Gesundheitspolitik

Doping am Arbeitsplatz für mehr Leistung

Doping – nicht nur ein Problem bei Sportlern

Berlin (ks). Berichte über Arzneimittel, die Geist und Stimmung gestresster Arbeitnehmer beflügeln sollen, geistern immer häufiger durch die Presse. Wer sich den Anforderungen im Job und Privatleben nicht mehr gewachsen fühlt, kann sich in der Apotheke legal mit "Doping"-Mitteln versorgen, lautet die Botschaft. Das Phänomen ist nicht neu, bisher aber kaum untersucht. Im aktuellen Gesundheitsreport der DAK wagt sich das Berliner IGES-Institut an eine Analyse. Dazu wurden nicht nur DAK-Verordnungsdaten abgeglichen, sondern auch 3000 Arbeitnehmer im Alter von 20 bis 50 Jahren befragt.

Das Problem scheint sich noch im Rahmen zu halten: Rund 5 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal leistungssteigernde oder stimmungsaufhellende Medikamente ohne medizinische Erfordernis eingenommen zu haben. 18,5 Prozent kennen mindestens eine Person, die zu derartigen Präparaten gegriffen hat. Vier von zehn Beschäftigten sind sich bewusst, dass Medikamente gegen alters- und krankheitsbedingte Gedächtnisstörungen oder Depressionen auch bei Gesunden wirken können; be-denklicherweise meinen zwei von zehn, dass die Risiken dieser Arzneimittel im Vergleich zum Nutzen vertretbar sind. Derartige pharmazeutische Hilfen gegen Stress und schlechte Stimmung werden von einem nicht unbeachtlichen Anteil der Befragten auch akzeptiert. So halten es knapp 30 Prozent der Befragten, die selbst hohen Stress bei der Arbeit verspüren, für vertretbar, mit Medikamenten Gedächtnis und Konzentration im Job zu steigern. Immerhin noch jeder Fünfte dieser Personengruppe hat Verständnis, wenn Arzneimittel eingenommen werden, um den Stress am Arbeitsplatz besser auszuhalten.

Internethandel als Treiber

Bezogen werden die einschlägigen Arzneimittel vor allem aus der niedergelassenen Apotheke. 44 Prozent derjenigen, die mit diesen Mitteln bereits Erfahrung haben, erhielten diese rezeptfrei in der Apotheke vor Ort. Um welche Medikamente es sich hierbei genau handelt, lässt der Report offen. Der dort verwendete Begriff des Dopings am Arbeitsplatz umfasst nur die Einnahme verschreibungspflichtiger Arzneien; so finden beispielsweise Ginkgo- oder Johanniskraut-Präparate, die in der Selbstmedikation zu haben sind, keine Berücksichtigung. Die am zweithäufigsten genannte Bezugsquelle sind Kollegen, Freunde und die Familie (20 Prozent). 14 Prozent kommen mit einem Rezept in die Apotheke. 12 Prozent beziehen die Mittel ohne Rezept von Internetapotheken, 11 Prozent aus anderen Internetquellen. Eine für den Report vorgenommene Expertenbefragung verdeutlicht, dass der zunehmend freie Verkehr für Arzneimittel – insbesondere aus dem Internet – als einer der stärksten Treiber für das Doping im Alltag eingeschätzt wird. Insbesondere, weil sich hierdurch zunehmend die Möglichkeit ergibt, hochpotente Arzneimittel ohne Rezept zu erhalten.

Neben der Umfrage floss in den Report eine Auswertung der Arzneimitteldaten zu Antidepressiva, Mitteln gegen Demenz und ADHS sowie Betablockern ein. Dabei wurden Verordnungs- und Diagnosedaten miteinander abgeglichen, um zu überprüfen, inwieweit diese Mittel abweichend von ihrer Zulassung verordnet werden. Am auffälligsten ist aus Sicht der Autoren die nicht bestimmungsgemäße Verordnung des Wirkstoffes Piracetam. Dieses Mittel ist unter anderem zur Behandlung von hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen, etwa Demenz, zugelassen. Lediglich 2,7 Prozent der DAK-Versicherten, denen Piracetam verordnet wurde, wiesen jedoch diese Diagnose auf. 83 Prozent der Berufstätigen bekamen dieses Mittel bei anderen zulassungsüberschreitenden Diagnosen verordnet. Bei knapp 15 Prozent erfolgte die Piracetam-Verordnung ganz ohne Diagnose. Auch der Wirkstoff Methylphenidat, der vorrangig zur Behandlung des "Zappelphilipp-Syndroms" (ADHS) eingesetzt wird, erfolgte vielfach nicht bestimmungsgemäß: Mehr als ein Viertel der erwerbstätigen DAK-Versicherten, die Methylphenidat verordnet bekamen, wiesen eine andere oder gar keine dokumentierte Diagnose auf. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich bei dem Psychostimulanz Modafinil sowie dem Antidepressivum Fluoxetin.

Langzeitwirkungen auf Gesunde unbekannt

Prof. Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité und eine der für den Report befragten Expertinnen, äußerte Verständnis für das grundsätzliche Bedürfnis von Menschen, sich zu verbessern – sei es körperlich oder geistig. Allerdings sei eine gesellschaftliche Diskussion notwendig. Denn wie die einschlägigen Medikamente langfristig auf Gesunde wirken, ist nicht bekannt; schließlich gibt es hierzu aus nachvollziehbaren ethischen Gründen keine Studien. Allerdings muss auch Heuser einräumen, dass es Studien gibt, die zu dem Ergebnis kommen, dass es messbare positive Effekte der aufputschenden oder stimmungsaufhellenden Arzneimittel auf Gesunde gibt. Doch dies rechtfertigt aus ihrer Sicht keinen leichtfertigen Umgang mit diesen Präparaten.

DAK-Chef Herbert Rebscher sieht vor allem Ärzte und Apotheker gefordert. Sie sollten nicht nur ihre Patienten informieren, sondern auch selbst besser aufgeklärt werden. Auch wenn das Doping am Arbeitsplatz noch kein weitverbreitetes Phänomen sei, wolle die DAK für das Problem frühzeitig sensibilisieren. "In Zukunft wird sich durch die zunehmende Medikalisierung der Gesellschaft und nebenwirkungsärmere Medikamente die Entwicklung beschleunigen", erwartet Rebscher.

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