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- DAZ 42/2005
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Kongress
Wilder Westen im Osten
Die Präsidentin der Bundesapothekerkammer, Magdalene Linz, stellte das bundesdeutsche Apothekenwesen vor. Sie erwähnte auch, dass die Filialisierung fortschreitet. Die meisten Apotheken mit Filialen besitzen eine Filiale, lediglich 13% haben zwei Filialen und etwa 3% drei Filialen. 1200 Apotheken besitzen in Deutschland die Versandhandelserlaubnis, aber nur 10 Apotheken sind auf diesem Gebiet mit nennenswerten Umsätzen tätig. Der Umsatz im Versandhandelsmarkt beträgt 74 Millionen Euro und macht somit nur einen Bruchteil von den insgesamt 20,3 Milliarden aus, die mit Arzneimitteln umgesetzt werden.
Unordnung im polnischen Apothekenmarkt
Die Situation der Apotheken in Polen stellte der Präsident der polnischen Hauptapothekerkammer, Andrzej Wróbel, vor. 45% der 11.800 Apotheken befinden sich in einer Kleinstadt, 17% auf dem Land und 38% in Großstädten. In aller Regel liegen die Apotheken patientenfreundlich in der Nähe von Wohngebieten, 3% der Apotheken befinden sich in Handelszentren, deren Sortiment in Richtung Drugstore geht. Die Apothekenanzahl ist in den letzten 15 Jahren stark gewachsen: Von 4000 Apotheken im Jahr 1990 auf 11.800 Apotheken in 2005.
Jährlich ist eine Apothekenzunahme um 4% zu verzeichnen. Zurzeit versorgt eine Apotheke 3.400 Einwohner. Eine Apotheke hat durchschnittlich einen Lagerbestand im Wert von umgerechnet 35.000 Euro. Der durchschnittliche Preis eines Arzneimittels in Polen beträgt etwa 2,70 Euro. Die rund 38 Millionen Einwohner Polens kaufen jährlich etwa 35 Packungen, die Arzneimittelausgaben betragen pro Kopf etwa 90 Euro pro Jahr. Die Durchschnittsapotheke beschäftigt drei Apotheker. 87% der Apotheken sind inhabergeführte Apotheken, d. h. in der Hand eines Pharmazeuten, bei den restlichen Apotheken finden sich unterschiedliche Besitzformen, wie beispielsweise eine GmbH oder staatliches Eigentum. Insgesamt sind 6% aller Apotheken in Polen in einer Kette organisiert.
68% aller Apotheken werden von nur einem Großhändler beliefert, was Wróbel beklagte, da sich dadurch eine Apotheke abhängig mache. Die Hälfte der polnischen Apotheken sei bereits von einem Großhändler abhängig. 25% werden immerhin von zwei Großhändlern beliefert, die restlichen haben drei und mehr.
Eine Destabilisierung und Unordnung auf dem Markt beklagte der stellvertretende Vorsitzende der polnischen Apothekerkammer, Wojcieck Giermaziak. Nur ein Beispiel: Es kommt nicht selten vor, dass in Polen ein Patient bis zu einem halben Jahr auf ein teures onkologisches Präparat warten muss. Da eine Apotheke pro abgegebenes Arzneimittel nur 3 Euro bekommt, werden teure Präparate nicht an Lager genommen und sind oft schwer beschaffbar.
Tschechien: Gesundheitswesen in der Krise
Piotr Kula, Vertreter eines tschechischen Pharmaexportunternehmens, beklagte, dass es in seinem Land keine Regelung gibt, wie eine Apotheke gegründet werden kann, jeder kann Inhaber einer Apotheker sein, er ist vollkommen frei, wo er sich niederlässt. Arzneimittelpreise sind nicht geregelt, woraus ein starker Wettbewerb resultiert. Die 10 Millionen Einwohner Tschechiens werden von knapp 2400 Apotheken versorgt, derzeit kommen jährlich etwa 100 dazu mit der Folge sinkender Umsätze. Der durchschnittliche Jahresumsatz einer tschechischen Apotheke beträgt 640.000 Euro. Eine Apotheke versorgt durchschnittlich 4200 Einwohner.
In den Apotheken sind insgesamt 4800 Apotheker beschäftigt, 3200 pharmazeutische Assistenten und etwa 2700 Hilfskräfte. 75% des Umsatzes in einer tschechischen Apotheke werden mit verschreibungspflichtigen und apothekenpflichtigen Arzneimitteln getätigt, der Rest mit freiverkäuflichen Arzneimitteln. Der durchschnittliche Wert eines Rezeptes beträgt 13,50 Euro. Gut im Geschäft sind in Tschechien Krankenhausapotheken, da sie neben der Krankenhausversorgung auch im Verkauf an Endverbraucher tätig sein dürfen. 100 Krankenhausapotheken in Tschechien machen allein 20% des Arzneimittelumsatzes.
Die Eigenbeteiligung an einem Rezept ist nicht begrenzt, sie hängt ab von der Art des Arzneimittels. Entsprechende Verordnungen hierzu erscheinen jedes halbe Jahr. Der Arzneimittelpreis setzt sich zusammen aus dem Herstellerabgabepreis und einer Marge von insgesamt 32% für Großhandel und Apotheke, wobei die Apotheke hiervon 18% erhält. Nach Ansicht von Kula steckt das tschechische Gesundheitswesen in einer Krise, die Umsätze sinken, die Gewinne gehen zurück, die Krankenkassen zahlen mit einer Verspätung von etwa zwei Monaten.
In Tschechien agieren vier große Großhandlungen: Phoenix, Lloyds, Pharmos und Gehe, die mit Apothekenketten präsent sind: 200 Apotheken in Tschechien gehören zu Phoenix, 120 Apotheken zu Lloydspharmacy (Gehe), so Kula, daneben gibt es viele kleinere Ketten, z. B. von Verbrauchermärkten. Während Gehe in Tschechien offen zum Apothekenbesitz und seinen Apothekenketten stehe, versuche Phoenix die Spuren seiner Beteiligungen und Verflechtungen zu verwischen, so Kula.
Vor zwei Jahren gründeten sich in Tschechien Apothekergenossenschaften, denen mittlerweile etwa 200 Apotheken angehören, um gerüstet zu sein für Marketingaktivitäten, Verhandlungen mit Großhandlungen und Herstellern. Man versuche hiermit ein Gegengewicht zu den Apothekenketten aufzubauen und sich dagegen zu wehren. Die Verflechtung zwischen Großhandel und Apotheke ist in der Zeit der Privatisierung entstanden. Apotheker hatten kein Geld, die Apotheken zu kaufen, der Großhandel sprang finanziell ein, heute sind diese Apotheken vom Großhandel abhängig. Auch aufgrund der verspäteten Zahlung der Krankenkassen besteht meist eine Abhängigkeit der Apotheke vom Großhandel, der das Warenlager vorfinanziert.
Auch Finanzunternehmen besitzen eigene Apothekenketten. Wie der tschechische Vertreter anmerkte, seien manche Apotheken in Tschechien sogar durch Geldwäschegeschäfte entstanden. Die Zahl der Apothekenschließungen in Tschechien ist derzeit noch nicht hoch, allerdings ändern sich häufiger die Eigentumsverhältnisse. Der Trend geht in Tschechien deutlich in Richtung Kette und Übernahme durch Kette. In Zukunft befürchtet man dennoch viele Apothekenpleiten, wenn die angekündigte Reform der Preisgestaltung kommt. Zurzeit verdienen die Apotheken meist noch am steigenden Arzneimittelpreis. Die Reform beabsichtigt, die Apothekenmargen auszugleichen, abhängig von der Apothekengröße, das bedeutet, dass große Apotheken kleinere Aufschläge auf Arzneimittel nehmen dürfen als kleine Apotheke.
In Litauen: alles noch schlechter
Deutliche Worte für das Apothekensystem in seinem Land fand der Präsident der Hauptapothekerkammer von Litauen, Eduardas Tarasevicius: "Die Apothekenverhältnisse in Litauen sind noch viel schlechter als in Tschechien." Eine Apotheke versorgt lediglich 2000 Einwohner, auf dem Land weniger als 1000 Einwohner. "Wir haben alles, was schlecht ist", fügte er hinzu. Apotheken werden oft Tür an Tür gegründet, eigentlich ist ein wilder Markt ausgebrochen, der nicht zu Europa passt. Nach seiner Aussage gibt es kaum inhabergeführte Apotheken. 1500 Apotheken für 3,5 Millionen Einwohner ist kein gutes Verhältnis.
Er regte an, ein Modell für eine europäische Apotheke zu schaffen, die zur europäischen Kultur passt. Man sollte versuchen, das Beste aus jedem Land in dieses Reformmodell zu bringen. Auf Deutschland sieht er angesichts der erlaubten Filialisierung die Kette zukommen.
Linz sprach sich dafür aus, in Europa Grundsätze aufzustellen dafür, dass es bei der inhabergeführten Apotheke bleiben muss: "Wir kämpfen darum, dass sich die Filialregelung so, wie wir sie haben, hält." In einem System mit freiem Wettbewerb leidet die Qualität, die Arzneimittelpreise gehen in die Höhe, der Patient wird schlechter versorgt. Eine ordnungsgemäße Versorgung funktioniert nicht, wenn multinationale Konzerne im Hintergrund das Sagen haben. Der Vorsitzende des polnischen Wissenschaftskomitees, Professor Pluta, bekräftigte, dass die pharmazeutische Betreuung ein wesentlicher Bestandteil der apothekerlichen Tätigkeit ist und bleiben muss.
Alles Übel durch die Kette
Einig waren sich die osteuropäischen Vertreter, dass Geldmangel die Apotheker in die Hände von Ketten treibt. Die Kettenentwicklung wird wohl, so sah man die Situation realistisch, nicht mehr zurückzudrehen seien. Mit der Bildung von Apothekengenossenschaften, die letztendlich zu einer eigenen Kette heranwachsen, will man Marktanteile behalten und die Apotheken weitgehend in Apothekerhand lassen. Allerdings gab es auch Stimmen im Plenum, die pro Kette sprachen. Nicht alles was schlecht sei, gehe von der Kette aus, Beratung und Preise seien in Kettenapotheken zum Teil besser als in einer inhabergeführten einzelnen Apotheke.
Wieder andere im Plenum riefen dazu auf, sich gegen die Übermacht der Ketten zu wehren. Wenn Apotheken bei Großhandlungen, die Ketten betreiben, einkaufen, gießen sie Öl ins Feuer. Linz unterstützte diesen Gedanken, sie erwähnte Beispiele der deutschen Apotheken, die Pharmahersteller abstraften, als sie ihre Produkte in Drogeriemärkten anboten.
Resolution in Vorbereitung
Die Diskussionsrunde bemühte sich nach einem vierstündigen Gedankenaustausch, eine gemeinsame Resolution zu verabschieden. Die konsensfähigen Grundsätze waren: Der Apotheker hat eine Schutzfunktion gegenüber dem Verbraucher. Deswegen benötigt der Apotheker seine Unabhängigkeit. Der Apotheker steht für Verbraucherschutz, Beratung und Patientensicherheit. Das Arzneimittel ist eine Ware besonderer Art, deswegen dürfen Arzneimittel nur in der Apotheke abgegeben werden, nicht im Supermarkt. Ein Wettbewerb unter den Apotheken muss heute über die Qualität der pharmazeutischen Dienstleistung stattfinden, nicht über den Preis. Allerdings sind die Ausgaben des Apothekers nur erfüllbar, wenn er eine gesunde wirtschaftliche Grundlage hat. Dies bedeutet, dass dem Apotheker eine ausreichende Marge zugestanden werden muss.
Außerdem: Der flächendeckende Zugang zu Arzneimitteln muss erhalten bleiben, nicht nur in Ballungszentren. Die Basis der apothekerlichen Tätigkeit ist und bleibt die pharmazeutische Betreuung. Die Diskussionsrunde beschloss, diese Grundsätze auszuformulieren und in Kürze als gemeinsame Resolution zu verabschieden.
Der erste polnisch-deutsche Apothekerkongress mit der fachlichen Fortbildung und dem Gedankenaustausch über die Probleme der einzelnen Länder soll fortgesetzt werden.
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion
- Piotr Kula, polnisches Exportpharmaunternehmen
- Prof. Janusz Pluta, Pharmazeutische Hochschule Breslau, Wissenschaftskomitee
- Eduardas Tarasevicius, Präsident der Hauptapothekerkammer Litauen
- Magdalene Linz, Präsidentin der Bundesapothekerkammer
- Andrzej Wróbel, Präsident der polnischen Hauptapothekerkammer
- Jaroslav Polach, Präsident der tschechischen pharmazeutischen Firmenbesitzer
- Aleksander Zurek, Vertreter des polnischen Großhandels Salus
- Dr. Wojcieck Giermaziak, stellvertretender Vorsitzender der polnischen Apothekerkammer
Das Rahmenprogramm
Pharmazeutentreff in der Salzgrube Wieliczka Die historische Salzgrube Wieliczka ist eines der von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannten Objekte. Es ist weltweit das einzige Salzbergwerk, das ununterbrochen vom Mittelalter bis zum heutigen Tag zugänglich ist. Seine Gänge, Kammern, Salzseen, Schächte und Höhlen haben eine Gesamtlänge von etwa 300 km, verteilt auf 9 Sohlen, die maximale Tiefe beträgt 327 m. Die Pharmazeutengruppe konnte mit einem Führer die schönsten und interessantesten Plätze des Salzbergwerkes besuchen. Endstation war die große Warschauer Kammer in einer Tiefe von 125 m und einer Größe von 86 qm, wo gemeinsam bei Essen, Trinken und Musik gefeiert wurde.
Jazzabend
Im internationalen Kulturzentrum von Krakau kamen die jazzbegeisterten Pharmazeuten voll auf ihre Kosten. Das Janusz Muniak Sextett begeisterte die Jazzfans. Janusz Muniak ist ein hervorragender, polnischer Tenorsaxophonist, er gehört zu den Besten in Polen.
Das wissenschaftliche Programm
Im Mittelpunkt des ersten polnisch-deutschen Apothekerkongresses standen pharmazeutische Fachvorträge und pharmazeutische Seminare zur Fortbildung. Der erste Fortbildungstag wurde bestritten von polni- schen Referenten:
■ Licht und Schatten der Hormontherapie (Prof. Andrzej Milewicz)
■ Monoklonale Antikörper in der Therapie (Prof. Katarzyna Kiec- Kononowicz)
■ Antiallergische Arzneimittel (Prof. Wladyslaw Pierzchala)
■ Antioxidanziengehalt im polnischen Honig (Prof. Henryk Koloczek)
Den zweiten Fortbildungstag übernahmen deutsche Referenten:
■ Therapie von Fettstoffwechselstörungen (Prof. Walter Schunack Berlin)
■ Therapie von infektiösen Darmerkrankungen (Prof. Thomas Weinke, Potsdam)
■ Therapie der erektilen Dysfunktion (Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz, Frankfurt/M.)
Vier Seminare boten vor allem für die polnischen Teilnehmer Gelegenheit, Zertifizierungspunkte zu sammeln
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