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Fortbildungskongress
Warum wir nur als Metaorganismus existieren können
Bakterien sind Milliarden Jahre alt. Lange vor der Entstehung von Tier oder Pflanze war jedes Substrat auf unserer Erde überzogen von Biofilmen. Wer die Evolution von vielzelligem Leben und die Entwicklung von Zellen verstehen will, müsse feststellen, dass alle komplexen Prozesse entstanden sind auf der Basis von Biofilmen und einer höchst komplexen mikrobiellen Gemeinschaft. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass alle in der Folge entstandenen Organismen von dieser mikrobiellen Gemeinschaft geprägt sind. "Microbes were first" – Mikroben waren zuerst da und machen 90% unseres Organismus aus.
Dabei sind sie nicht einfach zufällige Bewohner. Wir sind koevolviert mit unseren Mikroben. Unser Organismus ist ein Metaorganismus, ein Konglomerat von vielen Organismen, die alle aufeinander angewiesen sind. Alleine unser Darm wird von 2 kg Mikroben besiedelt, und diese Besiedelung ist ganz entscheidend für unseren Gesundheitszustand.
Dabei bestimmt der Wirt, also der Mensch oder das Tier, welche Mikroben mit ihm und in ihm leben. Egal unter welchen Bedingungen die unterschiedlichsten Tierarten einschließlich der Mensch leben, sie haben unterschiedliche und für jede Art charakteristische Mikrobiota.
Fundamentale Regeln
Wie entstehen diese artspezifischen Mikrobiota? Die Prozesse weg von einer hohen hin zu einer geringen Diversität werden, so Bosch, gesteuert durch eine Kommunikation zwischen den Bakterien und Umwelteinflüssen. Im Modellversuch konnte gezeigt werden, dass sie nach fundamentalen Regeln ablaufen, die auch für den Menschen gelten. Wir werden steril geboren und erhalten die ersten Bakterien aus der Vagina der Mutter. Nach einem Kaiserschnitt fehlen diese Bakterien und es muss langfristig mit einer veränderten Mikroflora gerechnet werden. Kaiserschnittkinder sollen nach Bosch krankheitsanfälliger sein, eine Erklärung könnte die andere Keimbesiedelung bieten.
Keine Entwicklung ohne Mikroben
Denn Mikroben sind wichtige Partner für alle Entwicklungsstadien. Ohne Bakterien werden Lebenszyklen nicht vollendet. Bei steril gezüchteten Fischen ist eine Darmentwicklung nicht möglich. Erst durch Zugabe von Bakterien kann der Darm gebildet werden.
Immunsystem: Hauptaufgabe ist nicht die Keimabwehr
Wir wissen, dass wir Bakterien für alle Aufgaben benötigen, so zum Beispiel für die Immunabwehr. Von der Vorstellung, dass unser Immunsystem entstanden sei, um Krankheitskeime zu bekämpfen, müssen wir uns nach Bosch allerdings verabschieden. Seine Aufgabe sei es vor allem, den Metaorganismus zu orchestrieren und in Homöostase zu halten. Erst bei einer Dysbiose drohen komplexe Erkrankungen.
Störungen der mikrobiellen Flora ergeben sich beispielsweise aus veränderten Hygienestandards oder den schon erwähnten Kaiserschnittgeburten. Autoimmunkrankheiten werden mit solchen Störungen in Zusammenhang gebracht. So geht Morbus Crohn mit einem Verlust der Diversität von Darmbakterien einher. Die notwendige Symbiose zwischen Wirt, Darmflora und Immunzellen ist gestört. Für die Entwicklung unseres Immunsystems ist vor allem Bacteroides fragilis notwendig, das ein Polysaccharid bildet, welches wiederum die Bildung eines antiinflammatorischen Zytokins induziert. Fehlt dieses Polysaccharid, dann wird ein entzündungsförderndes Zytokin produziert.
Autismus Folge von Dysbiose?
Steril aufgezogene Mäuse verhalten sich anders im Verhaltenstest als nicht steril aufgewachsene. Sie sind unter anderem aggressiver. Man findet hier Unterschiede im Expressionsmuster neuronaler Gene, das von Bakterien gesteuert wird. Die Beeinflussung neuronaler Gene durch spezifische Mikroben könnte auch ein Erklärungsansatz für die Zunahme des Autismus sein.
Adipositas durch Bakterien?
Im Darm finden wir zwei große Bakteriengruppen: Fermicutes und Bacteroides. Fermicutes können laut Bosch aus "Nichts" Kalorien machen. Möglicherweise sind diese Bakterien zumindest mitverantwortlich für die Entstehung von Übergewicht und Adipositas.
In der Tierzucht wird dieses Phänomen entsprechend genutzt. Die Gabe subaktiver Antibiotikadosierungen in der Veterinärmedizin führt nach Ausführungen Boschs zu einer Selektion von Bakterien, die die Verwertung von Futter fördern und die Gewichtszunahme beschleunigen. Sie dient damit der Mast und nicht dem Schutz der Tiere vor Erkrankungen.
Toll-Rezeptoren und die Kommunikation
Spannend ist auch die Frage, wie Bakterien mit uns kommunizieren. Hier scheinen Toll-like Rezeptoren auf unseren Zellen eine entscheidende Rolle zu spielen. Sie werden durch Bakterien aktiviert und synthetisieren daraufhin antimikrobielle Peptide. Diese sind nach den Ausführungen Boschs die Schlüsselkommunikatoren für die Entstehung unseres Mikrobioms.
Auch Viren Teil des Metaorganismus
Der Mensch beherbergt nicht nur 10-mal mehr Bakterienzellen als körpereigene Zellen und 100-mal mehr bakterielle Gene als humane Gene, er trägt auch 100-mal mehr Viren und 1000-mal mehr virale Gene in sich. Damit sind auch Viren Teil des Metaorganismus und der artspezifischen Gemeinschaft.
Metaorganismus passt sich an
Als Evolutionsbiologe fragt sich Bosch, wie der Metaorganismus mit den sich verändernden Umweltbedingungen umgeht. Die Diversität der Organismen nimmt ab, die Szenarien seien schrecklich, aus einer intakten Umwelt sollen Wüsten werden, Lebensgrundlagen verloren gehen. Doch diese Szenarien ängstigen Bosch nicht. Das uralte und kraftvolle Prinzip "Metaorganismus" werde durch Austausch von Mikroben neue Eigenschaften erwerben und sich den veränderten Umwelt-Bedingungen anpassen.
Evolution ist nicht vorbei. Sie findet auch jetzt statt. Und wer sich um den Menschen kümmern will, muss sich auch um seinen Metaorganismus kümmern, so der Appell Boschs.
du
Heilung durch Stuhltransplantation
Wird die intestinale Mikroflora beispielsweise durch den Einsatz von Antibiotika gestört, dann drohen Durchfallerkrankungen durch Keime wie Clostridium difficile. Darauf wies Priv.-Doz. Dr. Hans-Jörg Epple von der Charité Berlin hin. Versuche, sie mit Antibiotika wie Metronidazol oder Vancomycin zu bekämpfen, zeigen zunehmend ein schlechteres Ansprechen und steigende Rezidivraten. Mit jedem Rezidiv steigt das Risiko für weitere Rezidive aufgrund der weiteren Schädigung der Darmflora. Hilfe sollen neuere Antibiotika wie Rifaximin bieten, erste Untersuchungen weisen jedoch auf eine schnelle Resistenzbildung hin. Neu ist das Makozyklin-Antibiotikum Fidaxomicin, das im Vergleich zu Vancomycin zu gleichen Heilungsraten bei geringerer Rezidivrate führen soll. Die größten Erfolge scheint jedoch eine Stuhltransplantation zu haben (s.a. DAZ 2013, Nr. 6, S. 56). Von 16 Patienten, die mithilfe einer Nasalsonde das Mikrobiom einer Spenderfäzes erhalten hatten, waren 13 schon nach der ersten Behandlung remissionsfrei. Mit weiteren Transplantationen konnten noch zwei der verbliebenen drei Patienten geheilt werden.
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DAZ 2013, Nr. 7, S. 45
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