Schmerztherapie

Gefährden Cyclooxygenasehemmer auch Gesunde?

Ein Meinungsbeitrag von Kay Brune und Bertold Renner
Die Diskussion über die kardiovaskulären Risiken der Cyclooxygenasehemmer reißt nicht ab. Nachdem die Langzeitstudien mit Celecoxib, Rofecoxib und Valdecoxib ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bei chronischer Anwendung dieser Wirkstoffe gezeigt haben [4, 14], stellte sich heraus, dass auch die nicht-selektiven, traditionellen Cyclooxygenasehemmer, wie Diclofenac und Ibuprofen, das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen erhöhen können [1, 8, 11]. Nunmehr verängstigt eine dänische Untersuchung [7] den gesunden Verbraucher, der gelegentlich zur Schmerztablette greift: Auch er soll durch die Anwendung von Cyclooxygenasehemmern sein kardiovaskuläres Risiko erhöhen.

Eine Analyse der Versicherungsdaten aller Dänen über zehn Lebensjahre, durchgeführt von Fosbøl et al. [7], scheint darauf hinzuweisen, dass auch Patienten ohne Risikofaktoren (hoher Blutdruck, Diabetes, durchgemachte Herz-Kreislauf-Erkrankungen etc.) beim Gebrauch von Cyclooxygenasehemmern unter einem erhöhten, wenn auch absolut geringen, kardiovaskulären Risiko stehen [7]. Die Berichte über diese Studie in der Laienpresse führen zu einer allgemeinen Verängstigung, zum schlechtem Gewissen bei Schmerzpatienten und mancherorts zum überbordenden Gebrauch von Opioidanalgetika, die seit der Vioxx® -Marktrücknahme ohnehin vermehrt angewendet werden [2]. Leider häufen sich zurzeit die Hinweise, dass gerade die Opioide, insbesondere in der modischen Form des Schmerzpflasters, zu zahlreichen Problemen führen [3, 12]: bei mäßigen Erfolgen bei rheumatischen Schmerzen kommt es zu Müdigkeit, Benommenheit und Stürzen, die häufig über Schenkelhalsbrüche zum Tode führen [9, 13]. Andererseits erlebt das alte Paracetamol, das, wie jüngere Studien beweisen, auch ein Cyclooxygenasehemmer ist [10] und das gleiche kardiovaskuläre Risiko wie traditionelle Cyclooxygenasehemmer aufweist [5, 6], eine Renaissance.

Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, die dänische Arbeit genau zu studieren. Um es vorweg zu nehmen: Diese Arbeit belegt unseres Erachtens keineswegs, dass NSAIDs (Cyclooxygenasehemmer) bei Gesunden das Auftreten von Herzinfarkten erhöhen.

Nur eine retrospektive Kohortenanalyse

Zunächst ist festzustellen, dass die dänische Studie eine retrospektive Analyse darstellt. Die Gründe, warum manche Patienten Ibuprofen, andere Diclofenac, Naproxen oder Rofecoxib oder Celecoxib erhalten haben, werden nicht berichtet. Natürlich bemühen sich die Autoren, Ungleichheiten zwischen den analysierten Gruppen (Confounder) auszuschalten. Leider war dieses aber nur begrenzt möglich. So fehlen Angaben über die Ursachen der Verschreibungen (Diagnosen) sowie Analysen der Begleitmedikation. Die Angaben zu Dosis und Dauer sind spärlich.

Viel relevantere Probleme ergeben sich beim gründlichen Lesen dieser Arbeit. Zunächst ist man verwundert, wie perfekt die Ergebnisse den derzeitigen (Vor)urteilen zu entsprechen scheinen (vgl. Abb. 1):

  • Coxibe sind besonders gefährlich.
  • Diclofenac ist fast so gefährlich wie Coxibe.
  • Ibuprofen ist relativ harmlos.
  • Naproxen hat sogar eine gewisse kardioprotektive Wirkung.

Dann aber fängt man an, sich zu wundern. In der Tabelle 2 der Fosbøl-Publikation stolpert man darüber, dass die durchschnittliche Todesrate der unbehandelten Gruppen A und B (Definition s. Tabelle und Abbildung 2) höher ist als diejenige der Gesamtpopulation A und B, inkl. all derjenigen, die Cyclooxygenasehemmer erhalten. Wieso, bleibt unklar. Auf den umstrittenen kardioprotektiven Effekt des Naproxens kann diese Diskrepanz nicht zurückgeführt werden, denn insgesamt wurden nur ca. 4 bzw. 6% der Gesamtpopulation mit Naproxen behandelt. Vielleicht liegt hier ein Schreib- oder Rechenfehler vor. Die Autoren haben auf eine diesbezügliche Anfrage unsererseits bislang nicht reagiert.

Vollends problematisch erscheint die Arbeit aber dann, wenn man das mittlere Lebensalter der Patienten in den verschiedenen Behandlungsgruppen, die jeweils einen oder keinen Cyclooxygenasehemmer erhalten haben, vergleicht. Es schwankt zwischen 37 Jahren (unbehandelte Population A, s. Tab.) und 54 Jahren (Rofecoxibgruppe, Population B). Auch die Autoren geben zu, dass das Alter für die Inzidenz von tödlichen Herzinfarkten von Bedeutung ist, aber es bleibt unklar, wie dieser Alterseffekt in ihrer Analyse berücksichtigt wird. Ordnet man die Herztodesfallrate dem Populationsalter zu, ohne die Medikation in Be-tracht zu ziehen, so ergibt sich eine direkte Beziehung zwischen dem mittleren Populationsalter und tödlichen Herzinfarkten (vgl. Tab. und Abb. 2). Dass das Alter der große Risikofaktor für das Auftreten von Herzinfarkten und Todesfällen ist, ist seit Langem bekannt! Unsere Zusammenstellung deutet an, dass das angewendete NSAID keine offensichtliche Rolle spielt (Abb. 2). Auch Diclofenac verliert das Stigma des Bösen, treten doch tödliche Herzinfarkte unter Diclofenac in den Populationen A genauso häufig auf wie in der etwa gleich alten Population B, die keine Cyclooxygenasehemmer erhielt (kein NSAID).

Ähnlich sieht es mit Naproxen aus: Seine scheinbare kardioprotektive Wirkung verschwindet, wenn man das Auftreten tödlicher Herzinfarkte unter Naproxen mit dem Auftreten in der etwa gleich alten Population A (ohne Cyclooxygenasebehandlung) betrachtet.

Nach wie vor fallen auch in dieser Zusammenstellung die selektiven Cyclooxygenase-2-Hemmer auf. Allerdings gibt es keine (Vergleichs-)Population, die ein entsprechend hohes Lebensalter aufweist und keine Cyclooxygenasehemmer erhielt. Die Population B (keine Cyclooxygenasehemmer) war mit 43 Jahren doch deutlich jünger als die Population, die Rofecoxib oder Celecoxib erhielt (> 50 Jahre).

Mit Erleichterung können wir also feststellen, dass diese Studie nicht belegt, dass die gelegentliche Einnahme von Cyclooxygenasehemmern das Todes- und Infarktrisiko gesunder Menschen erhöht. Das gilt besonders, wenn niedrige (rezeptfrei erhältliche) Dosierungen verwendet werden (Abb. 1). Sogar die in Langzeitstudien mit hohen Dosen gefährlichen selektiven Cyclooxygenasehemmer [4, 14] scheinen in dieser Analyse bei gelegentlicher Anwendung harmlos zu sein. Die Todesrate liegt auf derselben Kurve wie die aller anderen Behandlungen bzw. die der Kontrollgruppen – allerdings fehlt in dieser Publikation die Kontrollgruppe der über 50-Jährigen, die keine Cyclooxygenasehemmer eingenommen haben. Warum, bleibt das Geheimnis der Autoren.

Tab: Todesrate, geordnet nach dem mittleren Alter der Gruppe.

(Auszug aus Fosbøl EL et al; Table 2, [7])
Gruppe
Alter
Todesrate
Behandlung
1
37
8
Ø NSAID / A
2
38
9
Naproxen / A
3
38
12
Naproxen / B
4
40
11
Ibuprofen / A
5
42
16
Ibuprofen / B
6
42
18
Diclofenac / A
7
43
18
Ø NSAID / B
8
44
31
Diclofenac / B
9
51
50
Rofecoxib / A
10
51
51
Celecoxib / A
11
53
68
Celecoxib / B
12
54
87
Rofecoxib / B

A = Patientengruppe ohne Krankenhausaufenthalt in den fünf Jahren vor dem ersten NSAID-Rezept und ohne Verschreibung von Medikamenten, die auf eine chronische Erkrankung hinweisen (z. B. Hypertonie, Diabetes, rheumatoide Arthritis, Asthma, etc.; Statine waren erlaubt)
B = Patientengruppe ohne Krankenhausaufenthalt in den 10 Jahren vor dem ersten NSAID-Rezept und ganz ohne Verschreibungen

Fazit

Alle retrospektiven Kohortenanalysen [15] zeigen Schwächen. Die Untersuchung von Fosbøl et al. erscheint besonders unzuverlässig. Anlass zur Sorge bei der gelegentlichen Einnahme eines Schmerzmittels lässt sich aus ihr nicht ableiten, denn:

Ältere Menschen erleben auch aus völliger Gesundheit heraus häufiger einen (tödlichen) Herzinfarkt als junge Menschen. Dies gilt für die diejenigen, die Cyclooxygenasehemmer einnehmen, anscheinend im gleichen Umfang wie für solche, die es nicht tun.

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen sind gering. Sie ähneln denjenigen, die sich in anderen – besseren – Studien zeigen: So kommen van Staa et al. [16] zu dem Schluss:

"Most of the differences in MI risk between diclofenac, ibuprofen or naproxen may be explained by their varied use.” [16]

Was können wir dann überhaupt der immerhin in Clinical Pharmacological and Therapeutics publizierten Arbeit entnehmen? Vielleicht lässt sich ableiten, dass alle drei im rezeptfreien Gebrauch befindlichen Wirkstoffe (Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen) in der zum rezeptfreien Gebrauch zugelassenen Dosierung sogar in dieser Studie mit keinem scheinbaren oder realen, zusätzlichen Herzinfarktrisiko einhergehen (Abb. 1). Außerdem belegt diese Studie wieder einmal, wie unbefriedigend die retrospektiven Analysen großer Kohorten sind. Schließlich gibt es auch in der Therapie Moden, und welche Population von den behandelnden Ärzten lieber mit Ibuprofen, Naproxen oder Rofecoxib "beglückt" wurde, mag ganz unterschiedliche Ursachen haben, die im Nachhinein nicht mehr festzustellen sind: Neu versus alt, teuer versus billig, angenehm versus unangenehm und vieles andere mehr. Sicher erhielten ältere Menschen während des Beobachtungszeitraums vor allem Celecoxib und Rofecoxib, die damals als besonders harmlos und magenschonend galten. Ganz sicher aber bleibt festzuhalten, dass auch diese Studie belegt, je älter man wird, umso häufiger schlägt der Herztod zu – egal, ob mit oder ohne Cyclooxygenasehemmer.


Literatur

[1] ADAPT Research Group. Cardiovascular and cerebrovascular events in the randomized, controlled Alzheimer‘s Disease Anti-Inflammatory Prevention Trial (ADAPT). PLoS Clin Trials. 2006; 17;1(7):e33.

[2] Arzneimittelreport 2008

[3] Bannwarth B. Transdermal fentanyl in patients with osteoarthritis: comment on the article by Langford et al. Arthritis Rheum. 2007; 56(2): 697– 8.

[4] Bresalier RS, Sandler RS, Quan H, Bolognese JA, Oxenius B, Horgan K, Lines C, Riddell R, Morton D, Lanas A, Konstam MA, Baron JA; Adenomatous Polyp Prevention on Vioxx (APPROVe) Trial Investigators. Cardiovascular events associ-ated with rofecoxib in a colorectal adenoma chemoprevention trial. N Engl J Med. 2005; 352(11):1092 –102.

[5] Chan AT, Manson JE, Albert CM, Chae CU, Rexrode KM, Curhan GC, Rimm EB, Willett WC, Fuchs CS. Nonsteroidal antiinflammatory drugs, acetaminophen, and the risk of cardiovascular events. Circulation. 2006;113(12):1578 –87.

[6] Forman JP, Stampfer MJ, Curhan GC. Non-narcotic analgesic dose and risk of incident hypertension in US women. Hypertension. 2005; 46(3):500 –7.

[7] Fosbøl E, Gislason G, Jacobsen S, Folke F, Hansen M, Schramm T, Sørensen R, Rasmussen J, Andersen S, Abildstrom S, Trærup J, Poulsen H, Rasmussen S, Køber L, Torp-Pedersen C. Risk of Myocardial Infarction and Death Associated With the Use of Nonsteroidal Anti-Inflammatory Drugs (NSAIDs) Among Healthy Individuals: A Nationwide Cohort Study. Clin Pharmacol Ther. 2008 Nov 5.

[8] Graham DJ, Campen D, Hui R, Spence M, Cheetham C, Levy G, Shoor S, Ray WA. Risk of acute myocardial infarction and sudden cardiac death in patients treated with cyclo-oxygenase 2 selective and non-selective non-steroidal anti-inflammatory drugs: nested case-control study. Lancet. 2005; 365(9458):475– 81.

[9] Hartikainen S, Mäntyselkä P, Louhivuori-Laako K, Enlund H, Sulkava R. Concomi-tant use of analgesics and psychotropics in home-dwelling elderly people-Kuopio 75 + study. Br J Clin Pharmacol. 2005; 60(3):306 –10.

[10] Hinz B, Brune K. Can drug removals involving cyclooxygenase-2 inhibitors be avoided? A plea for human pharmacology. Trends Pharmacol Sci. 2008; 29(8):391–7.

[11] Kearney PM, Baigent C, Godwin J, Halls H, Emberson JR, Patrono C. Do selective cyclo-oxygenase-2 inhibitors and traditional non-steroidal anti-inflammatory drugs increase the risk of atherothrombosis? Meta-analysis of randomised trials. BMJ. 2006;332(7553):1302 – 8.

[12] Langford R, McKenna F, Ratcliffe S, Vojtassák J, Richarz U. Transdermal fentanyl for improvement of pain and functioning in osteoarthritis: a randomized, placebo-controlled trial. Arthritis Rheum. 2006; 54(6):1829 –37.

[13] Shorr RI, Griffin MR, Daugherty JR, Ray WA. Opioid analgesics and the risk of hip fracture in the elderly: codeine and propoxyphene. J Gerontol. 1992;47(4):M111– 5.

[14] Solomon SD, McMurray JJ, Pfeffer MA, Wittes J, Fowler R, Finn P, Anderson WF, Zauber A, Hawk E, Bertagnolli M; Adenoma Prevention with Celecoxib (APC) Study Investigators. Cardiovascular risk associated with celecoxib in a clinical trial for colorectal adenoma prevention. N Engl J Med. 2005 Mar 17;352(11):1071– 80.

[15] Taubes G. Epidemiology faces its limits. Science. 1995 Jul 14;269(5221):164 –9.

[16] van Staa TP, Rietbrock S, Setakis E, Leufkens HG. Does the varied use of NSAIDs explain the differences in the risk of myocardial infarction? J Intern Med. 2008; 264(5):481– 492.


Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Kay Brune

Doerenkamp Professor

Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie

FAU Erlangen-Nürnberg,

Fahrstr. 17, 91054 Erlangen
Abb. 1: Risiko, zu sterben oder einen Myokardinfarkt zu erleben, in Abhängigkeit der Anwendung unterschiedlicher Cyclooxygenasehemmer in der Population A (vgl. Tab.) [aus: Fosbøl EL et al., 7]
Abb. 2: Inzidenz von kardiovaskulären Todesfällen bei gesunden Dänen, die Cyclooxygenasehemmer erhielten oder ohne auskamen.

Die Abbildung zeigt, dass die Einnahme eines Cyclooxygenasehemmers bei unter 45-Jährigen die Todesrate nicht erhöht. Bei den über 45-Jährigen fehlt die Kontrollgruppe. Doch auch hier ist eine deutliche Steigerung der Mortalität durch die Einnahme von selektiven Cyclooxygenasehemmern über das Alterstypische (Kurvenverlauf) hinaus nicht evident.

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