- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 38/2009
- 50 Jahre ...
Entwicklungshilfe
50 Jahre Arzneimittelhilfe des Difäm in Tübingen
Womit behandeln, wenn die Regale in den Apotheken notorisch leer sind? Diese Situation kannte der ehemalige Difäm-Direktor Dr. Martin Scheel aus seiner Arbeit in Indien nur allzu gut. Die Missionskrankenhäuser waren damals vollständig abhängig von Medikamentensendungen aus Europa und Nordamerika. Nachdem das Difäm 1959 erstmals öffentlich zu Arzneimittelspenden aufgerufen hatte, quoll das sogenannte Medikamentenhaus in den folgenden Jahren regelrecht über. Riesige Mengen Arzneimittel wurden dort nach Haltbarkeit und Indikation sortiert. Schon bald wurden den Verantwortlichen die problematischen Seiten dieser Spenden deutlich: Sie verursachten viel Arbeit und hohe Folgekosten. Zudem waren viele Medikamente für den Einsatz in Übersee nicht geeignet, während wichtige Medikamente gegen tropische Krankheiten fehlten und weiterhin gekauft werden mussten. Insgesamt war der Nutzen der Medikamentensendungen jedoch groß, denn sie linderten die Leiden vieler Patienten in kirchlichen Krankenhäusern.
Hilfe in Katastrophengebieten
Parallel zu diesen Aktivitäten entwickelte sich die Nothilfe für Krisengebiete. Seit 1961 beauftragte die ebenfalls 1959 gegründete Aktion "Brot für die Welt" die Arzneimittelhilfe des Difäm mit größeren Medikamentensendungen. Eine besondere Herausforderung stellte z. B. der Biafra-Krieg in Nigeria dar, nachdem die "Diakonie Katastrophenhilfe" und Caritas eine Luftbrücke dorthin aufbauten und das Difäm mit der Arzneimittelbeschaffung beauftragt hatten. Ähnliche Ausmaße erreichte die Hilfe für 1,2 Millionen Flüchtlinge in Somalia zwischen 1980 und 1984.
Zentrale Beschaffungsstelle
1982 erhielt die Difäm-Arzneimittelhilfe die Anerkennung der Landesregierung Baden-Württemberg als Zentrale Beschaffungsstelle gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 5 AMG (bestätigt im November 2008) und konnte seither direkt mit den Herstellern verhandeln und Arzneimittel für den Export außerhalb des Geltungsbereiches des AMG beziehen.
Arzneimittelherstellung vor Ort
Nicht nur Abhilfe bei Notständen schaffen, sondern Entwicklung fördern – das bedeutet pharmazeutische Entwicklungszusammenarbeit. Ein solches Projekt wurde in Rumänien 1993 erfolgreich umgesetzt. Schon zuvor waren Medikamente und Geräte von Tübingen aus in die damaligen Ostblockstaaten versandt worden. Nach der politischen Wende erhöhte sich der Umfang, aber es wurde auch deutlich, dass eine strukturelle Verbesserung sinnvoller wäre. Die Arzneimittelhilfe entwickelte ein Großprojekt zur Herstellung von Infusionslösungen in Rumänien. Nach intensiven Vorbereitungen, Identifizierung einer geeigneten Vertragsfirma sowie Schulungen des Personals vor Ort und in Deutschland wurden im September 1993 in Hermannstadt und Klausenburg zwei Produktionsanlagen über die Firma Concept in Betrieb genommen. Eine dieser Anlagen produziert noch heute 25 verschiedene Infusionslösungen, im Jahr 2008 waren es allein 69.000 Flaschen für die Universitätskliniken und andere Hospitäler in der Umgebung.
Ein ähnlicher Erfolg, politisch viel brisanter, konnte zwischen 1997 und 2004 in Nordkorea erzielt werden. In dieser Zeit wurden viele Tonnen pharmazeutische Rohstoffe nach Pjöngjang geliefert und dort in einer Fabrik zu unentbehrlichen Medikamenten verarbeitet. Unicef verteilte diese dann an Krankenhäuser im gesamten Land. Sowohl die Versorgungslage in den Krankenhäusern als auch die Qualität der Medikamente wurde dadurch verbessert. Das Laborpersonal der Fabrik durfte von ausländischen Experten geschult werden und später auch zu einer Fortbildung nach Thailand reisen – was außergewöhnlich war. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum über 800 Millionen Tabletten hergestellt.
"Unentbehrliche Medikamente"
Die Liste der unentbehrlichen Medikamente wurde 1977 von der Weltgesundheitsorganisation erstmals veröffentlicht. Bei der Auswahl der damals 208 Arzneimittel spielten die Wirksamkeit, mögliche Nebenwirkungen, die weltweite Verfügbarkeit und der Preis eine Rolle. Die bis heute gültige Kernthese des Konzepts lautet: Wenige, aber sorgfältig ausgewählte Arzneistoffe verbessern die Gesundheitsversorgung, vereinfachen den Umgang mit Arzneimitteln und reduzieren die Preise. Im April 2009 erschien die 16. Liste mit über 300 Arzneistoffen und die zweite gesonderte Liste zur Behandlung von Kindern. Die Liste ist universell; 156 der 193 WHO Mitgliedsländer entwickelten eigene Nationale Listen. |
Zentralapotheken in Übersee
Medikamente vor Ort erwerben zu können, ist eine sinnvolle Alternative zum Import. Es spart Transportzeit und -kosten und fördert die lokale Infrastruktur. Ein weiterer Schritt ist die Beschaffung über Zentralapotheken. Die Kirchen, die in vielen afrikanischen Ländern bis zu 50 Prozent des Gesundheitssystems verantworten, entwickelten in den letzten 20 Jahren in vielen Ländern solche Zentralapotheken, um die wichtigsten Präparate und Materialien kostengünstig vorrätig zu halten. Sie kümmern sich auch um Qualitätsfragen, um Fortbildung und Supervision der angeschlossenen Gesundheitsstationen und haben einen Umsatz von bis zu 18 Millionen Dollar pro Jahr. Auch die Arzneimittelhilfe des Difäm nutzt und stärkt die kirchlichen Zentralapotheken in Afrika, z. B. in Uganda, Kenia und Malawi, indem sie dort Waren einkauft, mit denen sie Krisengebiete wie den Sudan, Somalia, D. R. Kongo oder Simbabwe beliefert.
Leitlinien für Arzneimittelspenden verändern die humanitäre Hilfe
Mitte der 90er Jahre gab es Unruhe bei vielen Spenderorganisationen. Afrikanische Länder blockierten die Einfuhr von gespendeten medizinischen Artikeln. Was stand hinter dieser Maßnahme? Die Regierungen hatten zu Recht erkannt, dass Hilfssendungen die Entwicklung einer eigenen Infrastruktur, auch die der Vereinheitlichung von Therapierichtlinien, hemmen. Schon nach kurzer Zeit berichteten die Partner, dass es nun vor Ort gute Medikamente und Einmalartikel zu kaufen gebe. Deshalb ist es wichtig, nationale Bestimmungen wie z. B. nationale Arzneimittellisten zu beachten [1].
Nach 37 Jahren des Sammelns, Sichtens und Sortierens schloss die Difäm-Arzneimittelhilfe im Jahr 1996 das Medikamentenhaus für gespendete Kleinpackungen. Zuvor hatte sie gemeinsam mit dem Pharmazeutischen Programm des Ökumenischen Rats der Kirchen die Leitlinien für Arzneimittelspenden erarbeitet. 1997 entwickelte die WHO diese Leitlinien weiter zu den "Guidelines for Drug Donations". Die Arzneimittelhilfe machte es sich zur Aufgabe, diese Leitlinien bekannt zu machen [2, 3]. Auch das Auswärtige Amt wurde von der Arzneimittelhilfe beraten und integrierte 1997 die Leitlinien in ihre "Empfehlungen für Arzneimittellieferungen in der Humanitären Hilfe". Seitdem muss jede Organisation, die Fördermittel der Regierung für Arzneimittel erhält, bestätigen, dass sie sich an diese Leitlinien hält.
Ferner hat die Difäm-Arzneimittelhilfe viele Gruppen, kleine Vereine, Firmen, Apotheker und Ärzte beraten, wie sie sinnvolle medizinische Hilfe in Übersee leisten können.
Viele Hilfsorganisationen schwenkten von Ärztemustern auf bedarfsgerecht zusammengestellte Großpackungen um und trugen maßgeblich dazu bei, das WHO-Konzept der "Unentbehrlichen Medikamente" in den Partnerkrankenhäusern bekannt zu machen. Die Folge war eine übersichtlichere und bedarfsgerechtere Arzneimittelversorgung und ‑bevorratung, was auch heißt, dass kaum noch Präparate wegen Unverwendbarkeit vernichtet werden mussten.
Internationale Lobbyarbeit
Die Arzneimittelhilfe des Difäm hat seine Erfahrungen und Kenntnisse großenteils im internationalen Austausch gewonnen und weitergegeben. Besonders wichtig ist die Mitgliedschaft im Ökumenisch-Pharmazeutischen Netzwerk EPN mit Sitz in Nairobi [4]. Seit 2002 ist Albert Petersen Vorsitzender des EPN. Mit über hundert Mitgliedsorganisationen aus über 30 Ländern analysiert es pharmazeutische Belange, erarbeitet und vertritt politische Positionen und führt gezielte Maßnahmen durch. Ziel ist es, Armen und Benachteiligten einen besseren Zugang zu pharmazeutischer Versorgung und Gesundheitsdiensten zu schaffen.
Zudem arbeitet die Arzneimittelhilfe im Fachkreis Pharma des Aktionsbündnisses gegen Aids mit. Hier geht es vor allem um die Auseinandersetzung mit Herstellern antiretroviraler Arzneimittel, denn viele Präparate sind für die Patienten in wirtschaftlich armen Ländern zu teuer. Darüber hinaus fehlen sinnvolle Darreichungsformen und Dosierungen für die Therapie von Kleinkindern. Konkret fordert der Fachkreis Pharma von den Firmen Abbott, BMS und Gilead, die Patentanträge in Indien für Lopinavir/Ritonavir, Atazanavir und Tenofovir zurückzuziehen, da die Patentierung den Export von preisgünstigen Generika aus Indien z. B. nach Afrika negativ beeinflussen würde.
Projekt: Qualitätssicherung von Medikamenten in Afrika
Vor allem in ostafrikanischen Ländern wurden einheimische pharmazeutische Firmen in den letzten zehn Jahren zu wichtigen Versorgern der lokalen Märkte. Manche von ihnen erreichten international anerkannte Standards, wie z. B. das Zertifikat, unter PIC-S-Bedingungen zu produzieren.
Vieles liegt jedoch noch im Argen: Die Prüflabors der Zentralapotheken und auch die Möglichkeiten staatlicher pharmazeutischer Überwachungsbehörden sind begrenzt. Um nicht allein den Qualitätszertifikaten der Hersteller vertrauen zu müssen, unterstützt die Difäm-Arzneimittelhilfe Maßnahmen, die die Qualitätsprüfung in den Zentralapotheken verbessern:
- Partner aus verschiedenen afrikanischen Ländern können Arzneiproben an das inzwischen WHO-präqualifizierte Labor der kirchlichen Zentralapotheke in Nairobi schicken und dort analysieren lassen – mit finanzieller Unterstützung der Arzneimittelhilfe. Mehrere Runden eines pooled sampling/testing pro Jahr sind geplant, bei dem eine vorher vereinbarte Auswahl bestimmter Präparate gleichzeitig von mehreren Partnern nach Kenia geschickt wird. Dadurch werden die Kosten zwar stark reduziert, für weitere Qualitätstests benötigt die Arzneimittelhilfe jedoch zusätzliche Mittel!
- Die Arzneimittelhilfe fördert die Ausstattung der Zentralapotheken mit kleinen Labors, wie z. B. mit dem schon mehrfach in dieser Zeitschrift erwähnten Minilab.
Aktuell ermöglicht die Arzneimittelhilfe, gemeinsam mit action medeor, afrikanischen Apothekern von vier lokalen Beschaffungsstellen, sich in der Auditierung von pharmazeutischen Herstellern fortzubilden. Weitere Schwerpunkte liegen in der Förderung von Schulungen, Bereitstellung pharmazeutischer Referenzliteratur, Unterstützung der Ausbildung zum PTA z. B. in Malawi und bewusstseinsbildenden Maßnahmen zu rationalem Arzneimittelgebrauch, speziell im Hinblick auf die Antibiotikaresistenz.
Stärkung pharmazeutischer Strukturen durch Entwicklungszusammenarbeit
Neben der Überbrückung von Notfällen durch die gezielte Bereitstellung von Basismedikamenten und medizinischen Materialien – soweit wie möglich durch Einbindung afrikanischer Bezugsquellen – gewinnt ein umfassenderes Konzept immer mehr an Bedeutung, das auf die Stärkung pharmazeutischer Strukturen vor Ort abzielt. Ein Gesundheitssystem kann nur optimal funktionieren, wenn auf vielen Ebenen umfassendes Wissen und Qualität vorhanden ist:
- Ein Medikament in minderer Qualität ist in der Wirkung eingeschränkt oder führt zu unerwünschten Nebenwirkungen. Das Thema Fälschungen ist weltweit ein großes Problem.
- Mitarbeitende von Gesundheitsstationen, die ein Präparat verordnen, ohne es genau zu kennen, können sich der Wirkung nicht sicher sein und können dem Patienten schaden.
- Medikamente, die ohne Berücksichtigung der nationalen Bestimmungen und internationaler Preisvergleiche beschafft werden, belasten nicht nur das Budget der Gesundheitsstation, sondern das Gesundheitssystem insgesamt. Denn das Geld steht für andere Maßnahmen dann nicht mehr zur Verfügung.
- Wenn ein Patient sich bei der Einnahme eines Medikamentes unsicher ist, kann dieses zu Falschanwendung mit fatalen Folgen führen.
Pharmazeutische Entwicklungszusammenarbeit bedeutet heute, all diese Faktoren mit zu berücksichtigen: Damit Medizin wirkt, müssen die richtigen Arzneimittel in guter Qualität optimal ausgewählt, preisgünstig beschafft, bestimmungsgemäß gelagert, rational verordnet und dem Patienten mit ausreichender Information verabreicht werden. Und (nur) diese Präparate müssen verfügbar sein.
Dass die Arzneimittelhilfe des Difäm 50 Jahre alt wurde, ist der tatkräftigen Mithilfe vieler Menschen zu verdanken. Machen auch Sie mit! Informieren Sie sich über die Arzneimittelsituation in ärmeren Ländern. Unterstützen Sie die Arzneimittelhilfe des Difäm mit Ihrer Spende!
Difäm - Deutsches Institut für Ärztliche Mission
Das Difäm berät und begleitet vor allem kirchliche Einrichtungen bei der Verwirklichung ihrer Gesundheitsprojekte weltweit und fördert eigene Projekte. Es ist Träger der Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus in Tübingen. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit begleiten die Mitarbeitenden den Aufbau und die Umsetzung christlicher Gesundheitsprogramme in wirtschaftlich armen Ländern. Medizinische Fachkräfte auf ihren Auslandseinsatz vorzubereiten, hat sich das Difäm seit über 100 Jahren zur Aufgabe gemacht. Die Arzneimittelhilfe des Difäm hat das Ziel, die Versorgung, Qualität und Verwendung von Arzneimitteln zu verbessern. Spendenkonto: Evangelische Kreditgenossenschaft Stuttgart Konto: 406 660, BLZ: 520 604 10 Stichwort "Arzneimittelhilfe" Kontakt: Paul-Lechler-Str. 24, 72076 Tübingen Tel. (0 70 71) 2 06-5 31, Fax (0 70 71) 2 71 25 Allen Spendern danken wir für ihr Vertrauen und ihre Unterstützung. |
Quellen
[1] WHO List of Essential Medicines, www.who.int/medicines/publications/essentialmedicines/en.
[3] www.difaem.de/arzneimittelhilfe/prospekt_haushalt.pdf.
[5] aids-kampagne.de.
Autor
Albert Petersen,
Leiter der Arzneimittelhilfe des Difäm
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.