- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 2/2006
- Großbritannien: ...
DAZ aktuell
Großbritannien: Sexualkunde vom Apotheker
Die Chlamydienerkrankung wird im britischen Gesundheitswesen auch als "stille Epidemie" bezeichnet, eine scheinbar symptomlose Infektion, die beinahe jeden zehnten jungen Briten betrifft. Allein im Jahr 2004 wurden 104.000 Infektionen registriert, was einer jährlichen Steigerungsrate von acht Prozent entspricht. Die scheinbar harmlos verlaufende Krankheit führt nicht selten zur Unfruchtbarkeit der Infizierten; zudem kostet sie das britische Gesundheitswesen bis zu 100 Millionen Pfund pro Jahr.
Nationales Chlamydien-Test-Programm
Mit einem 300 Millionen Pfund teuren Programm will die britische Regierung in den kommenden Jahren den Service im Bereich Sexualgesundheit verbessern. Neben einer Anzeigenkampagne zu Sexualkrankheiten und Präventionsmaßnahmen im Wert von 50 Millionen Pfund beschloss die Regierung ein nationales Chlamydien-Test-Programm – Kostenpunkt: 80 Millionen Pfund. Den Startschuss für das Programm, das bis 2007 landesweit verfügbar sein soll, gab die Apothekenkette Boots in London.
Um die Teilnahme am kostenlosen Test in den 216 Londoner Boots-Filialen so anonym und angenehm wie möglich zu gestalten, wurden Gutscheine neben Produkten ausgelegt, die vor allem von Kunden im Alter von 16 bis 24 Jahren erworben werden, darunter Medikamente zur Behandlung von Sportverletzungen. Die Gutscheine können wiederum beim Apotheker gegen ein Test-Päckchen eingetauscht werden. "Wir haben wirklich alles versucht, um möglich zu machen, dass der Kunde das Wort ≠Chlamydia' nicht aussprechen muss", erklärte die Apothekerin und Boots Service Managerin Tracy Thornley. Die Kunden senden das Testmaterial in einem vorbereiteten Umschlag an ein Labor, das die Ergebnisse auf Wunsch per SMS, Brief oder Telefon mitteilen kann. Im Falle eines positiven Ergebnisses werden die Testpersonen gebeten, eine Service-Hotline anzurufen, über die dann Informationen zur Erkrankung und deren Behandlung erhältlich sind.
In den nächsten Monaten werden unabhängige Apotheken dem Beispiel der Apothekenkette Boots folgen und den Service auf ganz England ausweiten.
Vertreter aus Regierung und Gesundheitswesen hoffen dabei vor allem auch auf eine flächendeckende Sexualberatung. Miriam Armstrong, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation PharmacyHealthLink, erklärte: "Unabhängig davon, ob eine Apotheke das Chlamydien-Test-Programm anbietet oder nicht, sollte jeder im Gesundheitswesen die Basisfakten zur Sexualgesundheit kennen und wissen, dass Chlamydien im Moment das größte Problem sind. Er sollte wissen, dass Tripper und Syphilis zunehmen und die Symptome kennen, die mit ihnen einhergehen." Spezielle Schulungen sollen dafür sorgen, dass auch Nicht-Apotheker als erste Ansprechperson angemessen und umsichtig reagieren können, bevor die eigentliche Beratung durch einen Apotheker erfolgen kann.
Beratungsraum in der Apotheke
Als eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Einbindung der Apotheker bei gleichzeitiger Entlastung der Ärzte gelten geeignete Räumlichkeiten, wozu ein Besprechungszimmer gehört, in das sich Apotheker und Kunde zurückziehen können. Dieser Beratungsraum sollte nach Ansicht von Vertretern des Gesundheitsministeriums durch ein Hinweisschild in der Apotheke ausgewiesen sein, da ansonsten viele Menschen auch weiterhin den Gang zum Hausarzt als eine weniger kompromittierende Alternative vorziehen würden. Als hilfreich werden zudem Informationsblätter angesehen, die in der Apotheke ausgelegt werden können. Im Falle von Berührungsängsten hätten Kunden so die Möglichkeit, sich die ersten Informationen ohne jegliche Kontaktaufnahme einzuholen. Das Informationsmaterial könne dann wiederum helfen, dem Leser Ängste zu nehmen und so die Inanspruchnahme des Apothekenservices zu erleichtern. Vertrauen zu schaffen ist nach Ansicht aller Beteiligten eine der wichtigsten Aufgaben. "Sei einfühlsam, freundlich, fürsorglich, und niemals beurteilend, selbst wenn sie unter 16 sind oder immer wieder zurückkommen", erklärte Apothekerin Fi Hall, "selbst wenn man nur eine Person davor bewahrt, ihr Leben durch eine ungewollte Schwangerschaft oder durch Geschlechtskrankheiten zu ruinieren, dann ist es das wert."
Chlamydien-Infektionen gehören zu den häufigsten sexuell übertragenen Infektionen. Bestimmte Serotypen der Chlamydien sind die häufigsten Erreger der Urethritis.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.