Arzneimittel und Therapie

"Die klinische Datenlage ist miserabel!"

Die Vitamin-B12 -Salbe Regividerm® ist trotz aller Diskussionen als Medizinprodukt in Deutschland in den Handel gekommen. Doch was können die Neurodermitis- und Psoriasis-Patienten von dieser Salbe erwarten? Wie wirkt sie? Wie gut ist sie untersucht? Was sollen Apotheker den nachfragenden Patienten raten? Darüber haben wir mit Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, dem Präsidenten der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) gesprochen.
Prof. Dr. Manfred Schubert-­Zsilavecz, Frankfurt

DAZ Die Vitamin-B12 -haltige Creme Regividerm® firmiert als Medizinprodukt. Die Begründung: Vitamin B12 fungiert als NO-Fänger. Doch es gibt auch andere Hypothesen (siehe Artikel Wie topisches Vitamin B12 wirken soll, S. 31). Falls Vitamin B12 tatsächlich topisch eine Wirkung hat, welcher Mechanismus erscheint wahrscheinlich?

Schubert-Zsilavecz: Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Frage, wie Vitamin B12 auf bzw. in der Haut wirkt, noch nicht ausreichend untersucht ist. Einen rein physikalischen Effekt halte ich für eher unwahrscheinlich. Vielmehr legen erste Untersuchungen nahe, dass eine Hemmung der induzierbaren NO-Synthase möglich ist.

DAZ Wie bewerten Sie die klinischen Studien bzw. die Datenlage, aufgrund derer jetzt unzählige Neurodermitis- und Psoriasis-Patienten die Creme ausprobieren werden. Kann man nach dem Motto verfahren, ein Versuch schadet nicht oder haben Sie ernsthafte Bedenken?

Schubert-Zsilavecz: Um es auf den Punkt zu bringen. Die klinische Datenlage ist miserabel. Aus diesem Grund rate ich von einer Anwendung ab. Es gibt einfach zu viele offene Fragen bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit, weshalb ich eine allgemeine Anwendungsempfehlung in höchstem Maße für unvertretbar halte.

DAZ Vitamin B12 ist licht- und oxidationsempfindlich. Mit welchen Reaktionen auf der Haut muss gerechnet werden? Was ist von der Hypothese zu halten, dass hochreaktiver Singulett-Sauerstoff entsteht, der möglicherweise langfristig auch zu Hautkrebs führen kann?

Schubert-Zsilavecz: Diese Hypothese lässt sich zur Zeit nicht be- und nicht widerlegen. Und genau das ist das Problem. Es gibt keine belastbaren Daten, die neben der Wirksamkeit vor allem auch die Sicherheit einer solchen Anwendung belegen. Im Grunde ist das Hokus-Pokus-Medizin im therapeutischen Blindflug.


 

DAZ Vieles an der "Wundersalbe" erscheint unseriös. Was müsste aus Verbraucher- bzw. Patientensicht jetzt geschehen?

Schubert-Zsilavecz: Zunächst sollten insbesondere Ärzte und Apotheker mit sachlichen Argumenten auf die mangelnde Seriosität dieses Produktes hinweisen. Die ganze Sache ist ein perfekt getimter Werbecoup zulasten hilfesuchender Patienten und Eltern von betroffenen Kindern. Ich trete auch dafür ein, dass sich die Behörden dieser Sache annehmen.

 

DAZ Herr Professor Schubert-Zsilavecz, vielen Dank für das Gespräch!

 

 

Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz

Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft

Vizepräsident der Goethe-Universität

Institut für Pharmazeutische Chemie

Zentrum für Arzneimittelforschung, Entwicklung und Sicherheit

Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Max-von-Laue-Str.

60438 Frankfurt am Main

 

 


Das Interview führte Dr. Doris Uhl


Zum Weiterlesen


Dick aufgetragen: Der ARD-Film "Heilung unerwünscht"

Vitamin-B12-Creme: Rezepturprobleme und ihre Lösung
Leserbriefe zum Thema finden Sie hier (Leserbrief "Lösung als Zwischenlösung") bzw. hier (Leserbrief "Schöne Farbe") (oder in der aktuellen DAZ-Ausgabe auf den Seiten 68 - 70.

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