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Gendermedizin
Mann ist nicht gleich Frau
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakotherapie
Von Karen Nieber | Vieles über geschlechtsspezifische Verlaufsformen von häufigen Krankheiten sowie die unterschiedliche Wirkung von Arzneimitteln bei Frauen und Männern ist lange bekannt, hat aber bislang kaum Eingang in die praktische Medizin gefunden [1, 2]. In der aktuellen Diskussion um eine individualisierte Medizin gewinnen geschlechtsspezifische Betrachtungsweisen allerdings immer mehr an Bedeutung. Es entwickelte sich die geschlechtsspezifische (Gender-) Medizin als eine neue fachübergreifende Wissenschaft, die zunehmend national und international in den Fokus von Forschung, Lehre und Fortbildung rückt. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen erforschen die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Gesundheit und Krankheit und setzen sich dafür ein, dass die Erkenntnisse in die medizinische Praxis umgesetzt werden. Bereits im Frauengesundheitsbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2001 wird festgestellt: Frauen werden anders krank als Männer oder: Männer werden anders krank als Frauen. Unterschiedliche Arbeits- und Lebensbedingungen können Auswirkungen auf Krankheitsverläufe haben oder sogar zu spezifischen Krankheiten führen. Da Hormonstatus und psychosoziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern offenbar eine große Rolle spielen, sind geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arzneimittelwirkung und demzufolge auch in der Arzneimitteltherapie zu berücksichtigen. So profitieren Frauen beispielsweise weniger von einer bestimmten Medikamententherapie, aber leiden verstärkt an unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Beides Folgen unangemessener Dosierungen von Medikamenten.
Geschlechts-Unterschiede in der Pharmaforschung
Regulationsbehörden fordern deshalb, dass pharmakologische und klinische Studien, insbesondere die Testung neuer Arzneimittel, geschlechtsspezifisch durchgeführt werden. Bisher ist sehr viel mehr über die Pharmakologie von Arzneimitteln bei Männern als bei Frauen bekannt, da Frauen traditionell in klinischen Studien unterrepräsentiert sind [3, 4].
Aufgrund der Erfahrungen mit Thalidomid (Contergan®) und Diethylstilbestrol (DES) wurden Frauen für viele Jahre von klinischen Studien, insbesondere während der frühen Phase der Arzneimittel-Entwicklung, ausgeschlossen. Die Verantwortlichen befürchteten, dass Frauen durch eine mögliche Schwangerschaft oder hormonelle Schwankungen das Gelingen einer Studie gefährden oder die Ergebnisse verfälschen könnten. Dadurch wurde die Einflussgröße „weibliches Geschlecht“ lange Zeit nicht oder nur wenig berücksichtigt [5]. Therapiestrategien wie Dosierung und Einnahmehäufigkeit sind daher bei vielen Arzneimitteln auf den männlichen Körper ausgerichtet. Erst ab der Mitte der 1990er Jahre wurden vermehrt Frauen in diese Studien eingeschlossen. Eine Auswertung aus dem Jahre 2001 ergab, dass in Studien der letzten Jahre vermehrt Frauen berücksichtigt wurden [6]. Eine geschlechtsspezifische Subgruppenanalyse wurde allerdings in nur insgesamt neun Prozent aller Studien durchgeführt. Für das Erkennen von geschlechtsspezifischen Arzneimittelwirkungen ist vor allem die Phase III wichtig. Hier wird überprüft, ob die Wirkungen und Nebenwirkungen, die man vorher nur bei wenigen Patienten registriert hat, auch bei ganz unterschiedlichen Patienten in gleicher Weise und in gleichem Maße eintreten. Der Anteil der Teilnehmerinnen in Phase-III-Studien beträgt nach einer Recherche des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa) je nach Studie und Krankheit 30 bis 80 Prozent. An den Studien der Phase II sind ebenfalls 30 bis 80 Prozent weibliche Probanden beteiligt. Nur in der frühesten Phase, der Phase I, liegt der Frauenanteil lediglich bei 10 bis 40 Prozent [7]. Ein weiterer Aspekt ist, dass geschlechtsspezifische Unterschiede zufällig aufgedeckt werden, so bei der Narkoseüberwachung. Es zeigte sich bei 178 Frauen und 96 Männern, dass nach einer standardisierten Körpergewichts-bezogenen Narkose Frauen signifikant schneller aufwachten als Männer. Dies deckt sich mit den Ergebnissen eines umfangreichen systematischen Reviews. Innerhalb der in der Anästhesie speziell zu Narkosezwecken eingesetzten Substanzgruppen (Inhalations- und Injektionsnarkotika, Muskelrelaxanzien und Opioide) konnte jeweils zumindest ein Medikament gefunden werden, das bei Frauen häufigere oder stärkere unerwünschte Arzneimittelwirkungen verursacht als bei Männern [8].
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arzneimittelversorgung
Der Arzneimittelverbrauch hängt von Alter und Geschlecht ab. Eine Übersicht der Arzneimittelverordnung bei der größten Ersatzkasse in Deutschland zeigt, dass 2011 im Durchschnitt pro 100 Versicherte 864 Arzneimittel verordnet wurden, pro 100 Männer waren es 763 Verordnungen, pro 100 Frauen dagegen 22,3 Prozent mehr, nämlich 937 (Tabelle 1).
Bemerkenswert ist, dass im Alter bis zehn Jahre der Anteil noch relativ ähnlich ist, die Jungen sogar ein ganz klein wenig häufiger Arzneimittel erhalten, ab dem zehnten bis zum 60. Lebensjahr verändert sich das Verteilungsmuster deutlich [9]. Eine weitere Auffälligkeit ist, dass die Ausgaben im Alter sinken, was mit der Behandlung vieler im Alter auftretender chronischer Erkrankungen (wie Hypertonie, Herzinsuffizienz oder Diabetes) mit kostengünstigeren Generika erklärt wird [9]. Es gibt eine Reihe von Arzneimitteln, die Frauen auffällig häufig verordnet bekommen. Dazu gehören Sexualhormone, Osteoporose-Mittel, Schilddrüsentherapeutika und Mineralstoffe. Bei antithrombotischen Mitteln und Lipidsenkern wird eine häufigere Verschreibung bei Männern als bei Frauen berichtet [10]. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Arzneimittelversorgung werden bei den Psychopharmaka besonders deutlich. Frauen erhielten 2010 mit 33,4 verordneten Tagesdosen durchschnittlich 56 Prozent mehr Psychopharmaka-Verordnungen als Männer mit 21,0 Tagesdosen [9]. Sowohl bei den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (Abb. 2) als auch bei den trizyklischen Antidepressiva (Amitriptylin, Doxepin, Trimipramin etc., Abb. 3) sind die Unterschiede in den Tagesdosen überdeutlich. Bei den Benzodiazepinen oder Z-Substanzen (Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon) ergeben sich ähnliche Verteilungen, dabei sind auch Benzodiazepin-Derivate, die als Muskelrelaxanzien angewendet werden eingeschlossen [9].
Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Arzneimittelversorgung führen auch zu unterschiedlichen Profilen von Arzneimittelnebenwirkungen (NW). Verschiedene Untersuchungen belegen, dass Frauen häufiger von unerwünschten Arzneimittelwirkungen betroffen sind als Männer [11].
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik
Die individuelle Ansprechbarkeit auf Arzneimittel hängt von pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Faktoren ab. Die Bioverfügbarkeit des Arzneimittels, seine Verteilung, die Metabolisierung und Elimination spielen dabei eine wesentliche Rolle. Viele Beobachtungen deuten darauf hin, dass sich die Pharmakokinetik von Arzneimitteln zum Teil beträchtlich zwischen den Geschlechtern unterscheidet [12, 13, 14, 15]. Daten zur Pharmakokinetik werden hauptsächlich in Phase-I-Studien generiert. Bioäquivalenzstudien, in denen sich für zahlreiche Medikamente geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik fanden, unterstützen die Bedeutung der Geschlechts-Spezifität [16]. Die Bioverfügbarkeit eines Arzneimittels wird durch die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Resorption in den Blutkreislauf bestimmt. Sie erfolgt bei den meisten Arzneimitteln im Darm, wobei ein aktiver Rücktransport in das Darmlumen den systemisch verfügbaren Anteil verringert. Magensäuresekretion oder Magenentleerungszeit sowie gastrointestinale Durchblutung und Größe der intestinalen Resorptionsfläche sind Faktoren, die geschlechtsspezifisch variieren. Auch die Ernährungsgewohnheiten von Männern und Frauen unterscheiden sich, was mögliche Auswirkungen auf die Resorption oral aufgenommener Arzneimittel haben kann. Allerdings wurden bisher keine Unterschiede in der Magensäuresekretion oder in der gastralen und intestinalen Sekretion zwischen den Geschlechtern gefunden [17, 18]. Ob es auch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Beeinflussung der gastrointestinalen Motilität gibt, ist bisher nicht geklärt. Während im Tierexperiment keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gefunden wurden [19] weisen beim Menschen die Befunde auf einen direkten Einfluss der Geschlechtshormone hin. Einige Befunde sprechen dafür, dass Frauen eine verzögerte Magenentleerung für Flüssigkeiten und eine verlangsamte Darmpassage haben [22].
Bekannt sind auch Unterschiede in der Enzym-Ausstattung. So haben Männer eine deutlich höhere Aktivität der gastralen Alkoholdehydrogenase als Frauen, woraus die deutlich höhere Bioverfügbarkeit von Alkohol bei Frauen resultiert [15]. Obwohl es geschlechtsspezifische physiologische Unterschiede gibt, scheint es bei der Resorption von Arzneimitteln durch die Haut keine klinisch signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede zu geben [20, 21].
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Verteilung von Arzneistoffen beruhen auf Unterschieden in der Körpergröße, in der Muskelmasse, im Fett- und Wassergehalt. Gesteuert durch Sexualhormone, unterscheidet sich die Wasser-Muskel-Fett-Verteilung von Männern und Frauen [23]. Frauen haben einen deutlich höheren Fettanteil als Männer, während der männliche Körper mehr Muskelgewebe und mehr Wasser aufweist. Dadurch verbleiben lipophile Arzneimittel bei Frauen länger im Fettgewebe als bei Männern. Da sie erst aus dem Fettgewebe mobilisiert werden müssen, werden sie zeitverzögert abgebaut. Wirkungen und Nebenwirkungen halten länger an. Bei hydrophilen Arzneistoffen ist es gerade umgekehrt, die Plasmakonzentration von wasserlöslichen Substanzen ist bei Männern niedriger als bei Frauen. Allerdings müssten mehrere Effekte zusammenkommen, bis ein geschlechtsspezifischer Unterschied tatsächlich klinisch relevant wird [23]. Typisches Beispiel ist Diazepam: dieses Benzodiazepin wirkt bei Frauen langsamer. Es liegen ebenfalls Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Plasma-Eiweißbindung von Arzneimitteln vor. Bei Frauen ist die Bindung mancher Arzneimittel an das α-saure Glykoprotein etwas stärker. Die klinische Relevanz dieser Unterschiede ist bisher allerdings nicht belegt [24]. Relevante geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen im Wesentlichen beim Arzneimittel-Metabolismus. Die wichtigsten Phase-I-Enzyme für den Abbau von Arzneimitteln beim Menschen gehören zur Familie der Cytochrom-P450-Enzyme (CYP450), dazu zählen vor allem die CYP1A-, CYP2C-, CYP2D- und CYP3A-Familien [25]. Die Variabilität der Funktion dieser CYP450-Enzyme ist eine Ursache dafür, dass bei gleicher Dosierung eines Medikaments Intensität und Dauer von Wirkungen und Nebenwirkungen sehr unterschiedlich sein können. Für mehrere dieser Enzyme sind geschlechtsspezifische Unterschiede beschrieben worden [26]. Bei Frauen ist die mRNA-Konzentration von CYP3A4 und die tatsächliche Protein-Konzentration in der Leber durchschnittlich um den Faktor zwei höher als bei Männern [26]. Die vermehrte Enzym-Expression korreliert mit einer etwa 50 Prozent höheren In-vitro-Metabolisierungsrate von Verapamil [27], dessen N-Dealkylierung über CYP3A4 erfolgt. Entsprechend wurde bei Frauen auch eine erhöhte In-vivo-Clearance für Verapamil im Vergleich zu Männern gefunden [27]. Gleiches wurde für Nifedipin [28] und Methylprednisolon gezeigt [29], die ebenfalls CYP-3A4-Substrate sind.
Auch die Aktivität anderer Cytochrom-P450-Enzyme wird durch Hormone beeinflusst [30]. Der Betarezeptoren-Blocker Metoprolol wird überwiegend über CYP2D6 abgebaut. Frauen haben nach einer standardisierten Tagesdosis von 100 mg etwa 40% höhere maximale Plasmakonzentrationen als Männer [31]. Da die Konzentrations-/Wirkungsbeziehung zwischen Plasmakonzentration und Senkung der Herzfrequenz bei Männern und Frauen gleich ist, tritt bei Frauen bei gleicher Metoprolol-Dosis eine deutlich stärkere Herzfrequenz- und Blutdrucksenkung auf. Dies ist besonders bedeutungsvoll, da die Plasmakonzentration durch orale Kontrazeptiva nochmals um fast 50% erhöht wird [32]. Obwohl Betarezeptorenblocker über eine große therapeutische Breite verfügen und die Therapie in der Regel mit einer niedrigen Dosis beginnt, die je nach Wirkung und Verträglichkeit gesteigert wird, sind die unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei Frauen deutlich häufiger als bei Männern. Bei Betablockern mit CYP2D6-unabhängiger Metabolisierung fanden sich keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Plasmakonzentrationen und den Nebenwirkungen. Ein geringerer geschlechtsspezifischer Unterschied zeigt sich auch für das Enzym CYP2C9 [33]. Dieses Enzym unterliegt einem starken Einfluss Östrogen- und Gestagen-haltiger Arzneimittel [23].
Auch Phase-II-Metabolisierungsreaktionen variieren geschlechtsspezifisch. So scheint die Aktivität glucuronidierender Enzyme bei Frauen geringer zu sein als bei Männern [34]. Das würde erklären, warum Acetylsalicylsäure bei Frauen etwa 30 bis 40 Prozent langsamer metabolisiert wird als bei Männern [35]. Ähnliche Befunde wurden auch für Paracetamol, Clofibrat und Phenprocoumon erhoben, die alle durch Glucuronidierung ausscheidungsfähig gemacht werden [29, 36, 37]. Unter den methylierenden Enzymen scheint vor allem die Aktivität der Thiopurin-S-Methyltransferase bei Frauen geringer zu sein als bei Männern. Dies könnte die Ursache für die höhere Knochenmarkstoxizität der Thiopurine Azathioprin und 6-Mercaptopurin bei Patientinnen sein [38].
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakodynamik
Im Vergleich zur Pharmakokinetik gibt es weniger Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Pharmakodynamik. Grund dafür ist, dass pharmakodynamische Effekte sehr viel schwerer zu untersuchen sind. Einige Arzneimittel haben allerdings trotz identischer Plasmakonzentrationen geschlechtsspezifische unterschiedliche Wirkungen. Zum Beispiel wirkt der bei Darmirritationen in den USA zugelassene 4-HT3-Antagonist Alosetron nur bei Frauen und ist bei Männern wirkungslos, was auf eine unterschiedliche Rezeptorausstattung hindeutet. Auch opioide Analgetika wirken bei Frauen stärker als bei Männern [39]. Das Nicht-Opioid Analgetikum Ibuprofen scheint dagegen bei Männern besser zu wirken als bei Frauen [42]. Frauen unter Progesteron-Einnahme reagieren signifikant stärker auf intravenös appliziertes Triazolam als Frauen, die keine orale Kontrazeption anwenden [43], da orale Progesteron-haltige Kontrazeptiva die Rezeptorbindung von Benzodiazepinen verändern.
Bei psychischen Erkrankungen sind geschlechtsspezifische Unterschiede, insbesondere jene, welche die psychopharmakologische Behandlung betreffen, von zunehmend großer Bedeutung. Es gibt zahlreiche Untersuchungen zur Epidemiologie von spezifischen psychiatrischen Erkrankungen bei Männern und Frauen, jedoch existieren nur wenige evidenzbasierte Untersuchungen, die geschlechtsspezifische Wirkungen und Nebenwirkungen von Psychopharmaka beurteilen [44]. Depressionen werden bei Frauen etwa doppelt so häufig diagnostiziert wie bei Männern [45]. Prämenopausale Frauen sprechen besser auf selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) an als Männer, wohingegen postmenopausal trizyklische Antidepressiva ähnlich gut wirken wie bei Männern [46]. Bei Frauen konnten aufgrund der unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie Gewichtszunahme und hypotensive Störungen häufiger Therapieabbrüche beobachtet werden [47], wohingegen Männer oftmals aufgrund der Einnahme von SSRI Erektions- und Ejakulationsstörungen beklagten [48]. In einer Metaanalyse von 17 Studien zum Vergleich von Venlafaxin, einem Antidepressivum mit dualem Wirkmechanismus, und SSRI konnten sowohl im Ansprechen als auch im Hinblick auf die Remissionsraten keine Unterschiede festgestellt werden [49].
Eine Reihe von Befunden liegt zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Wirkung von Herz-Kreislauf-Mitteln vor [23, 50, 51, 52]. So führte die Gabe von Digitalis bei Frauen mit Herzinsuffizienz zu einer erhöhten Sterblichkeit im Vergleich zur Placebo-behandelten Gruppe [53].
Kontrovers sind die Ergebnisse zu den ACE-Hemmern. ACE-Hemmer waren in einer australischen Studie nur bei Männern den Diuretika in der Risikoreduktion überlegen, nicht bei Frauen [54]. Andere Studien zeigten auch bei Frauen einen signifikanten Nutzen. Der durch ACE-Hemmer induzierte Reizhusten und Herz-Rhythmus-Störungen traten häufiger bei Frauen auf [55].
Eine maligne Arrhythmie wurde bei Frauen häufiger als bei Männern nach Gabe von Arzneimitteln diagnostiziert, die zu einer Verlängerung der QT-Zeit führen [56]. QT-Zeit-verlängernde Wirkungen haben neben vielen Antiarrhythmika auch gastrointestinal wirksame Arzneimittel, Antibiotika, Antimalariamittel, Opioidantagonisten, Antiinfektiva, Antipsychotika. Für die geschlechtsspezifischen Unterschiede im QT-Intervall dürften eher Androgene als Östrogene verantwortlich sein, da es bei Männern während und nach der Pubertät zu einer Verkürzung des QT-Intervalls kommt [57].
Zusammenfassung
Häufig gebrauchte Arzneimittel wirken bei Frauen und Männern unterschiedlich. Deshalb sind nicht nur epidemiologische Untersuchungen zur Geschlechterverteilung von Krankheiten notwendig, sondern vor allem auch Studien, die pharmakokinetische und pharmakodynamische Aspekte oder das Ansprechen einer Therapie berücksichtigen, um eine geschlechtsspezifische Behandlung zu gewährleisten. Es ist sehr begrüßenswert, dass geschlechtsspezifische Sichtweisen sowohl in der Forschung als auch in der Therapie ihre Berechtigung haben und immer häufiger berücksichtigt werden, allerdings gilt es diese wichtigen Ansätze in Zukunft weiter zu forcieren. Dazu ist es notwendig, bereits in der präklinischen Forschung geschlechtsspezifische Untersuchungen durchzuführen sowie vermehrt Frauen in klinische Studien zu integrieren und diese geschlechtsspezifisch auszuwerten, sodass sowohl Frauen als auch Männer individuell und ihrem Geschlecht entsprechend die bestmögliche Arzneimitteltherapie erhalten können. Obwohl aktuell noch viele Fragen unbeantwortet bleiben müssen, so ist doch die zukünftige Entwicklung auf diesem Gebiet sehr hoffnungsvoll. Eine stärker zielgruppenorientierte Therapie vermindert nicht nur die Arzneimittelrisiken, sondern würde auch die knappen Ressourcen des Gesundheitssystems schonen.
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Autorin
Prof. Dr. Karen Nieber ist seit 1995 Lehrstuhlinhaberin für Pharmakologie für Naturwissenschaftler an der Universität Leipzig.
Institut für Pharmazie; Talstraße 33; 04103 Leipzig
nieber@rz.uni-leipzig.de
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