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Fachmedien kurz rezensiert
"Dauerläufer" in Neuauflage
Nur wenige Fachbücher können jahrzehntelange, ununterbrochene Neuauflagen für sich beanspruchen. Auf dem Gebiet der Arzneiverordnung starteten in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zwei Konkurrenten, im Jahre 1926 die von Paul Trendelenburg verfassten und bis 1952 von Otto Krayer herausgegebenen "Grundlagen der allgemeinen und speziellen Arzneiverordnung" und kurz zuvor 1925 die "Arzneiverordnungen", herausgegeben von der damaligen "Gemeinsamen Arzneimittelkommission der Ärzte und Krankenkassen" und seit 1952 bis heute fortgeführt von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ).
Beide Werke versuchten bereits damals Ordnung in ein immer schwerer durchschaubares Arznei-Durcheinander zu bringen, von dem 1926 Trendelenburg in seinem Vorwort schrieb: "Verschiedene Umstände machen es dem Arzte seit einigen Jahrzehnten immer schwerer, den therapeutischen Wert seiner Arzneibehandlungen zu beurteilen. Früher war der Arzneischatz etwas relativ Stabiles, und die Stimmen, die seinen therapeutischen Wert beurteilten, bemühten sich im Allgemeinen um Objektivität. Seit die Arzneimitteldarstellung fast ganz dem Kapitalismus unterworfen ist, erschwert die Unsumme immer neu auftauchender Spezialitäten und die oft recht subjektiv gehaltene Form ihrer Empfehlung die Bildung eines sicheren Urteils." [1] Die "Arzneiverordnungen" hatten nach den Worten Heubners [2] von Beginn an die Aufgabe, die "Zurückdrängung des Minderwertigen und Überflüssigen" zu erreichen und "die dadurch angerichtete Verwirrung in den Köpfen der ernsthaft bemühten Ärzte" zu bekämpfen. Auch habe sich nach Heubners Worten im Jahre 1952 das Rüstzeug bei der Bekämpfung schwerer Krankheitszustände im Laufe der vergangenen vier Jahrzehnte sehr vermehrt und verbessert: "Ob ein gleicher Fortschritt festzustellen ist in der Übersicht der praktischen Ärzte über das Rüstzeug und in der Umsicht bei seinem Einsatz, bleibe dahingestellt."
Übersicht über die Arzneimittel verlangte Heubner bereits auf dem Deutschen Kongress für Innere Medizin im Jahre 1911, "um dem immer unerträglicher um sich greifenden Unwesen in der Produktion und vor allem auch in der Anpreisung neuer Arzneipräparate einen Damm zu setzen." [3]
Dies setzt freilich immer die unabhängige Bewertung voraus und damit ist es oft in den Apotheken nicht besser bestellt als in den Arztpraxen, was spätestens dann sichtbar wird, wenn dem Arzt kurzfristig therapeutische Alternativen genannt werden sollen. Hier können die "Arzneiverordnungen" den Apotheken für die überzeugende Beratung von Ärzten eine kompetente und unkomplizierte Hilfe bieten.
In neun farblich abgesetzte Abschnitten gliedert sich das Buch: Infektionen, Schmerz, Rheumatische Erkrankungen, Nervensystem, Herz und Kreislauf, Blut, Malignome, Immunsystem sowie Atemwege und Lunge. Den Kapiteln geht jeweils ein grün hervorgehobenes "Fazit für die Praxis" voran, danach folgt eine Wirkstoffübersicht aus "empfohlenen" und "weiteren" Wirkstoffen. Einem kurzen Abriss der Pathophysiologie und Klinik des jeweiligen Krankheitsbildes folgen gelb unterlegte therapeutische Prinzipien und Sofortmaßnahmen. Sie leiten über zur klinischen Pharmakologie der einzelnen Wirkstoffe, die jeweils durch eine blau hervorgehobene "Vergleichende Bewertung" sowie "Hinweise zur wirtschaftlichen Verordnung" eingeleitet werden.
Warnhinweise sind in kurzen, rot gesetzten Merksätzen enthalten, die auch im Apothekenalltag hilfreich sind. So liest der Ratsuchende beispielsweise im Kapitel zu Analgetika auf den Seiten 228 und 229: "Die Anwendung von Analgetika in Deutschland ist zu 70% eine Therapie im Rahmen einer ärztlich nicht kontrollierten und in Apotheken oder im Internet frei verkäuflichen Selbstmedikation." Und ferner: "Transdermale Matrixpflaster sind zur Therapie postoperativer Schmerzen kontraindiziert." Auch zweifelhafte Therapieansätze werden nicht ausgelassen. Ein eigenes Kapitel widmet sich beispielsweise den in der Laienpresse oft falsch bewerteten "Anti-Aging-Präparaten".
Angesichts der teilweise undurchsichtigen Flut von Arzneistoffen ist es erfreulich zu sehen, wie stark reduziert werden könnte: die "Liste wichtiger Wirkstoffe für die hausärztliche Verordnung" umfasst nur noch 77 aus Sicht der AkdÄ essenzielle Wirkstoffe ("Liste A") und nicht mehr als 76 weitere Wirkstoffe, die als Alternativen oder in Sonderfällen zur Anwendung kommen können ("Liste B").
Lesenswert ist auch die Einführungssektion "Verlässliche Arzneiinformation – eine knappe Ware", u. a. mit der vielsagenden Kapitelüberschrift "Industrieller Einfluss auf die Information zu Arzneimitteln".
Eine Zahl von 75 Autoren muss geeint werden; bereits technisch ist dies eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für die Redaktion unter Führung des ehemaligen Vorsitzenden der AkdÄ Müller-Oerlinghausen gewesen. Die Beiträge sind aber auch inhaltlich in einem einheitlich gut lesbaren Duktus gehalten und durch 36 namentlich genannte Gegenleser zusätzlich fachlich überprüft worden.
Auf mehr als 1400 Seiten gibt es immer den einen oder anderen Kritikpunkt, manches ist auch dem Redaktionsschluss und zwischenzeitlichen Änderungen geschuldet. Die folgenden Anmerkungen sind deshalb nicht negativ zu verstehen. So ist beispielsweise die Verschreibungshöchstmenge für Fentanyl am 15. Juli 2009 auf 500 mg angehoben worden und beträgt nicht mehr 340 mg wie in Tabelle III.1 angegeben. Auf S. 230 muss seit Einführung von Instanyl® die Aussage korrigiert werden, dass eine transnasale Fentanyl-Applikation zwar in Vorbereitung, aber noch nicht verkehrsfähig sei.
Ein Hinweis auf den Begriff der "bezugnehmenden Zulassung" wäre im Kapitel "Zulassungsverfahren und Stufenplan" angebracht gewesen und hätte angesichts der Generikaflut auch Gelegenheit geboten, die Definition des Gesetzgebers bei der Bioäquivalenz (85 bis 115% des Referenzarzneimittels) anzugeben, die in der Praxis meist unbekannt ist. Bei den Wurmkrankheiten (Kapitel 5.7) könnte Tabelle 5.9 vereinfacht werden, da dort dreimal die identische Angabe "Praziquantel 5 – 10 mg/kg KG" erscheint. Fuchs- und Hundebandwurm fehlen außerdem in dieser Tabelle, sind aber in Mitteleuropa für den Mensch als Zwischenwirt der Larven wesentlich bedeutsamer, da durch Waldbeeren oder Haustiere übertragen, als der durch die Fleischbeschau stark eingedämmte Rinder- und Schweinebandwurm.
Bei Metoprolol (und den anderen CYP2D6-abhängigen Betablockern) fehlt ein Hinweis auf den geschlechtsabhängigen Metabolismus, der bei Frauen auch mit einer erhöhten Rate an Nebenwirkungen einhergeht.
Fazit: Der Gebrauchswert des Buches ist für die tägliche Praxis sehr hoch. Bei der Beratung von Ärzten durch Apotheken sind die "Arzneiverordnungen" ein schwer zu schlagendes Argument und der Preis von 49,95 Euro ist durchaus konkurrenzfähig.
[1] Trendelenburg P (1926) Grundlagen der allgemeinen und speziellen Arzneiverordnung, Berlin[2] Heubner W (1952) Geschichte einer Arzneimittelkommission. Deutsches Ärzteblatt – Ärztliche Mitteilungen 12: 227– 229[3] Heubner W (1911) zitiert nach: http://www.akdae.de/05/35HistorischeEckdaten.htmlProf. Dr. Thomas Beck, Institut für Anatomie, Universität Rostock
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