Sächsischer Apothekertag

Mit der Zunft in die Zukunft

Sachsens Kammerpräsident Friedemann Schmidt setzte sich in seiner Ansprache mit der Frage auseinander, wie die Apotheke eine sichere Zukunftsperspektive bekommen könnte, ohne dass bewährte Elemente über Bord geworfen werden. Zusammenhalt und Kollegialität sind, so Schmidt, wichtiger als je zuvor. Er rief dazu auf, zusammenzurücken, um als schlagkräftige und bewegliche Truppe in eine Zukunft vorzurücken, die trotz Risiken und Gefahren „eine große, spannende und chancenreiche Herausforderung“ ist.
Eröffnungdes 6. Sächsischen Apothekertags im Wichernhaus von Görlitz.
(Foto: DAZ/diz)

 

Schmidt beklagte, dass der Apotheker heute weniger denn je seine Beratungskompetenz für den Patienten einbringen könne. Die Gespräche mit den Patienten drehten sich fast nur noch um Erstattungsregelungen. Möglicherweise wird der Begriff der "pharmazeutischen Bedenken", der im neuen Rahmenvertrag ein Abweichen vom Austauschgebot der Rabattverträge beschreibt, dazu führen, die Abgabe im konkreten Fall anders auszugestalten. Dies könnte allerdings zum Streit mit Kostenträgern führen. Vielleicht führt dies aber auch zu mehr Verantwortung und Kompetenz.

 

Diese vertragliche Regelung ist für Schmidt allerdings symptomatisch für einen grundlegenden Mangel an Fachlichkeit bei der Bewertung der Arzneimittelversorgung. Die schon heute zu sehende Liberalisierung und Deregulierung (Beispiel Rezeptsammelstellen in Drogeriemärkten) hinterlassen Wirkungen, die in ihrer Konsequenz für Gesundheit und Volkswirtschaft heute kaum absehbar sind. "Das Risikobewusstsein der Bevölkerung wird durch die ubiquitäre Verfügbarkeit der Ware Arzneimittel und die demonstrative Nähe zum allgemeinen Konsumgut dauerhaft und irreparabel beschädigt", vermutet Schmidt. Die Folge sind mehr Arzneimittelabhängige. Das deutsche Arzneimittelwesen wird dadurch, dass Arzneimittel immer und an jedem Ort unkontrolliert zur Verfügung gestellt werden, in eine "pharmazeutische Steinzeit" zurückgeworfen. Solche Bestrebungen, so Schmidt, werden die Apotheker nicht mitmachen. Der fachliche Rat des Apothekers direkt am Patienten ist nötig – und nicht vom Callcenter oder von der Beratungshotline, die eher eine "Coldline" ist. Versandhandel ist nach Auffassung von Schmidt Selbstbedienung mit Arzneimitteln, weil es keinen Filter mehr zwischen Patient und Produkt gibt. Die Kontrolle eines eingesandten Rezepts sei eine Farce, weil es eine wirkliche Kontrolle nur geben könne, wenn der Patient vor einem stehe. Schmidt ist sich sicher, dass in einigen Jahren der Versandhandel mit Arzneimitteln wieder verboten wird. Die Politik sollte umgehend handeln, um keine Tatsachen und Besitzstände zu schaffen.

 

Will man aber ausprobieren, wie die Bevölkerung mit den neuen Möglichkeiten zurecht kommt, dann gilt: keine Freiheit ohne Risiko. Fraglich, wie dies von der älteren, sicherheitsorientierten Bevölkerung aufgenommen wird. Schmidt: "Wir sind nicht die nützlichen Idioten, die immer dann das Sicherheitsnetz aufspannen, wenn die Arzneimittelversorgung durch politisches Handeln wieder mal abzustürzen droht."

 

Indem Apothekerinnen und Apotheker ihre Aufgabe wahrnehmen, Patienten zu versorgen, gehen sie oft genug gegen eigene ökonomische Interessen vor und erbringen Leistungen wie Rezeptur und Notdienst, die sich "nicht rechnen". Man wolle dies auch weiterhin tun, aber man dürfe nicht die Luft zum Atmen nehmen und die ökonomische Basis zerstören, so der sächsische Kammerpräsident. Auch Discount-, Pick-up- oder easy-Konzepte sind nicht innovativ, "allenfalls kurzfristige Versuche pharmazeutischer Leichtmatrosen, sich angesichts möglicher Veränderungen der Eigentumsstruktur, Stichwort Fremdbesitz, einen winzigen Starvorteil zu verschaffen".

 

Mit Blick auf den ungewissen Ausgang der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Fremd- und Mehrbesitzverbot versuchen manche Apothekerinnen und Apotheker bereits heute, ihren Betrieb neu aufzustellen. Für Schmidt liegt das entscheidende Kriterium dabei in der Frage, ob eine Struktur die heilberufliche Entscheidungsfreiheit einschränkt. Discountkonzepte sind für ihn "der direkte Weg in den pharmazeutischen Abgrund". Er ist davon überzeugt, dass die Apotheker schon bald den fachspezifischen Teil des Leistungsspektrums deutlich ausbauen können, wozu allerdings eine ausreichende wirtschaftliche Basis nötig sei – von der Marge eines Discounters kann ein Apotheker als Apotheker nicht existieren, so Schmidt.

 

Man sollte sich daher bei einer Neupositionierung seiner Apotheke fragen, wie man zukünftig arbeiten wolle und ob man seiner Apotheke ein unverwechselbares Profil geben könne. Oder ob man sich lieber einem Kooperationsmodell anschließen will, wobei man hier genau hinsehen sollte, wie groß der Einfluss berufsfremder Personen auf das Geschäftsgebaren der Gruppe ist.

 

Für Schmidt sind Kooperationsmodelle dabei nicht der Untergang der Freiberuflichkeit. Das moderne Verständnis von Freiberuflichkeit setze keineswegs wirtschaftliche Selbstständigkeit voraus. Mehr als die Hälfte der deutschen Apothekerinnen und Apotheker übt ihren Beruf in angestellter Stellung aus, Tendenz steigend. Die Freiberuflichkeit hat nicht an Attraktivität verloren. Schmidt: "Nach wie vor sind Freiberufler im Gesundheitswesen ausgeprägte Individualisten mit einem hohen Anspruch an Handlungsfreiheit und fachliche Unabhängigkeit, egal ob sie als Selbstständige oder als Angestellte arbeiten." Ein Freiberufler ist bereit und in der Lage, seine fachliche Entscheidung einzig am Interesse seines Patienten auszurichten. Entscheidend sei daher, in welcher Struktur der Apotheker seine freiberuflichen Entscheidungsräume am besten nutzen könne und ökonomische Einflüsse am ehesten kontrolliert werden könnten. "An dieser Frage werden wir alles messen, was heute und in Zukunft auf uns zukommen mag, ob mit oder ohne Fremdbesitz ist die fachliche Entscheidungsfreiheit das alles entscheidende Kriterium", fügte Schmidt hinzu.

 

Europastadt Görlitz

Der Oberbürgermeister von Görlitz, Joachim Paulick, freute sich, dass der Sächsische Apothekertag in diesem Jahr seine Stadt als Tagungsort gewählt hatte. Er stellte die östlichste Stadt in seinen Grußworten kurz vor.

Görlitz wurde 1945 in zwei Teile geteilt, das östlich der Neiße gelegene polnische Zgorzelec und das westlich der Neiße gelegene Görlitz. Obwohl politisch getrennt, kooperierten die Städte von Anfang an, beispielsweise in der Strom- und Trinkwasserversorgung oder bei der Beschäftigung der Bürger. Der demokratische Umbruch in Polen und der Fall der Berliner Mauer belebten die Beziehungen zwischen den beiden Städten. Das Modell gelebter Partnerschaft in einer Stadt zweier Nationen ist der Motor für die Entwicklung der Region und Voraussetzung für den erfolgreichen Aufbau eines vereinten Europas: Görlitz als "Brückenstadt" zwischen Ost und West.


Schön renovierte Häuserfassaden in der Europastadt Görlitz.
(Foto: DAZ/diz)

Nach dem Beitritt Polens zur EU und zum Schengengebiet und damit dem Wegfall der Pass- und Zollkontrollen haben sich die Zusammenarbeit und die nachbarschaftlichen Beziehungen beider Städte weiter vertieft. Es gibt grenzüberschreitende Buslinien, einen deutsch-polnischen Kindergarten, Zusammenarbeit in der medizinischen Versorgung, im Rettungswesen, Kultur- und Sportaustausch, ein binationales Gymnasium, gemeinsame Stadtplanungs- und Umweltvorhaben und vieles mehr.

Die Altstadt von Görlitz wurde in den letzten Jahren hervorragend saniert und renoviert. Da die Stadt durch den Zweiten Weltkrieg kaum in Mitleidenschaft gezogen wurde, findet sich hier ein sehr schön erhaltenes und restauriertes Stadtbild. Görlitz – für viele die schönste Stadt Deutschlands – präsentiert sich gerne als stadtbauliches Gesamtkunstwerk. Urkundlich erwähnt wurde die Stadt erstmals 1071, die erste Apotheke wurde 1305 errichtet.

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