Gesundheitspolitik

Kassen droht bei unberechtigter Rechnungskürzung Rabattverlust

LSG Hamburg: Anspruch auf Apothekenabschlag kann teilweise verloren gehen

Hamburg (ks/lk). Einen wichtigen Teilerfolg in den monatlichen Abrechnungsauseinandersetzungen zwischen Apothekern und Krankenkassen hat jetzt der Hamburger Apothekerverein vor dem Landessozialgericht (LSG) Hamburg erstritten: Bei unberechtigten Kürzungen müssen die Krankenkassen ab sofort einen Teilverzicht auf den Apothekenabschlag fürchten, wenn sie erst verspätet zahlen. Doch damit will sich Dr. Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins, nicht zufrieden geben. "Ich habe Revision beim Bundessozialgericht eingelegt und bin zuversichtlich, dass wir dort in vollem Umfang Recht erhalten." (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 12. Juli 2011, Az.: L 1 KR 34/09)

Aus Sicht Graues ist der Apothekenabschlag gekoppelt an die fristgerechte Zahlung durch die Krankenkassen. Zwar verneinte das LSG Hamburg in einem aktuellen Urteil, dass bei einer verspäteten Zahlung der komplette Apothekenabschlag entfällt. Für den zu Unrecht gekürzten Rechnungsanteil müsse die Krankenkasse aber auf den Apothekenabschlag verzichten. "Mit diesem Urteil bin ich durchaus zufrieden", so Graue zur AZ. Damit blieben künftig unberechtigte Kürzungen für die Krankenkassen nicht mehr folgenlos. Daran geknüpft ist die Hoffnung, dass die Krankenkassen vorsichtiger mit dem Instrument der Kürzung umgehen. Aber Graue will nun noch ein Grundsatzurteil vor dem Bundessozialgericht erwirken. Auch dass das LSG die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat, wertet er als Erfolg.

Grundsätzlich sind die gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben für den Zahlungsanspruch der Apotheken gegenüber gesetzlichen Krankenkassen streng: Erhalten sie von einem Apothekenrechenzentrum eine Sammelrechnung, haben sie bis zum Vierten des laufenden Monats eine Abschlagszahlung in Höhe von 80 Prozent der Monatsrechnung des letzten abgerechneten Monats zu leisten. Bei Nichteinhaltung dieser Zahlungsfrist entfällt der Abschlag hinsichtlich des nicht fristgerecht gezahlten Teilbetrages. Die Restzahlung ist bis zum zehnten Tag nach Eingang der Rechnung bei der Krankenkasse zu leisten. Soweit sieht es der Vertrag über die elektronische Rezeptabrechnung vor. Ferner bestimmt § 130 Abs. 3 SGB V, dass die Gewährung des Apothekenabschlags voraussetzt, dass "die Rechnung des Apothekers innerhalb von zehn Tagen nach Eingang bei der Krankenkasse beglichen wird".

Folgenloser Irrtum?

Doch was ist, wenn die Kasse die Sammelrechnung eines Rechenzentrums für die Restzahlung zu Unrecht kürzt und nach Erkennen des Irrtums den Restbetrag erst verspätet begleicht? Der Hamburger Apothekerverband meint, dass dann der Apothekenrabatt für die gesamte Rechnung entfällt. Mit dieser weitgehenden Rechtsauffassung hat er sich nun aber schon in zweiter Instanz nicht gegen die – mittlerweile insolvente – City BKK durchsetzen können.

Konkret geht es um eine Sammelrechnung des Norddeutschen Apothekenrechenzentrums e.V. (NARZ) für im Monat August 2003 abgegebene Arzneimittel in Höhe von 303.532,95 Euro. In dieser Rechnung an die Abrechnungsstelle der beklagten Kasse waren geleistete Vorauszahlungen sowie der Apothekenrabatt berücksichtigt. Die Abrechnungsstelle kürzte die Rechnung jedoch um einen Berichtigungsbetrag von 3212,34 Euro sowie um Rabattdifferenzen in Höhe von 52.262,45 Euro aus der Abrechnung für Januar 2003. Der Restbetrag von 248.058,16 Euro wurde dem Konto des NARZ innerhalb der Zehntagesfrist gutgeschrieben. Später einigte man sich, dass die Kürzung wegen der Rabattdifferenzen mit einem Anteil von 48.478,73 Euro nicht gerechtfertigt war. Diesen Betrag beglich die Kasse mehr als ein Jahr später.

Daraufhin klagte der Hamburger Apothekerverband. Er ist der Auffassung, die Beklagte habe den Apothekenrabatt für den Monat August 2003 zu Unrecht einbehalten. Der Anspruch nach § 130 Abs. 3 Satz 1 SGB V auf den Apothekenrabatt setze die vollständige Begleichung der Rechnung innerhalb der Frist voraus. Das Sozialgericht Hamburg gab dem Kläger nur teilweise recht. Die Beklagte habe lediglich einen Anteil von 2,49 Prozent des Gesamtbetrages nicht fristgerecht gezahlt. Dies könne nicht dazu führen, dass sie ihren Rabattanspruch in voller Höhe verliere, da eine solche Rechtsfolge weder § 130 SGB V noch den zwischen den Beteiligten bestehenden vertraglichen Regelungen zu entnehmen sei.

Auf die Berufung des Klägers bestätigte nun das LSG Hamburg die Vorinstanz. Da die grundsätzliche Höhe der berechneten Abschläge zwischen den Parteien nicht streitig ist, konnte sich das Gericht ganz auf die Frage beschränken, ob der Abschlag infolge der verspäteten Zahlung der Kasse vollständig oder teilweise entfallen ist. Es kommt dabei zu dem Schluss, dass der Abschlag nach § 130 Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht vollständig entfallen ist. Zwar sei dem Kläger zuzugeben, "dass ein alltagssprachliches Verständnis unter dem Begleichen einer Rechnung deren vollständige Bezahlung verstehen dürfte". Dennoch: Der Wortlaut sei nicht eindeutig. Zum einen sage er nichts zur Frage vollständiger oder teilweiser Zahlung aus, zum anderen beziehe er sich nur auf die Rechnung des (einzelnen) Apothekers, nicht aber auch eindeutig auf den hier vorliegenden Fall einer Sammelrechnung.

Und so argumentieren die Richter mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Rabattregelung: Der (damals noch) gestaffelte Apothekenrabatt sei Ausfluss des in der GKV geltenden Wirtschaftlichkeitsgebots. Er diene zuallererst der Sicherung der Beitragssatzstabilität, indem die Apotheken mit dem ihnen auferlegten Zwangsrabatt an der Finanzierung der Arzneimittelversorgung der Versicherten beteiligt werden. Zugunsten der Apotheken wurde die Rabattgewährung von einer schnellen Zahlung durch die Krankenkassen abhängig gemacht. Soweit man hierin einen privatrechtlichen Skontogedanken sehen will, sei dieser durch die sozialrechtlich eingebundene Rabattregelung überlagert. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht zu rechtfertigen, dass jede noch so geringfügige Kürzung des Rechnungsbetrags mit dem Risiko des vollständigen Entfallens des Rabattanspruchs behaftet wäre. "Es geht hier nicht um ein Alles-oder-Nichts, sondern um eine angemessene Beteiligung auch der Apotheken an den Kosten der Arzneimittelversorgung mit dem Ziel der Kostendämpfung", heißt es im Urteil.


DAZ.online


Das Urteil im Volltext finden Sie hier.



AZ 2011, Nr. 39, S. 1

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