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DAZ aktuell
Kränker kodieren ist rechtswidrig!
Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums zu Abrechnungspraktiken der Kassen
Über die Verteilung der Gelder aus dem Gesundheitsfonds an die einzelnen Kassen entscheidet der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Dabei gilt: Für kranke und alte Versicherte erhalten die Kassen pauschale Zuschüsse zu einer Grundpauschale. In einem Artikel der „Welt“ wurde den Kassen vorgeworfen, sie würden Dienstleister beauftragen, um Ärzte anzuhalten, ihren Patienten möglichst viele Diagnosen zu stellen – und sogar Patienten anrufen zu lassen, um unnötigerweise mal wieder zum Arzt zu gehen, damit diese so in eine „wertvollere“ Morbi-RSA-Kategorie geraten.
Die Linken-Fraktion im Bundestag hat die Regierung nun in einer kleinen Anfrage mit den Vorwürfen konfrontiert und eine Stellungnahme gefordert. „Die Honorierung eines Leistungserbringers allein für ein bestimmtes Abrechnungs- oder Kodierverhalten ohne die Vereinbarung konkreter Versorgungsleistungen zugunsten des Versicherten“ erfüllten die nötigen gesetzlichen Voraussetzungen nicht, erklärt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in einer Antwort auf die Kleine Anfrage. Ärzte dürften ohnehin keine unangemessenen Diagnosen vergeben. „Stellen Vertragsärztinnen oder Vertragsärzte andere Diagnosen aus und übermitteln diese an die KV oder Krankenkassen, verstoßen sie gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten“, betont das Ministerium. Verträge, die die Aufzeichnung und Übermittlung von medizinisch nicht begründeten Diagnosen beinhalten, seien „auch jetzt schon rechtswidrig und damit unzulässig“. Die Verwendung von Beitragsmitteln „im Wettbewerb um die vermeintlich beste Diagnosekodierung anstatt um die beste Versorgung“ würde den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit widersprechen.
Kein systematisches Up-Coding
Allerdings sieht das BMG in den Daten des Bundesversicherungsamtes „keine Hinweise auf systematische Aktivitäten eines Up-Coding“. Zwar sei die Zahl der Diagnosen, die innerhalb des Morbi-RSA berücksichtigt werden, innerhalb der letzten Jahre stärker gestiegen als sonstige Diagnoseschlüssel – doch die Daten seien „mit Vorsicht zu interpretieren“.
AOK akzeptierte Strafe von 1,4 Millionen Euro
Aktuell sind nach Angabe des BMG jedoch verschiedene Klagen anhängig, mit denen Krankenkassen gegen Kürzungen ihrer Zuweisungen vorgehen. Gegen die wohl umfangreichste Rückforderung von Zuweisungen durch das BVA war die AOK Rheinland/Hamburg gerichtlich vorgegangen – hat vor Kurzem die Klage allerdings wieder zurückgezogen. Auch hier ging es um nachträgliche Korrekturen von Diagnosen, die nach Ansicht des BVA illegal waren. Die AOK Rheinland/Hamburg akzeptierte nicht nur eine Rückzahlung von 5,6 Millionen Euro, sondern auch eine Strafe von weiteren 1,4 Millionen Euro. Manipulationsvorwürfe weist die AOK Rheinland/Hamburg jedoch „entschieden zurück“: Die Einstellung des Verfahrens sei nur eine pragmatische Lösung gewesen. Es sei keinesfalls darum gegangen, „Versicherte kränker zu machen“, sondern die von der Kassenärztlichen Vereinigung gemeldeten korrekten Diagnosen zu übernehmen – wenn beispielsweise Insulin verordnet wurde, ohne Diabetes zu diagnostizieren.
Harald Weinberg, Linken-Sprecher für Krankenhauspolitik und Gesundheitsökonomie im Bundestag, sieht dennoch dringenden Handlungsbedarf. „Offenbar treibt der Kassenwettbewerb nicht nur wenig patientenfreundliche, sondern auch kriminelle Blüten“, erklärte er. „Wenn Kassen und Ärzte zusammen vereinbaren, Mittel der Solidargemeinschaft zu verschwenden, ist das für mich eine Form der Korruption“, betont der Gesundheitspolitiker. „Doch ebenso erschütternd ist es, dass die Aufsichtsbehörden hier auf dem Wettbewerbsauge blind sind und bekannten Praktiken nur sehr unzureichend nachgegangen wurde.“ |
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