Deutscher Apothekertag 2008

Alte und neue Baustellen

Im seinem Bericht beschrieb ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Hans-Jürgen Seitz, wie sich die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die deutschen Apotheken im zurückliegenden Jahr entwickelt haben. Er gab aber auch Hinweise auf künftige berufspolitische Themen wie die angestrebte Senkung des Kassenabschlages, einen Musterprozess gegen Null-Retaxationen und Anforderungen an eine praxisgerechte Telematik.

Die Leistungsfähigkeit des Apothekenwesens sieht Seitz "durch ein immer größeres Spannungsfeld zwischen zunehmenden Pflichten einerseits und abnehmenden Rechten andererseits gefährdet". Im Berichtsjahr 2007/2008 hätten sich neben den Folgen des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) und des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) die ständig wachsenden Begehrlichkeiten der Europapolitik auf die Apotheken ausgewirkt. Die EU-Kommission wolle ihren Einfluss auf die nationalen Gesundheitssysteme und damit auch auf die Apotheken erweitern.

Mehr Geld für Apotheken

Bei der Betrachtung des wirtschaftlichen Umfeldes konstatierte Seitz eine seit 2002 im Durchschnitt nur unauffällige Steigerung der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Wertschöpfung der Apotheken aus der GKV-Versorgung stagnierte 2007 bei 3,9 Milliarden Euro. Niedergelassene Apotheken haben nur einen Anteil von 2,6 Prozent an den GKV-Leistungsausgaben, was Gesprächspartner immer wieder überrasche. Nach § 130 SGB V solle der mit dem GKV-WSG eingeführte erhöhte Kassenabschlag zum Jahr 2009 erstmalig angepasst werden. Diesbezügliche Verhandlungen mit dem neuen GKV-Spitzenverband seien angelaufen. Dazu erklärte Seitz: "Niedergelassene Apotheken stehen für Kompetenz und Leistung. Diese Leistungen müssen wieder adäquat honoriert werden."

Seitz hob die Bedeutung der Unabhängigkeit der niedergelassenen Apotheken für die Übernahme wirtschaftlicher Verantwortung hervor und konstatierte zugleich ein Ungleichgewicht: Während Kassen und Patienten sparen würden, trügen die Apotheken weiterhin die Hauptlast der Umsetzung. Auch nach dem Rückgang der Lieferdefekte blieben der hohe bürokratische Aufwand, die aufwendige Lagerhaltung und die komplexe Datenaufbereitung. Der neugefasste Rahmenvertrag nach § 129 SGB V schaffe pharmazeutische Entscheidungsspielräume für Einzelfälle, doch blieben die Herausforderungen durch rechtlich umstrittene Gestaltungen und durch Retaxationen bestehen. Seitz machte deutlich: "Während die juristische Klärung Zeit beansprucht, muss der Patient in der Apotheke aber sofort versorgt werden."

Musterprozess gegen Retaxationen

Zudem scheine das Retaxationsmanagement einzelner Kassen eher darauf ausgerichtet zu sein, nur keinen Einzelfall zu übersehen. Ein solches "cent-optimierte Mikrocontrolling" gehe aber an der erfolgreichen Umsetzung von Verträgen für Millionen Patienten völlig vorbei. "Besser wäre es," so Seitz, "Aufgreifkriterien bei wirklicher Auffälligkeit, das heißt bei Nichtumsetzung der Rabattverträge zu vereinbaren und dies im Interesse aller Apotheken dann auch konsequent zu verfolgen." Stattdessen würden viele Kassen die Retaxationen auf Null vorantreiben. Doch "Retaxationen auf Null sind Willkür," erklärte Seitz. Daher werde der Deutsche Apothekerverband dazu einen Musterprozess führen.

Weitere Probleme seien durch die neuen "Selektivverträge härtester Art" zu befürchten, die aufgrund der neuen Ausschreibungen der AOK zu erwarten seien. Die überwunden geglaubten massiven Schwierigkeiten der Anfangsphase mit Lieferengpässen, Lageraufblähung und Übergangsfristen könnten sich dann wiederholen. Nötig seien dagegen jetzt bessere Verträge oder alternative Konzepte wie Zielpreisvereinbarungen.

Rechtliche Streitfälle

Hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen erinnerte Seitz an das dm-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März und seine Folgen. Das Gericht hatte den Bestell- und Abholservice einer niederländischen Versandapotheke in den Filialen einer deutschen Drogeriemarktkette nicht beanstandet, weil sie dies als mögliche Gestaltung des Versandes interpretiert hatte. Die ABDA habe diese Gerichtsentscheidung zum Anlass genommen, den Gesetzgeber auf den dringenden Handlungsbedarf aufmerksam zu machen. Die Gefahren lägen in der allmählichen Trivialisierung des Arzneimittels, im Einsickern von Fälschungen und einer möglichen Ausweitung des Arzneimittelfehl- und -mehrgebrauchs. Illegale Internetapotheken seien für Patienten kaum erkennbar. Da helfe auch ein Gütesiegel nicht wirklich weiter. Eine solche Kennzeichnung hatte kurz zuvor Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder in seinem Grußwort zum Apothekertag angekündigt. Doch nach Einschätzung von Seitz wächst in der deutschen und in der europäischen Politik die Sorge um die Arzneimittelsicherheit beim Versandhandel. Dies zeige insbesondere die Bundesratsinitiative der Länder Sachsen und Bayern zur Beschränkung des Versandhandels auf das europarechtlich gebotene Maß, also die Herausnahme der verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus dem Versand. Obwohl die Beratung dieses Antrages vertagt worden sei, gäbe es einen breiten politischen Konsens, die unerwünschten Folgen des Versandhandels korrigieren zu wollen.

Seitz berichtete auch über das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zum Verbot des Apothekenfremdbesitzes und hob dabei die Position der Bundesregierung hervor, die das deutsche Apothekensystem klar verteidigt habe. Nach der mündlichen Verhandlung am 3. September und den Schlussanträgen des Generalanwalts am 16. Dezember sei ein Urteil im ersten Halbjahr 2009 anzunehmen. "Viele Experten erwarten eine differenzierte Entscheidung und prognostizieren den Apothekern dabei eher gute Karten", so Seitz. Die Klage der EU-Kommission gegen die deutsche Regelung der Krankenhausversorgung wurde am 11. September vom Europäischen Gerichtshof abgewiesen. "Die ABDA begrüßt dieses Urteil als eine Bestätigung des bewährten Systems der Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern," sagte Seitz und hob die klare Aussage "Gesundheitsschutz geht vor Warenverkehrsfreiheit" hervor, wobei er wohl auf die Aussichten für das Verfahren zum Fremdbesitz anspielte.

Neue Probleme seien dagegen bei EU-Regelungen über Gesundheitsdienstleistungen zu erwarten. Die EU-Kommission intensiviere ihre Bemühungen, stärkeren Einfluss auf diesem Gebiet zu erhalten und werde möglicherweise noch in diesem Jahr Vorschläge für diesbezügliche Gemeinschaftsaktivitäten vorlegen. Damit könnte ein "Kellertreppeneffekt" bei Gesundheitsdienstleistungen eingeläutet werden.

Erfolgreiche Qualitätsentwicklung

Im Zusammenhang mit der Qualitätssicherung berichtete Seitz über Projekte zur Erfassung von arzneimittelbezogenen Problemen bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und in der Selbstmedikation, über neue Informationshilfen der ABDA zur Anwendung in der Apotheke, über Unterstützungsmaßnahmen für die Beratungsqualität wie das Pseudo-Customer-Projekt und über die steigende Nachfrage nach Fortbildungsveranstaltungen der Apothekerkammern mit 104.000 Teilnehmern im Jahr 2007. Zudem sei die Entwicklung eines bundeseinheitlichen, apothekenspezifischen Qualitätsmanagementsystems deutlich "vorangekommen". Es solle die Inhalte der ABDA-Mustersatzung umsetzen und die Zertifizierungsstellen an bundeseinheitliche Kriterien binden. "Damit ist ein wichtiger Schritt erfolgt, das apothekenspezifische Qualitätsmanagementsystem als bundeseinheitliche Marke zu etablieren," folgerte Seitz.

Anforderungen an die Telematik

Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte gilt als eines der weltweit größten Projekte der Informationstechnologie. "Ehrgeiziges Ziel ist die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, Qualität und Transparenz im deutschen Gesundheitswesen durch bundesweite Vernetzung aller Apotheken, Arztpraxen, Krankenhäuser und Zahnarztpraxen," erklärte Seitz. Die Interoperabilität der Systeme zu gewährleisten, sei dabei sicherlich eine der größten Hürden. Der Deutsche Apothekerverband ist an der damit beauftragten Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik) mit acht Prozent beteiligt. Für die "telematikbedingten Aufwendungen" in den Apotheken liege eine grundsätzliche Finanzierungszusage vor, doch wies Seitz auf verschiedene Problemfelder bei den Praxistests hin. So würden nur wenige Datensätze und nur offline-Anwendungen getestet. In den Testregionen sei die derzeit eingesetzte Technik noch nicht hinreichend praxisgerecht und die Abläufe in den Apotheken würden zum Teil eher belastet als unterstützt. Daher müsse weiter auf angemessene Rahmenbedingungen für die elektronische Gesundheitskarte (eGK) geachtet werden. "Die Technik muss sich dem Ziel unterordnen, nicht umgekehrt", forderte Seitz. Besonders wichtig sei der Datenschutz, streng geschützte Daten dürften nicht weitergegeben werden. Dazu verwies Seitz auf die aktuelle Berichterstattung zu verschiedenen Datenpannen im Ausland und auf die Warnung des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, wonach Patientendaten nicht ins Internet gestellt werden sollten. Denn der strenge deutsche Datenschutz greife bei ausländischen Unternehmen nicht. Für die ABDA sollten daher die folgenden "inhaltlichen Leitplanken" in der Telematik gelten:

  • "Die Datensicherheit und die freie Wahl der Leistungserbringer müssen im Interesse der Patienten garantiert sein.

  • Der Patient muss ‚Herr seiner Daten‘ bleiben.

  • Die Einführung kann erst dann erfolgen, wenn die Praxistauglichkeit der eGK im Alltag in adäquaten Test nachgewiesen wurde.

  • Es muss eine ausreichende Refinanzierung sichergestellt sein, das heißt die Finanzierung darf nicht zulasten der Apotheken erfolgen."

Nur dies sichere die Akzeptanz und rechtfertige damit die große Investition.

Großer Handlungsbedarf

In seinem Ausblick erklärte Seitz: "Ein erstklassiges Gesundheitswesen ist kein Luxus, sondern Pflicht." Denn es gehe um Menschen, Gesundheitsausgaben dürften nicht nur als Belastung empfunden werden. "Deutschland hat auch wegen seines Apothekenwesens immer noch eines der besten Gesundheitssysteme der Welt", so Seitz. Trotz schmerzlicher Entscheidungen habe die Politik eine hohe Wertschätzung für die Leistungen des Systems erkennen lassen und es immer wieder bestätigt. Da die "Ausfransungen" des Arzneimittelversandhandels die hochwertige Arzneimittelversorgung gefährden würden, müsse die Politik hier handeln, um glaubwürdig zu bleiben.

Der "Qualitätsnimbus der Apotheken" werde verstärkt angegriffen. Dies ziele auf die Grundpfeiler der inhabergeführten Apotheke und müsse "Warnsignal, Ansporn und Herausforderung zugleich" sein. "Qualitätssicherung und -ausbau bleiben deshalb Pflicht, auch wenn das unter den wirtschaftlichen Bedingungen nicht immer leicht fallen wird," folgerte Seitz. Doch es gehe um noch mehr als um die niedergelassene Apotheke: "Es geht um den Stellenwert pharmazeutischer Expertise und Leistungen insgesamt."

Überzeugende Anträge

Im Zusammenhang mit dem Geschäftsbericht verabschiedete der Apothekertag verschiedene Anträge einstimmig. Die Delegierten forderten, die Funktion und den Nutzen der eigenverantwortlich inhabergeführten Apotheke bei der Ausgestaltung des Gesundheitswesens zu beachten und den Arzneimittelversandhandel auf das europarechtlich geforderte Maß zu reduzieren. Der Gesetzgeber solle das bestehende System der flächendeckenden Versorgung durch inhabergeführte Apotheken erhalten und Maßnahmen entgegenwirken, die die wohnortnahe Arzneimittelversorgung einschränken würden.


tmb

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