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Arzneimittel und Therapie
Cranberry-Zubereitungen ohne Wirkung
Proanthocyanidine schützen ältere Frauen nicht vor Harnwegsinfektionen
Was das für die Wirksamkeit von Cranberry-Saft und für die Empfehlung in der Apotheke bedeutet, kommentiert Prof. Dr. Martin Smollich, Professor für Klinische Pharmakologie und Pharmakonutrition an der Praxishochschule Rheine.
Frühere Studien an älteren Patientinnen, die vor allem mit Cranberry-Saft durchgeführt wurden, hatten hohe Abbrecherquoten, da der Saft unangenehm sauer schmeckt und sich die Therapieadhärenz aufgrund von Schluckstörungen, Harninkontinenz und beeinträchtigtem Durstgefühl schwierig gestaltet [1]. Daher liegt die Untersuchung alternativer Applikationsformen (z. B. Kapseln) nahe. Die aktuelle Studie von Juthani-Mehta et al. (s. Kasten) zur Prävention von Harnwegsinfekten ist methodisch gut gemacht: Die Studienpopulation (Frauen > 65 Jahre) und das Setting (Altenpflegeeinrichtungen) sind ebenso plausibel wie die Endpunkte sowie die Ein- und Ausschlusskriterien. Leider geht weder aus der Studie selbst noch aus den Herstellerangaben der verwendeten Kapseln eindeutig hervor, ob es sich bei dem Produkt um einen (standardisierten) Cranberry-Extrakt oder um isolierte Proanthocyanidine handelte. Höchstwahrscheinlich enthalten die Kapseln jedoch einen Extrakt.
Für die Validität der Studienergebnisse spricht, dass die Teilnehmerinnen in beiden Studiengruppen hinsichtlich möglicher Störfaktoren sehr gut randomisiert waren. Zudem sind die Ergebnisse für sämtliche Endpunkte absolut konsistent: So unterschieden sich die Interventions- und die Kontrollgruppe weder signifikant im primären Endpunkt (Bakteriurie plus Pyurie), noch in allen übrigen sekundären Endpunkten (u. a. Mortalität, Hospitalisierung, symptomatische Harnwegsinfekte). Auch die standardisierte Proanthocyanidin-Dosierung, die relativ hohe Therapieadhärenz sowie der vergleichsweise lange Studienzeitraum von einem Jahr sprechen für die klinische Aussagekraft der Studie. Leider waren in die Studie sowohl Frauen mit als auch ohne Bakteriurie plus Pyurie zum Zeitpunkt des Studienbeginns eingeschlossen (Baseline); damit kann keine differenzierte Aussage darüber getroffen werden, ob die Proanthocyanidin-Kapseln einen Effekt auf die Inzidenz von Bakteriurie und Pyurie besitzen oder ob es bei Frauen mit vorbestehenden Beschwerden zu einer Verbesserung kommt. Zudem wird aktuell davon ausgegangen, dass der postulierte antiadhäsive Effekt von Cranberry-Zubereitungen ohnehin nicht durch die oligomeren Proanthocyanidine vermittelt wird. Nichtsdestotrotz gibt es Supplemente, die diese Proanthocyanidine enthalten, weshalb diese Studienkonzeption dennoch sehr praxisrelevant ist.
Aus methodischen Gründen sind die vorliegenden Studienergebnisse weder auf Männer noch auf Frauen < 65 Jahre übertragbar – vor allem aber auch nicht auf die Anwendung von Cranberry-Saft. Die gewählte Dosis von zweimal 36 mg/d Proanthocyanidinen entspricht ungefähr dem Gehalt von 600 ml Cranberry-Saft, der neben zahlreichen weiteren Inhaltsstoffen vor allen Dingen eine andere, maßgebliche Komponente enthält – nämlich Wasser. Dieser Aspekt scheint für eine mögliche Wirksamkeit von Cranberry-Zubereitungen wesentlich zu sein: So konnte eine andere Studie zeigen, dass Kapseln mit Cranberry-Proanthocyanidinen zur Prävention von Harnwegsinfekten wirksam sind, wenn die Studienteilnehmer zusätzlich zu den Kapseln 500 ml Wasser trinken [2]. Die ausreichende/erhöhte Flüssigkeitszufuhr scheint an der fraglichen Wirksamkeit von Cranberry-Saft also einen erheblichen Anteil zu besitzen, ebenso die Senkung des pH-Wertes des Urins durch die Azidität des Cranberry-Safts [3]. So resultierte der Einsatz von Cranberry-Saft ursprünglich allein aus der Beobachtung, dass er zu einer Harnansäuerung führt. Auch die klinische Relevanz der in vitro gezeigten Adhäsionshemmung von E. coli ist unverändert fraglich.
Positive Studien mit Mängeln
Die Ergebnisse dieser aktuellen Studie stimmen mit früheren klinischen Studien an älteren Frauen überein, die ebenfalls die fehlende Wirksamkeit von Cranberry-Saft [4] oder Proanthocyanidin-Kapseln [5 – 7] belegen; einzelne Studien mit Hinweisen auf eine entsprechende Wirksamkeit weisen dagegen erhebliche methodische Mängel auf (gleichzeitig erhöhte Flüssigkeitszufuhr, Randomisierungsbias) [2, 8].Dies gilt ebenso für andere als die in der aktuellen Studie untersuchte Alterskohorte von über 65 Jahren: Auch bei jungen Frauen sind Cranberry-Zubereitungen zur Prävention rezidivierender Harnwegsinfekte erwiesenermaßen unwirksam und einer antibiotischen Rezidivprophylaxe unterlegen [9, 10]. Deshalb rät das letzte Cochrane-Review zu dieser Frage explizit von der Cranberrysaft-Anwendung zur Prävention von Harnwegsinfekten ab [11].
So wirksam wie Placebo
Juthani-Mehta et al. nahmen 185 Frauen über 65 Jahre (86,4 Jahre im Durchschnitt) in eine placebokontrollierte Studie zur Prävention von Bakteriurie plus Pyurie auf. 92 Frauen erhielten über ein Jahr täglich zwei Kapseln mit je 36 mg Cranberry-Proanthocyanidinen, 93 Frauen Placebo. 145 beendeten die Studie. Eine Bakteriurie plus Pyurie wurde in beiden Gruppen gleich häufig diagnostiziert (29% in der Therapie- und 29,1% in der Placebo-Gruppe).
Quelle: Juthani-Mehta M, et al. JAMA 2016; published online 27. Oktober 2016.
Fazit: Abraten!
Die Wirksamkeit der aktuell verfügbaren Cranberry-Produkte zur Prävention von Harnwegsinfekten ist nicht „strittig“; vielmehr zeigt die vorliegende Studie überzeugend und in Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen, dass entsprechende Zubereitungen für diese Indikation unwirksam sind. In der Beratung sollte auf Basis der wissenschaftlichen Evidenz deshalb auch nicht suggeriert werden, dass diese Produkte „möglicherweise“ wirksam sind – vielmehr sollte aufgrund der erwiesenen Unwirksamkeit von ihrer Anwendung abgeraten werden.
Rezidivierende Harnwegsinfekte sind belastend und können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränken. Deshalb ist es ethisch geboten, bei gegebener Indikation auch wirksame Strategien der Reinfektionsprophylaxe anzuwenden. Diese existieren in Form verschiedener Antibiotika-Regime. Die Entwicklung alternativer, nicht-antibiotischer Ansätze bleibt jenseits der verfügbaren Cranberry-Präparate jedoch unverändert wichtig. |
Quellen
[1] Wotton K et al. Prevalence, risk factors and strategies to prevent dehydration in older adults. Contemp Nurse 2008; 31(1): 44-56.
[2] Foxman B et al. Cranberry juice capsules and urinary tract infection after surgery: results of a randomized trial. Am J Obstet Gynecol 2015; 213(2): 194
[3] Mody L und Juthani-Mehta M. Urinary tract infections in older women: a clinical review. JAMA 2014; 311(8): 844-845.
[4] McMurdo ME et al. Does ingestion of cranberry juice reduce symptomatic urinary tract infections in older people in hospital? A double-blind, placebo-controlled trial. Age Ageing 2005; 34(3): 256-261.
[5] Juthani-Mehta M et al. Feasibility of cranberry capsule administration and clean-catch urine collection in long-term care residents. J Am Geriatr Soc 2010; 58(10): 2028-2030.
[6] van den Hout WB et al. Cost-effectiveness of cranberry capsules to prevent urinary tract infection in long-term care facilities: economic evaluation with a randomized controlled trial. J Am Geriatr Soc 2014; 62(1): 111-116.
[7] Caljouw MA et al. Effectiveness of cranberry capsules to prevent urinary tract infections in vulnerable older persons: a double-blind randomized placebo-controlled trial in long-term care facilities. J Am Geriatr Soc 2014; 62(1): 103-110.
[8] Avorn J et al. Reduction of bacteriuria and pyuria after ingestion of cranberry juice. JAMA 1994; 271(10): 751-754.
[9] Barbosa-Cesnik C et al. Cranberry juice fails to prevent recurrent urinary tract infection: results from a randomized placebo-controlled trial. Clin Infect Dis 2011; 52(1): 23-23.
[10] Beerepoot MA et al. Cranberries vs antibiotics to prevent urinary tract infections: a randomized double-blind noninferiority trial in premenopausal women. Arch Intern Med 2011; 171(14): 1270-1278.
[11] Jepson RG et al. Cranberries for preventing urinary tract infections. Cochrane Database Syst Rev 2012; CD001321.
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