Recht

Befreiung von der Notdienstbereitschaft

"Berechtigter Grund" kann auch ein dauerhafter sein

(ks). Wer eine Hauptapotheke und mehrere Filialapotheken in einer Stadt betreibt, kann einen Anspruch darauf haben, die Notdienste sämtlicher Apotheken in einer seiner Filialapotheken durchführen zu können. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht (OVG) hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass die zuständige Landesapothekerkammer den Antrag eines Apothekers aus Gera auf Befreiung dreier seiner Apotheken von der Notdienstbereitschaft ermessensfehlerhaft abschlägig beschieden hat. (Urteil des Thüringer OVG vom 27. April 2010, Az.: 3 KO 783/07)

Notdienstbereitschaft Eine Verlagerung der Dienstbereitschaft ist nach Ansicht des ­Thüringer Oberverwaltungsgerichts möglich, wenn eine Hauptapotheke und mehrere Filialapotheken in einer Stadt betrieben werden. Die Notdienste sämtlicher Apotheken können demnach in einer der Filialapotheken durchgeführt werden.

Foto: AZ/ekr

Im August 2006 hatte der Kläger bei der Landesapothekerkammer Thüringen beantragt, den Bereitschaftsdienst seiner drei anderen Apotheken dauerhaft in einer Filialapotheke durchzuführen. Er begründete dies damit, dass die ärztliche Notdienstbereitschaft für die Stadt Gera und Umgebung schon über mehrere Jahre in den Räumen eines Behörden- und Ärztehauses durchgeführt werde, das sich nur wenige Gehminuten von der besagten Apotheke entfernt befinde. Somit sei eine schnelle und bequeme Erreichbarkeit für die Patienten gewährleistet. Zudem sei es so möglich, durch eine breite Lagerhaltung häufig im Notdienst veräußerte Arzneimittel vorrätig zu halten. Die Apothekerkammer lehnte "den Antrag auf Verlagerung der Dienstbereitschaft" ab. Zur Begründung führte sie aus, dass Filialapotheken keine Apotheken minderen Ranges seien. Als Vollapotheken seien sie in die Apothekennotdienstregelung einzubeziehen. Sie müssten die Dienstbereitschaft in ihren eigenen Apothekenbetriebsräumen wahrnehmen. Nach intensiver rechtlicher Analyse habe sie, die Beklagte, sich dafür entschieden, die dauernde Übernahme des Notdienstes durch eine Hauptapotheke für eine Filialapotheke und umgekehrt nicht mehr zu genehmigen.

"Berechtigter Grund" im Sinne des § 23 Abs. 2 ApBetrO

Der Apotheker erhob daraufhin vor dem Verwaltungsgericht Gera Klage gegen die Landesapothekerkammer. Das Gericht wies diese ab, da es keinen "berechtigten Grund" gemäß § 23 Abs. 2 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) für das Befreiungsbegehren erkennen konnte. Dies sah die Berufungsinstanz anders. Auch im jetzt ergangenen Urteil ist die besagte Norm Dreh- und Angelpunkt der Entscheidungsgründe. In § 13 Abs. 2 ApBetrO heißt es: "Von der Verpflichtung zur Dienstbereitschaft kann die zuständige Behörde für die Dauer der ortsüblichen Schließzeiten, der Mittwochnachmittage, Sonnabende oder der Betriebsferien und, sofern ein berechtigter Grund vorliegt, auch außerhalb dieser Zeiten befreien, wenn die Arzneimittelversorgung in dieser Zeit durch eine andere Apotheke, die sich auch in einer anderen Gemeinde befinden kann, sichergestellt ist."

Zwar hat der klagende Apotheker auch nach dem Urteil des OVG keinen Anspruch auf positive Bescheidung durch die Behörde – wohl aber auf eine ermessensfehlerfreie. Und eine solche war den Verwaltungsrichtern zufolge nicht erfolgt, da die Beklagte ihr Ermessen verkannt und in der Folge gar nicht ausgeübt habe. Ausführlich setzt sich das OVG in seinem 23-seitigen Urteil damit auseinander, was unter einem "berechtigten Grund" zu verstehen ist, den die Landesapothekerkammer für nicht gegeben erachtet hatte. Das OVG beleuchtet die Norm nach ihrer Entstehungsgeschichte sowie ihrem Zusammenhang mit den ladenschlussrechtlichen Vorschriften und der grundsätzlichen ständigen Dienstbereitschaftspflicht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ApBetrO. Es befasst sich zudem mit den Befürwortern einer restriktiven Auslegung der Regelung, die jeden Umstand nicht nur vorübergehender Dauer als "berechtigten Grund" ausscheiden lassen. Auch die Frage, ob die Ersatz-Bereitschaft dem "Leitbild des Apothekers in seiner Apotheke" widerspricht, behandelt das Urteil ausführlich.

Auch persönliche Interessen können ein "berechtigter Grund" sein

Dabei kommt das OVG letztlich zu dem Schluss, dass ein "berechtigter Grund" für eine Befreiung von der Dienstbereitschaftspflicht nach § 23 Abs. 2 ApBetrO kein singuläres, außergewöhnliches Ereignis voraussetzt. Vielmehr könnten auch Umstände von nicht nur vorübergehender Dauer, wie die vorliegenden, einen "berechtigten Grund" darstellen. Die persönlichen oder betrieblichen Interessen, die der Übernahme der Dienstbereitschaft einer Apotheke durch eine andere zugrunde liegen, bilden dem Urteil zufolge regelmäßig einen "berechtigten Grund" für eine Befreiung. Dennoch scheide eine gerichtliche Verpflichtung der Behörde auf Erteilung der beantragten Befreiung aus. Dies wäre nur der Fall, wenn das Ermessen der Behörde auf Null reduziert wäre, das heißt nur eine Entscheidung ergehen könnte. Dies sei vorliegend nicht ersichtlich. Der Kläger habe jedoch Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Neubescheidung. Dazu weist das OVG darauf hin, dass es dem Zweck des durch die Vorschrift des § 23 Abs. 2 ApBetrO eröffneten Ermessens widerspreche, Befreiungen, die zum Zwecke der Konzentrierung von Notdienstbereitschaften auf eine Apotheke beantragt werden, generell unter Hinweis auf eine Gefahr der Bildung von "Apotheken zweiter Klasse" bzw. der "Entwicklung hin zu Schwerpunktapotheken" zu versagen.

Das OVG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die in dem Fall aufgeworfenen Rechtsfragen seien über den Einzelfall hinaus bedeutsam und klärungsbedürftig, so die Richter.

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Das hier genannte Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts finden Sie hier im Volltext.

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