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Arzneimittel und Therapie
Aus der Forschung: Weder lebendig noch tot
Schematisch lassen sich Impfstoffe in zwei Kategorien unterteilen. Entweder handelt es sich um abgetötete Erreger oder lebendige, gleichwohl abgeschwächte Mikroorganismen. Beide Vakzinklassen haben Vor- und Nachteile.
Die Totvakzine sind leicht herzustellen, gut zu lagern und können auch bei immungeschwächten Personen ohne Problem eingesetzt werden. Diese Impfstoffe induzieren in der Regel aber nur die Bildung von Antikörpern, nicht aber von zellulären Abwehrmechanismen.
Lebendvakzine dagegen benötigen bei Herstellung, Transport und Lagerung erhöhten Aufwand, was ihren Einsatz in Ländern mit einer schlecht entwickelten Infrastruktur einschränkt. Außerdem können sie manchmal schwere Erkrankungen hervorrufen. Gleichwohl sind sie sehr potente Stimulanzien für alle Arten von Abwehrmechanismen.
Vermehren sich Bakterien im Inneren einer Zelle wie beispielsweise Mykobakterium tuberculosis, der Erreger der Tuberkulose, so können durch einen Impfstoff angeregte Antikörper nichts ausrichten. Hier sind Abwehrspezialisten aus der Gruppe der T-Lymphozyten gefragt. Die werden aber nur nach Stimulation durch eine Lebendvakzine gebildet. Aus diesem Dilemma wusste die Impfstoffforschung bislang keinen Ausweg.
Jetzt ist einer Gruppe von Forschern der Cerus Corporation, Concord, Kalifornien, ein Experiment gelungen, das einer Quadratur des Vakzinkreises nahe kommt. Am Beispiel von Listeria monocytogenes, einem gefährlichen intrazellulären Erreger, konnten die Wissenschaftler zeigen, dass man ein Bakterium so verändern kann, dass es sich gleichzeitig wie ein Lebend- und Totimpfstoff verhält. Derartige Chimären, so zeigen Versuche an Mäusen, sind Vakzine mit hoher Schutzkraft.
Photochemische Behandlung mit UV-Licht
Um nachzuvollziehen, wie ein Lebewesen weder lebendig noch tot sein kann, ist es notwendig, die molekularen Mechanismen zu verstehen, die bei der Vermehrung von Bakterien ablaufen. Damit sich Bakterien teilen können, muss die DNA-Doppelhelix "aufgedröselt" und jeder Einzelstrang kopiert werden. Ist die Doppelhelix an einer Stelle verklebt, bleibt der Kopiervorgang stecken. Solche Verklebungen, chemisch nichts anderes als kovalente Bedingungen zwischen zwei Nukleotiden, entstehen häufig, wenn die Bakterienzelle UV-Licht ausgesetzt ist.
Allerdings haben sich unzählige Bakterienstämme in Millionen von Jahren unter direktem Einfluss von UV-Strahlen entwickelt. Ein offensichtliches Paradox, hätten nicht Bakterien verschiedene Reparatursets entwickelt, um die Strahlungsschäden an ihrer Achillesferse zu reparieren. Im Regelfall schneidet das Enzym ABC-Exconuclease das verklebte Basenpaar aus. Das molekulare Skalpell wird durch ein so genanntes Ultraviolet light response (UVR)-Gen codiert. Entfernt man dieses Gen aus der DNA eines Bakteriums, gibt es keine Exconuclease mehr, also auch keine Möglichkeit für die Bakterien, UV-Schäden rückgängig zu machen.
Vorteile von aktiver und passiver Impfung vereint
Genau das machten die Forscher mit den Listerien. Die mutierten Erreger wurden anschließend einer photochemischen Behandlung unterzogen, durch die 20 bis 30 unlösbare Brücken in der Bakterien-DNA entstehen. Rein rechnerisch bleibt nach dieser Behandlung unter zehn Milliarden Zellen noch ein Bakterium in der Lage sich zu vermehren – mit diesem "Einzelgänger" wird jedes Immunsystem aber ohne Probleme fertig. Die in ihrer Teilung blockierten Bakterien sind gleichwohl stoffwechselaktiv, da die DNA zwischen den Klebestellen ja völlig normal abgeschrieben werden kann. Das heißt, sie präsentieren auf ihrer Oberfläche für das Immunsystem wichtige Eiweiße und dringen wie ihre normalen Verwandten auch in Körperzellen ein. Diese wiederum zeigen wie mit einer Flagge den Infektionszustand an – eine Voraussetzung, um das Heer der T-Lymphozyten in Abwehrbereitschaft zu versetzen.
Gegen alle Arten von Bakterien
Wie vorausgesehen zeigten die Weder-tot-noch-lebendig-Bakterien bemerkenswerte Impfstoffqualitäten. Wurden Mäuse mit dieser Vakzine geimpft, waren sie vor einer nachfolgenden Infektion mit Listerien geschützt. Wurde vom gleichen Bakterienstamm eine Totvakzine hergestellt, war der Impfstoff wirkungslos.
Das geniale der neuen Methode ist, dass man sie vermutlich für alle Arten von Bakterien einsetzen kann. Die Forscher zeigten das am Beispiel des Anthraxbazillus, ein als bioterroristisches Agens gefürchteter Erreger. Einziges Problem: die modifizierten Mikroorganismen müssen im menschlichen Körper mindestens 24 Stunden überleben. So lange dauert es, bis die Abwehrkräfte ausreichend "Fahrt aufgenommen" haben.
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