Fortbildungskongress

Reisepharmazeutische Beratung als Chance – Individuelle Beratung nötig

Die reisemedizinische Beratung könnte ein lohnendes Feld für die Apotheken werden, so der Tropenmediziner Professor Thomas Weinke vom Ernst von Bergmann-Klinikum in Potsdam in seinem Vortrag. Ärzte würden dieses Gebiet eher vernachlässigen und so den Apotheken eine Möglichkeit zur Profilierung eröffnen. Wichtig sei eine kompetente und individuelle Beratung vor Fernreisen – denn jeder Reisende ist anders!
Prof. Dr. Thomas Weinke, Potsdam: "Die Bedeutung von Anti-Moskito-Maßnahmen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden." Foto: DAZ/wes

Besonderes Augenmerk bei einer reisepharmazeutischen Beratung müsse auf die möglichen und nötigen Schutzimpfungen gelegt werden. Dabei sei immer eine Abwägung zwischen Infektionsrisiko und Impfrisiko vorzunehmen. Dabei sollten Parameter wie Erkrankungshäufigkeit, Schwere der Erkrankung und Häufigkeit von Langzeitschäden und Todesfällen einbezogen werden. Wichtig sei aber vor allem, das individuelle Risiko des Reisenden abzuschätzen: hält er sich in Städten oder in ländlichen Gebieten auf? Ist er geschäftlich oder touristisch unterwegs? Bereist er das Land als Rucksacktourist oder nur in Hotels der gehobenen Klasse?

Wichtigste Reiseimpfungen: Hepatitis-A- und B-Impfungen

Die Tabelle zeigt eindrücklich, dass Impfungen gegen Hepatitis A (und B) die mit Abstand wichtigsten Reiseimpfungen sind. Trotz abnehmender Inzidenz ist Hepatitis A in den Risikogebieten von Südamerika, Afrika und Asien noch weit verbreitet. Während Infektionen im Kindesalter sehr milde – oft sogar stumm – verlaufen, handelt es sich im Erwachsenenalter um eine schwere Erkrankung. Deshalb sollte eine Hepatitis-A-Impfung zum Standardprogramm vor Fernreisen gehören. Hepatitis B ist in Deutschland eine empfohlene Impfung im Kindesalter. Viele Erwachsene sind jedoch nicht geimpft, so dass eine kombinierte Impfung sinnvoll sein kann.


Tab.: Mortalitäten (100.000 Reisende, 1 Monat Aufenthalt im Risikogebiet) wichtiger Reiseerkrankungen mit und ohne Schutzimpfung

Erkrankung
Mortalität
OHNE
Impfung
Mortalität
MIT Impfung
(bei 100.000 Reisenden,
1 Monat Reisedauer)
Hepatitis A
300
<1
Hepatitis B
20 – 60
2 – 5
Influenza
500
250
Gelbfieber
4
0
Typhus
3 (-30)
1 (-10)
Tollwut
<1
0
Japanische
Enzephalitis
1
0
Cholera
1
0
Meningokokken
1
0

Typhus-Impfung bei erhöhtem Risiko

Typhus wird fäkal-oral übertragen, das heißt vor allem durch verschmutztes Wasser. Da auch die alte Regel "Cook it, boil it, peel it or forget it" (sinngemäß: Nimm nur Durchgegartes, Abgekochtes oder Geschältes zu dir) nicht zuverlässig vor Typhus schützt, sollten vor allem Reisende mit erhöhtem Risiko geimpft werden, betonte Weinke. Das sind neben Rucksack-Touristen vor allem die sogenannten "Visiting Friends and Relatives", also Besucher, die sich in einem nicht-touristischen Umfeld bewegen und oft länger im Land bleiben. Der orale Lebendimpfstoff hat – anders als der parenterale Totimpfstoff – auch eine Schutzwirkung gegen den meist etwas milder verlaufenden Paratyphus. Darüber hinaus bewirkt der Lebendimpfstoff neben der humoralen auch eine zelluläre sowie eine lokale Darm-Immunität.

Gelbfieber-Impfung mit Risiken

Gelbfieber ist endemisch in Teilen Südamerikas und im gesamten Äquatorial-Afrika. Zwar tragen die Impfprogramme in diesen Ländern langsam Früchte, die Krankheit bleibt aber gefährlich. Wegen der relativ häufigen und schweren Nebenwirkungen der Impfung ist hier eine besonders sorgfältige Risikoabschätzung nötig. In vielen Risiko-Ländern ist Gelbfieber nur in bestimmten Regionen endemisch. Nichtsdestotrotz: Bei einem Aufenthalt in einem Endemiegebiet überwiegt das Risiko der Infektion das Impfrisiko klar.

Da eine Meningokokken-Sepsis oft tödlich endet, gehöre die Schutzimpfung für alle Reisende in den sogenannten Meningokokken-Gürtel (Sahelzone) zum Pflichtprogramm, betonte Weinke. Die in Deutschland empfohlene Meningokokken-Impfung im Kindesalter schützt nicht gegen die in Afrika zu 90 Prozent vorkommende Serogruppe A!


Polio: Auch eine Reisekrankheit (?)


2012 wurden weltweit trotz aller Impfbemühungen noch 200 Fälle von Polio dokumentiert. Sie kamen praktisch ausschließlich in Afghanistan, Pakistan und dem Norden Nigerias vor. In Europa hat die Polio durch die flächendeckende Impfung ihren Schrecken verloren. Das kann jedoch bei Reisen in die oben genannten Länder problematisch sein, denn oft fehlt die für eine komplette Immunisierung notwendige vierte Impfung im Erwachsenenalter. Bei Reisenden in Risikogebiete muss deshalb auf die Notwendigkeit dieser vierten Impfung hingewiesen werden.

Tödliche Tollwut

Tollwut ist eine der wenigen Krankheiten, die unbehandelt immer zum Tod führen. Laut WHO erkranken jedes Jahr 40.000 bis 70.000 Menschen an Tollwut, 30.000 davon allein in Indien. Dort zählen vor allem Hunde, aber auch Affen zu den Überträgern (während in Mitteleuropa Fledermaus-Bisse das größte Tollwut-Risiko bergen). Eine Schutzimpfung (aktive Immunisierung) ist bei Reisen nach Indien und in andere Tollwut-Gebiete unbedingt empfehlenswert bei Rucksacktouristen, Langzeitaufenthalten, häufigen (auch kürzeren) Aufenthalten oder wenn am Zielort kein Zellkulturimpfstoff zur postexpositionellen Prophylaxe oder Tollwut-Immunglobulin zur Verfügung steht.

Seltene Cholera

Da Cholera insgesamt eher selten ist und praktisch keine schweren Verläufe mehr vorkommen, ist eine Impfung oft nicht nötig. Der Impfstoff besitzt eine immunologische Kreuzreaktivität gegen ETEC, einen weiteren Auslöser von Diarrhö, ist in Deutschland für die ETEC-Prophylaxe aber nicht zugelassen. Laut Weinke kommt eine Cholera-Impfung infrage bei Reisenden, die langfristig Protonenpumpen-Inhibitoren einnehmen, eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung haben, eine besondere Neigung zur Diarrhö zeigen, immunsupprimiert sind sowie bei Chronikern, bei denen eine Dehydrierung riskant wäre.

JE – nur Wenige sind geimpft

Die Japanische Enzephalitis (JE) kommt vor allem in Südostasien vor, dort gibt es jährlich 30.000 bis 50.000 Erkrankte. Allein aus Deutschland besuchen circa 1,4 Millionen Reisende pro Jahr dieses Gebiet, davon ist nur ungefähr 1 Prozent geimpft. Da Letalität und Risiko bleibender Schäden hoch sind, wenn es zu einem Krankheitsausbruch kommt, müssen alle Asienreisenden informiert werden. Allerdings beschränkt sich das Infektionsrisiko im Wesentlichen auf ländliche Gebiete, vor allem feuchte Gegenden (Reisanbau) und Tierhaltung sind Risikofaktoren. In größeren Städten komme die JE praktisch nicht vor, betonte Weinke.

Ungelöstes Malariaproblem

Immer noch keinen Impfstoff gibt es gegen die Malaria. Sie ist mit 225 Millionen Erkrankten und über 650.000 Todesfällen im Jahr eine der schlimmsten Infektionskrankheiten weltweit. In Afrika ist sie endemisch, während sie in den Malariagebieten Asiens und Indiens epidemisch, nämlich hauptsächlich während der Regenzeit, vorkomme, so Weinke. Die Abwägung zwischen einer Chemoprophylaxe und dem Mitführen einer Notfallmedikation soll aufgrund von Ziel, Art und Dauer der Reise vorgenommen werden. Die Bedeutung der Anti-Moskito-Maßnahmen (Moskitonetz, Repellents, langärmelige, helle Kleidung) kann nicht hoch genug eingeschätzt werden! Reisende sollten auf die Gefahr durch gefälschte Arzneimittel gegen Malaria in den Reiseländern hingewiesen werden. In Vietnam beispielsweise erwiesen sich über 60 Prozent der in Apotheken verkauften Malaria-Mittel als – meist unwirksame – Fälschungen.


wes



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DAZ 2013, Nr. 7, S. 57

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