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Das neue Kabinett steht
Viele hielten die politische Karriere Seehofers bereits für beendet. Seine beharrliche Ablehnung der Merkelschen Kopfpauschale – auch in ihrer mit der CSU ausgehandelten abgeschwächten Form der solidarischen Gesundheitsprämie – kostete ihn vor rund einem Jahr seinen Posten als Fraktionsvize im Bundestag. Im Vorfeld der Wahlen, als die Meinungsumfragen noch einen deutlichen Sieg für Schwarz-Gelb voraussagten, rechnete niemand damit, dass Seehofer in Berlin wieder mehr werden könnte als einfacher Bundestagsabgeordneter. Doch dann gaben die Wähler den Parteien eine kniffelige Puzzlearbeit auf, an deren Ende eine große Koalition stehen wird – diesen Willen hat man jedenfalls sowohl bei der SPD als auch bei der Union. Kaum war die schwarz-rote Koalition im Gespräch, tauchte auch Seehofer wieder als potenzieller Minister-Kandidat auf. Er steht wie kein anderer für das Soziale in der CSU und hat sich bereits vor zwei Jahren bei der Gesundheitsreform als Großkoalitionär bewährt. Als im Laufe der Sondierungsgespräche von Union und SPD klar wurde, dass die SPD sämtliche Ministerposten mit Bezug zum Sozialen behält und Ulla Schmidt Gesundheitsministerin bleibt, wusste man nicht recht, ob Seehofer den erneuten Einzug ins Kabinett schaffen kann. Doch er hat es geschafft. Stoiber hat ihn erwählt – und hat damit in den eigenen Reihen für Unmut gesorgt.
CSU-Landesgruppe fühlt sich überrumpelt
Während sich die SPD über einen Verbraucherminister Seehofer freuen dürfte – in Berlin spricht man bereits vom "neunten Sozialdemokraten" im Kabinett – reagierte so mancher Unions-Politiker wenig begeistert. Für weniger Wirbel hätte Stoiber sicherlich gesorgt, wenn er sich entschieden hätte, den CSU-Landesgruppenchef Michael Glos auf den Posten des Verteidigungsministers zu setzen. "Wie es gelaufen ist, ist ärgerlich", sagte beispielsweise Wolfgang Zöller, der nach Seehofers Abgang Ende 2004 dessen Amt als Fraktionsvize übernahm. In der "Berliner Zeitung" (Ausgabe vom 18. Oktober) forderte er seinen Parteichef auf, Entscheidungen künftig besser mit der Landesgruppe abzusprechen.
Er kritisierte, dass nicht klar geworden sei, welches Ministerium die CSU wirklich haben wolle. "Wenn keine klare Linie erkennbar ist, dann wird der Partei auch keine Kompetenz zugesprochen", erklärte Zöller. Die Stimmung in der Landesgruppe sei daher gedrückt. Allerdings ergebe sich daraus auch die Chance, etwas Positives zu entwickeln. Zöller: "Unser Signal ist: Teamarbeit ist erwünscht."
Seehofer und Schmidt wieder vereint
Auch mit Ulla Schmidt wird Seehofer schon bald wieder in die Teamarbeit treten: Die Vogelgrippe beschäftigt derzeit sowohl das Verbraucher- als auch das Gesundheitsministerium. Da kann es nur hilfreich sein, wenn zwei zusammenkommen, die trotz unterschiedlicher Parteilager schon auf erfolgreiche gemeinsame Projekte zurückblicken können.
Die Ministerriege der CDU
Für weniger Aufregung sorgte die Besetzung der übrigen Unions-Ministerien. Wie erwartet, wird die niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) das Amt der Bundesfamilienministerin übernehmen. Ministerin für Bildung und Forschung wird die stellvertretende CDU-Vorsitzende Annette Schavan. Das Innenministerium wird der ehemalige CDU-Vorsitzende und bisherige Fraktionsvize Wolfgang Schäuble leiten. Das Verteidigungsministerium geht an den hessischen CDU-Landtagsfraktionschef Franz Josef Jung. Chef des Kanzleramtes wird der bisherige sächsische Innenminister Thomas de MaiziŹre. Die Führung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion übernimmt der jetzige CDU-Generalsekretär Volker Kauder.
Guter Start in die Koalitionsverhandlungen
Am Nachmittag des 17. Oktober begannen in Berlin auch die Koalitionsverhandlungen von SPD und Union. Jeweils 16 Vertreter beider Seiten trafen sich in der SPD-Zentrale im Willy-Brandt-Haus zu einem ersten dreistündigen Gespräch. Merkel, Stoiber und SPD-Chef Franz Müntefering bewerteten das Zusammentreffen positiv. Merkel lobte den "guten Geist", der bei dem Gespräch geherrscht habe. Müntefering sprach von einem "guten Beginn der Verhandlung". Ein Scheitern sei zwar "möglich, aber nicht gewollt". In der großen Verhandlungsrunde will man nun zwei Mal wöchentlich tagen – das nächste Mal am kommenden Montag, dann in der CDU-Zentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus.
Daneben wird es zusätzliche Treffen von 17 Arbeitsgruppen zu einzelnen Fachgebieten geben. Bis zum 12. November sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein – dann muss auf Parteitagen die Basis über die Koalitionsvereinbarung entscheiden.
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