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Beratung
Glucosemessung in Echtzeit
Real-Time-Messgeräte geben Patienten mit Diabetes mehr Sicherheit
Die intensivierte Insulintherapie bietet Diabetikern die Freiheit, die Insulingaben auf Zeitpunkte, Art und Menge der Mahlzeiten abzustimmen. Allerdings sind mindestens sechs Blutglucosemessungen pro Tag notwendig, um die Insulinmenge an den Bedarf anzupassen. Gerade bei stark wechselnden Belastungen und Tagesabläufen kommt es dennoch immer wieder zu Blutzuckerspitzen und Hypoglykämien. Denn die Blutglucosemessung hat einen entscheidenden Nachteil: Sie liefert immer nur eine Momentaufnahme – ob der Blutzucker gerade steigt oder fällt, geht aus dem Wert nicht hervor. Hier setzt die kontinuierliche interstitielle Glucosemessung an.
Funktionsweise
Bei der rtCGM wird ein fadenförmiger Sensor mithilfe einer Nadel in das Unterhautfettgewebe eingeführt. Der Sensor misst den Glucosegehalt in der Gewebeflüssigkeit zwischen den Zellen (Interstitium) und überträgt die gemessenen Werte mittels Sender auf ein kleines, tragbares Empfangsgerät. Die interstitielle Glucosemessung erfolgt alle fünf Minuten, und das Empfangsgerät zeigt sowohl den aktuellen Wert als auch den Trend an. So weiß der Patient beispielsweise vor körperlicher Aktivität, ob sein Glucosewert gerade tendenziell steigt oder fällt, und kann entsprechend gegensteuern.
Der Sensor ist ein Einwegartikel, der meist nach sieben Tagen gewechselt werden muss. Dieser wird beispielsweise in das Gewebe am Bauch oder Gesäß eingebracht. Er befindet sich in einer Halterung, die auf die Haut aufgeklebt wird und mit dem Sender verbunden wird. Beides wird zusätzlich mit den im Set enthaltenen Pflastern fixiert. Das kleine, tragbare Empfangsgerät erhält per Funk die Daten vom Sender, dessen Reichweite bei den einzelnen Geräten verschieden ist. Der Empfänger ist teilweise in Insulinpumpen oder Blutglucosemessgeräten integriert. Einen Überblick der am Markt befindlichen Geräte gibt Tabelle 1.
Gerät, Hersteller |
Verweildauer des Sensors |
Kalibrierung |
Messfrequenz |
Anmerkung |
---|---|---|---|---|
rtCGM-Geräte mit eigenem Empfänger | ||||
Dexcom G5 Mobile, Nintamed |
7 Tage |
alle 12 Stunden |
alle 5 Minuten |
kompatibel mit Dexcom G5 Mobile Empfänger und Apple-Mobiltelefonen |
Dexcom G4 Platinum, Nintamed |
7 Tage |
alle 12 Stunden |
alle 5 Minuten |
kompatibel mit dem Dexcom G4 Empfänger |
FreeStyle Navigator II, Abbott |
5 Tage |
nach 1, 2, 10, 24, 72 Stunden |
jede Minute |
Empfänger enthält FreeStyle Lite Blutglucose-Messgerät |
GuardianTM Connect*, Medtronic
|
6 Tage |
alle 12 Stunden |
alle 5 Minuten |
kompatibel mit Apple-Mobiltelefonen |
Mit Insulinpumpen kombinierte rtCGM-Geräte | ||||
MiniMed® 640G mit Guardian™ 2 Link Transmitter, Medtronic
|
6 Tage |
alle 12 Stunden |
alle 5 Minuten |
mit Insulinpumpe MiniMed® 640G
|
MiniMed® VeoTM MiniLink Real-Time Transmitter, Medtronic
|
6 Tage |
alle 12 Stunden |
alle 5 Minuten |
mit Insulinpumpe MiniMed® VeoTM
|
Animas Vibe Platinum, Nintamed |
7 Tage |
alle 12 Stunden |
alle 5 Minuten |
Dexcom G4 Platinum mit Insulinpumpe Animas Vibe |
* ab Januar 2017 verfügbar |
Für wen rtCGM?
Im September 2016 trat in Kraft, was der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bereits im Juni beschlossen hatte: Die rtCGM darf zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbracht werden. Hierfür müssen jedoch folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- insulinpflichtiger Diabetes mellitus,
- behandelt mit intensivierter Insulintherapie.
- Individuelles Therapieziel wird nicht erreicht.
- Qualitätssichernde Maßnahmen werden erfüllt.
Als qualitätssichernde Maßnahmen sind festgelegt:
- Die Verordnung muss von einem Facharzt ausgestellt werden (Fachärzte für Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie bzw. Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendmedizin mit der Anerkennung „Diabetologie“ bzw. mit vergleichbarer Qualifikation).
- Der Patient muss zeitnah im Umgang mit dem rtCGM-System geschult werden.
- Arzt und Patient legen ein individuelles Therapieziel unter Nutzung der rtCGM fest und überprüfen die Zielerreichung.
- Das rtCGM-System muss ein zugelassenes Medizinprodukt sein. Es muss möglich sein, individuelle Grenzwerte für zu hohe und zu niedrige Messwerte einzustellen, bei deren Über- bzw. Unterschreiten ein Alarmton den Patienten warnt.
- Es muss möglich sein, die Messwerte ohne Zugriff Dritter (z. B. der Hersteller) zu nutzen.
Alternative zur Blutglucosemessung?
Mit der kontinuierlichen interstitiellen Glucosemessung kann allerdings nicht komplett auf die konventionelle Blutglucosemessung verzichtet werden. Hierfür gibt es zwei Gründe:
- Einerseits hinkt der Glucosewert in der Gewebeflüssigkeit dem Blutglucosewert hinterher. Die zeitliche Verzögerung beträgt etwa 5 bis 20 Minuten.
- Andererseits muss das elektrochemische Messprinzip der Sensoren kalibriert werden, indem ein Zusammenhang zur enzymatischen Blutglucosebestimmung hergestellt wird. Hierfür muss der Patient zu bestimmten Zeitpunkten, nachdem er einen neuen Sensor ins Gewebe eingebracht hat, den Blutglucosewert bestimmen (meistens alle 12 Stunden; s. Tab. 1).
Ein rtCGM-System ersetzt somit die Blutglucosemessung nicht vollständig.
FreeStyle Libre
Im Gegensatz zu den in der Tabelle 1 aufgeführten Geräten, ist das FreeStyle Libre ein Gerät zum sogenannten Flash-Glucose-Monitoring. Es bietet keine Alarmfunktion, weshalb der Patient durch aktives Scannen des Sensors die interstitiellen Glucosewerte regelmäßig auslesen muss. Damit erfüllt das Gerät nicht die Vorgaben des G-BA für die kontinuierliche Glucosemessung in Echtzeit, sodass es vom aktuellen Beschluss zur Erstattungsfähigkeit nicht erfasst wird. Dass es FreeStyle Libre dennoch geeignet ist, den HbA1c -Wert zu verbessern und das Hypoglykämie-Risiko zu reduzieren, zeigte eine aktuelle Studie [7]. Vor dem Beschluss des G-BA erstatteten manche gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für das FreeStyle Libre auf Antrag. Wie die Kostenerstattung in Zukunft geregelt wird, muss sich zeigen.
Wie profitieren die Patienten?
Mit der rtCGM erhalten die Patienten eine kontinuierliche Aufzeichnung ihrer Glucosewerte. Dadurch können oftmals bislang unerkannte Glucosespitzen identifiziert und die Therapie angepasst werden. Ebenso können drohende Hypoglykämien frühzeitig erkannt werden, sodass seltener schwere oder schwerwiegende Hypoglykämien auftreten. Inwiefern mikro- und makrovaskuläre Folgeerkrankungen und die Lebensqualität positiv beeinflusst werden, ist bisher nicht ausreichend durch Studien belegt.
Wie erhält ein Patient ein rtCGM-Gerät?
Ein Patient erhält ein rtCGM-Gerät erst, nachdem ein Facharzt die medizinische Notwendigkeit festgestellt hat. Diese kann bei einem erwachsenen Typ-1-Diabetiker gegeben sein, der in der Vergangenheit wiederholt schwere Hypoglykämien hatte und dessen Therapieziel (HbA1c -Wert) als nicht erreicht gilt. Bei diesen Patienten stellte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) einen belegten Nutzen fest.
Wenn der Facharzt die medizinische Notwendigkeit festgestellt und ein Rezept über ein rtCGM-Gerät ausgestellt hat, kann der Patient einen Antrag auf Kostenübernahme bei seiner Krankenkasse stellen. Zahlreiche Hersteller unterstützen die Patienten hierbei oder stellen den Antrag bei der GKV selbst. Folgende Unterlagen sind in der Regel einzureichen:
- Rezept des Facharztes über das rtCGM-Gerät,
- Gutachten des Facharztes über die medizinische Notwendigkeit,
- Kostenvoranschlag des Herstellers des rtCGM-Gerätes,
- gegebenenfalls Anschreiben des Patienten.
Eine Vorlage, was aus dem Antrag hervorgehen sollte, finden Patienten auf der Homepage der Deutschen Diabetes Hilfe: https://menschen-mit-diabetes.de.
Der Antrag wird vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen geprüft. Bereits vor dem Beschluss des G-BA im Juni 2016 hatten die Krankenkassen bei etwa jedem zweiten rtCGM-Nutzer die Kosten übernommen.
Wo erhält der Patient Gerät und Zubehör?
Der Patient wird bei der Beantragung der Kostenübernahme und dem Bezug der Materialien von der diabetologisch spezialisierten Arztpraxis oder Klinik unterstützt. Da für den Antrag auf Kostenübernahme ein Kostenvoranschlag des Herstellers notwendig ist, erfolgt die Versorgung mit dem Gerät und Zubehör meist vom Hersteller direkt und nicht über die Apotheke.
Wie kann die Apotheke helfen?
Häufige Fragen zu den rtCGM-Geräten betreffen vor allem die Fixierung von Sensor und Sender auf der Haut. So kann die Frage nach wasserfesten Pflastern zum Schwimmen und Duschen aufkommen. In der Regel sind Sensor und Sender bis zu einer bestimmten Wassertiefe (z. B. 2 m) wasserdicht und können beispielsweise 30 Minuten im Wasser getragen werden. Damit das feuchte Fixierpflaster die Haut nicht reizt, ist es dennoch sinnvoll, vor dem Wasserkontakt ein transparentes Folienpflaster zum Schutz vollständig darüber zu kleben (z. B. Hydrofilm Roll, Fixomull transparent). Während Schwimmen mit dem Sensor gut möglich ist, ist ein Saunagang nicht empfehlenswert, da er das elektrochemische System des Sensors stören würde.
Bei manchen Patienten löst sich das Fixierpflaster des Sensors beispielsweise durch Schweiß überdurchschnittlich schnell ab. Ihnen kann der Apotheker sagen, dass eine Desinfektion der Hautstelle vor dem Anlegen des Sensors die Haftung verbessert. Ist dies nicht ausreichend, können die Klebewirkung und die Verträglichkeit beispielsweise mit Sensi-Care oder Skin-Prep Hautschutztüchern erhöht werden. Auch Tape-Pflaster eignen sich zur besseren Fixierung.
Eine der häufigsten Nebenwirkungen sind Hautirritationen durch den Kleber der Fixierpflaster oder des Sensors. Bei sehr sensibler Haut kann als Hautschutz beispielsweise Cavilon Sprayfolie, Askina Barrier Film oder Secura aufgetragen werden. Diese bieten ebenso wie die Sensi-Care und Skin-Prep Tücher eine Hautschutzbarriere und können Irritationen reduzieren.
Um Kleberückstände von Pflastern zu entfernen, kann ein Hautdesinfektionsmittel, Babyöl oder ein Pflasterentferner wie Remove oder Dermasol eingesetzt werden.
Fazit
Mithilfe der rtCGM-Technologie können Diabetiker mit intensivierter Insulintherapie ihre Stoffwechseleinstellung verbessern und brauchen nur noch wenige Blutglucosemessungen durchzuführen. Auch wenn die Versorgung mit den Geräten und dem Zubehör in der Regel nicht über die Apotheke läuft, tauchen viele ratlose Patienten in der Apotheke auf. Neben dem notwendigen Hintergrundwissen zur rtCGM-Technik sind es die passenden Produkte z. B. zur Fixierung beim Schwimmen und zur Prävention von Hautirritationen, die die Apotheke für Patienten mit rtCGM-Geräten zur wichtigen Anlaufstelle machen. |
Quellen
[1] Gemeinsamer Bundesausschuss. Kontinuierliche Glucosemessung mit Real-Time-Messgeräten künftig GKV-Leistung für insulinpflichtige Diabetiker. Pressemitteilung vom 16. Juni 2016, www.g-ba.de/institution/presse/pressemitteilungen/623
[2] Informationen der Hersteller von rtCGM-Geräten
[3] Gemeinsamer Bundesausschuss. Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung: Kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten (rtCGM) zur Therapiesteuerung bei Patientinnen und Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes. 16. Juni 2016, www.g-ba.de/downloads/39-261-2623/2016-06-16_MVV-RL_rtCGM_BAnz.pdf
[4] Liebl A, et al. Evidenz und Konsensus für den klinischen Einsatz von CGM. Diabetes Stoffwechsel Herz 2012;21:32-47
[5] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Abschlussbericht D12-01, Version 1.0, Kontinuierliche Glucosemessung (CGM) mit Real-Time-Messgeräten, www.iqwig.de/download/D12-01_Kurzfassung_Abschlussbericht_Kontinuierliche-Glukosemessung-mit-Real-Time-Messgeraeten.pdf
[6] Deutsche Diabetes Hilfe. Leitfaden zur Beantragung von CGM Systemen. https://menschen-mit-diabetes.de/leitfaden-zur-beantragung-von-cgm-systemen
[7] Bolinder J, et al. Novel glucose-sensing technology and hypoglycaemia in type 1 diabetes: a multicentre, non-masked, randomized controlled trial. Lancet 2016;388(10057):2254-63
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