo schnitt auch Teufelskrallenwurzel ab (von Harpagophytum procumbens), standardisiert auf 50 mg oder 100 mg Harpagoside. Extrakte beider Pflanzen erzielten Effekte ähnlich 12,5 mg Rofecoxib. Weidenrinde ist von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zum „allgemein medizinisch anerkannten Gebrauch aufgrund vorliegender Untersuchungen zu Wirksamkeit und Unbedenklichkeit“ (= well-established use) zur kurzzeitigen Linderung von Kreuzschmerzen zugelassen. Teufelskralle führt die EMA lediglich als traditionelles Arzneimittel bei geringfügigen Gelenkschmerzen. Auch aufgrund der geringeren Studienqualität sieht die NVL von einer Empfehlung der Teufelskralle ab, lässt aber Weidenrinde zur Behandlung chronischer Kreuzschmerzen zu. Von Weidenrinde ist kein apothekenpflichtiges Präparat auf dem Markt.

Capsaicin, der Scharfstoff aus Chili (Capsicum annuum), desensibilisiert nach anfänglichem Brennen schmerzleitende Fasern. Externa mit Capsaicin können in Selbstmedikation in Kombination mit körperlicher Aktivierung bei Kreuzschmerzen angewendet werden; dafür sprechen laut Cochrane-Report zwei Studien bei Patienten mit chronischen Schmerzen und eine bei Patienten mit Akutschmerz. Eine EMA-Monografie bestätigt den „well-established use“ von Capsaicin zur kurzzeitigen Linderung von Muskelschmerzen. Beinwell (Symphytum officinale) ist in Salbenform erhältlich und war als Wurzelextrakt in einer Studie mit 120 Patienten mit Kreuzschmerzen besser wirksam als Placebo. Die Autoren der NVL raten aber Aufgrund des geringen Evidenzniveaus eher von der Anwendung beinwellhaltiger Creme bei nicht-spezifischen Kreuzschmerzen ab.

Risiko der Chronifizierung erkennen

In der Behandlung von Rückenschmerzen geht es nicht allein um die akute Schmerzlinderung (s. Tab. 2). Langfristig wichtig aus Sicht des Patienten ist es, eine langwierige, leidvolle und kostenintensive Chronifizierung der Schmerzen zu vermeiden. Unzureichend behandelte Schmerzen können Spuren im ZNS hinterlassen, die die Empfindlichkeit für Schmerz steigern (Hyperalgesie). Die neuroplastischen Veränderungen werden häufig als „Schmerzgedächtnis“ bezeichnet. Durch fortbestehende synaptische Übererregung bleiben Schmerzreize auch bei minimaler oder ausbleibender nozizeptiver Reizung bestehen. Der Chronifizierungsgrad kann mit wissenschaftlichen Werkzeugen wie dem Mainzer Stadienmodell erhoben werden, das eine strukturierte Schmerzanamnese beim Arzt voraussetzt. Aber auch in der Offizin können wesentliche Hinweise auf eine drohende Chronifizierung erfragt werden.

Tab. 2: Beratung von Patienten mit Rückenschmerzen
Prinzip
Beschreibung
akute Schmerzen und Beeinträchtigungen aktiv erfragen (v. a. ältere Menschen berichten oft nur zurückhaltend)
  • Lokalisation? (nur unterer Rücken, ausstrahlend)
  • akute Auslöser? (akute Belastung, Trauma)
  • Dauer? (akut, chronisch, wiederkehrend)
  • Schwere? (eventuell Schmerzskalen einsetzen)
spezifische Ursachen ausschließen
„Red flags“ bedürfen dringend der ärztlichen Abklärung: Verdacht auf Bandscheiben­prolaps, Wirbelkörperfraktur, Tumorleiden, Spondylodiszitis, Spinalkanalstenose
negative Emotionen entschärfen,
„entängstigende Beratung“:
sofern keine Hinweise auf spezifische Ursachen vorliegen, die Gutartigkeit betonen:
  • akute Kreuzschmerzen sind sehr häufig
  • akute Kreuzschmerzen sind gutartig, Selbstheilung oft binnen sechs Wochen
  • Kreuzschmerzen sind keine Organschäden
  • selbst degenerative Veränderungen sind normal und meist harmlos
  • körperliche Aktivität ist ungefährlich
suffiziente Schmerztherapie
adäquate Medikation unter Berücksichtigung individueller, altersspezifischer Risiken und Wechselwirkungen und im Verbund mit Aktivierungsmaßnahmen empfehlen
passive Schmerzlinderung zur Erleichterung der Mobilisierung
solange der Patient noch nicht in der Lage ist, sich aktiv zu bewegen: nicht-medikamentöse Maßnahmen empfehlen:
  • Wärmepacks
  • Massage
  • Muskelrelaxation nach Jacobson
aktive Mobilisierung
  • körperliche Aktivität statt Bettruhe
  • Bewegungsübungen
  • individuell geeignete Sportarten, z. B. Radeln, Walking, Wassergymnastik, Schwimmen, Yoga, Tai-Chi
Schmerzchronifizierung vorbeugen
auf Risikofaktoren wie psychosoziale, berufliche und private Belastungen hinweisen (s. Tab. 3)
Ratschläge zur Vorbeugung geben
  • Training der Rücken- und Bauchmuskulatur (zertifizierte Fitnessstudios)
  • den Alltag körperlich aktiver gestalten: Treppe statt Lift, Fußweg/Rad statt Auto u. ä.
  • Fehlhaltungen vermeiden: kein monotones Sitzen, „dynamisch“ sitzen, öfter auf­stehen, Bewegungsübungen einflechten, Balancestuhl oder Sitzball verwenden (Stichwort: Bürogymnastik)
  • richtig heben: Rücken gerade, Beine statt Kreuz belasten
  • Entspannungstechnik erlernen (Muskelrelaxation)
  • bei chronischen Schmerzen: Rückenschulkurs (teils GKV-erstattungsfähig)

Hinweise auf dieses Risiko liefern unter anderem der zeitliche Schmerzverlauf (akut rezidivierend oder chronisch, also länger als zwölf Wochen?), die eingenommenen Medikamente, häufige Arztbesuche und – mit erstaunlich hoher Evidenz – Vitalitätsverlust, Depressivität und negativer Stress (Distress). Zahlreiche Untersuchungen stimmen darin überein, dass psychosoziale Belastung per se einen Risikofaktor für eine Chronifizierung von Kreuzschmerzen darstellt. Das gilt für berufliche Verhältnisse (Unzufriedenheit, Mobbing am Arbeitsplatz) wie auch für private. Anfälliger für Rückenschmerzen sind einerseits Menschen, die körperliche Schwerarbeit leisten (Tragen, Heben schwerer Lasten), andererseits aber auch jene mit bewegungsarmer, monotoner Körperhaltung, die zum Beispiel stundenlang vor Monitoren sitzen. Interessanterweise spielen auch die Überzeugungen und Einstellungen der Behandler eine Rolle für die Chronifizierung von Kreuzschmerzen (s. Tabelle 3).

Tab. 3: Risikofaktoren für die Chronifizierung akuter Kreuzschmerzen
Faktoren
Beispiele
psychische Faktoren „yellow flags“
  • Depressivität
  • Distress
  • Katastrophisieren, Hilf-/Hoffnungslosigkeit
  • Schonungs- und Angstvermeidungs-Verhalten
berufliche Faktoren (physisch)
  • körperliche Schwerarbeit: ständiges schweres Heben (über 25 kg)
  • Ganzkörpervibrationen
  • monotone Körperhaltung (PC-Arbeit)
berufliche Faktoren (psychisch)
  • Distress, Zeitdruck
  • geringe Qualifikation, keinen Einfluss auf Arbeitsgestaltung
  • Kränkungsverhältnisse am Arbeitsplatz, chronischer Arbeitskonflikt (Mobbing)
iatrogene Faktoren
  • übertriebene Diagnostik
  • Überbewertung somatischer/radiologischer Befunde
  • lange, schwer begründbare Krankschreibung
  • passive Therapiekonzepte
privater Lebensstil
  • Rauchen, Alkohol
  • Übergewicht
  • sitzender Lebensstil
  • Bewegungsmangel
  • geringe körperliche Kondition

Bessern sich Kreuzschmerzen nach einigen Wochen nicht oder kehren immer wieder, ist der Patient ein Kandidat für ein multimodale Therapie, die Schmerz-, Psycho- und Bewegungstherapien integriert. |

Literatur

[1] Schuler M (Hrsg.). Schmerztherapie beim älteren Patienten. Verlag de Gruyter 1. Auflage 2016

[2] Nicht-spezifischer Kreuzschmerz, Nationale VersorgungsLeitlinie, Langfassung. 2. Auflage, 2017, Version 1, AWMF-Register-Nr.: nvl-007

[3] Rückenschmerzen. Die wichtigsten Fragen rund um den Rückenschmerz, Informationen der Deutschen Schmerzliga, schmerzliga.de/rueckenschmerzen.html

[4] Empfehlungen zur Therapie von Kreuzschmerzen. Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AKdÄ), Arzneiverordnung in der Praxis, 3. Auflage 2007

[5] Arzneimittel-Informationsstelle der Bayerischen Landesapothekerkammer 2005

[6] Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft: UAW–News International - Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) im Vergleich: Risiko von Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt, Herzinfarkt und Schlaganfall. Dtsch Ärztebl 2013;110(29-30): A-1447 / B-1271 / C-1255

[7] Oltean H et al. Herbal medicine for low-back pain. Cochrane Database Syst Rev 2014;12:CD004504. DOI: 10.1002/14651858.CD004504.pub4, www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25536022

[8] Hestbaek L et al. Low back pain: what is the long-term course? A review of studies of general patient populations. Eur Spine J 2003;12(2):149-165

[9] Müller C. Öko-Test - Welche Wärmepflaster sind die besten? 2. Oktober 2017, www.deutsche-apotheker-zeitung.de

[10] Brune K. Transdermale Analgetika - Vorteile gegenüber oraler Schmerztherapie? DAZ 2010;20:48ff

[11] Herdegen T. Pharmako-logisch! Update: Nicht-steroidale Analgetika. DAZ 2016;48:47ff

Autor

Ralf Schlenger ist Apotheker und arbeitet als freier Autor und Medizinjournalist in München.

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