Berichte

Klinische Pharmazie: Wege zur individuellen Arzneimitteltherapie

Anlässlich der letzten DPhG-Jahrestagung in Berlin veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft Klinische Pharmazie der DPhG am 9. und 10. Oktober 2002 ein Vorsymposium zum Thema "Therapieindividualisierung Ų vom Drug Monitoring zum Genchip". Die Beiträge gaben einen Überblick über Methoden und Anwendungsgebiete des Drug Monitoring sowie über erste erfolgversprechende Ansätze der Therapieindividualisierung mithilfe der Pharmakogenomik. Dr. Charlotte Kloft, Freie Universität Berlin, leitete das Vorsymposium.

In den letzten 100 Jahren hat sich durch die Kenntnis der molekularen Mechanismen der Arzneimittelwirkungen eine immer zielgerichtetere Therapie entwickelt. Da nicht alle Patienten auf eine Standarddosis optimal ansprechen, wurde für viele Pharmaka das Therapeutische Drug Monitoring (TDM) etabliert. Zunehmend werden die genetischen Faktoren untersucht, die für individuelle Unterschiede in der Wirkung von Arzneistoffen verantwortlich sind. In der Praxis kann der Klinische Pharmazeut einen wichtigen Beitrag zur individuellen Optimierung der Arzneimitteltherapie leisten.

Therapeutisches Drug Monitoring

Dr. Alison Thomson, Glasgow, stellte die Geschichte der Individualisierung der Arzneimitteltherapie dar. Die Entwicklung von Methoden, mit denen die Arzneistoffkonzentrationen im Plasma gemessen werden können, ermöglichte die Einführung des TDM. Auf der Grundlage von pharmakokinetischen Daten wurden Dosierungsrichtlinien unter Berücksichtigung klinischer Parameter wie Alter, Körpergewicht, Leber- und Nierenfunktion erarbeitet.

Die zeitgleiche Entwicklung populationskinetischer Software (z. B. NONMEM) erlaubte eine bessere Interpretation der Daten und die Entwicklung von Modellen zur Beschreibung der Konzentration-Wirkung-Beziehungen. So wurde beispielsweise nachgewiesen, dass anfängliche Gentamicin-Dosen nur bei 34% der Mukoviszidose-Patienten zu den therapeutisch erforderlichen Spitzen- und Talkonzentrationen führten. Auch bei Immunsuppressiva, Virustatika und Psychopharmaka optimierte das TDM die Therapie.

In Zukunft wird sich die Arzneitherapie an genetischen Informationen über die Metabolisierung und voraussichtliche Pharmakokinetik des einzelnen Patienten orientieren. Allerdings wird die Genotypisierung nicht ausreichen, um unerwartete Arzneimittelreaktionen, klinische Instabilität oder Interaktionen vorherzusagen, sodass das TDM von Bedeutung bleibt.

TDM von Vancomycin und Aminoglykosiden

Dr. Rüdiger Kilian, Heilbronn, berichtete über den seit 1985 von der Apotheke des Klinikums Heilbronn angebotenen TDM-Service für Vancomycin und Aminoglykoside. Dessen Ziele sind

  • Verbesserung der therapeutischen Wirksamkeit,
  • Verminderung toxischer Wirkungen,
  • Kostensenkung sowohl bei der Applikation als auch durch Reduktion der Therapieversager,
  • Qualitätssicherung durch Dokumentation des Erreichens eines therapeutischen Ziels.

Für die Bestimmung der pharmakokinetischen Parameter von Vancomycin sind zwei Blutproben ausreichend. Bei gleichbleibender Nierenfunktion werden anschließend nur noch die Talkonzentrationen bestimmt.

Im Gegensatz dazu besteht bei Aminoglykosiden eine ausgeprägte Variabilität der Serumkonzentrationen und die Gefahr einer "Breakthrough"-Bakteriämie, wenn die Serumkonzentrationen zu lange unter den MHK-Werten (minimale Hemmkonzentrationen) liegen. Zur Berechnung einer individuellen Dosierung sollten deshalb drei Blutproben abgenommen werden. Im Klinikum Heilbronn ist seit Einführung des routinemäßigen TDM nur ein Fall einer klinisch relevanten Intoxikation mit Aminoglykosiden bekannt geworden.

Ziel-AUC in der Onkologie

Über Therapieindividualisierung in der Onkologie referierte Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Bonn. Die Dosierung von Zytostatika erfolgt üblicherweise nach der Körperoberfläche, obwohl die pharmakokinetischen Daten eine hohe interindividuelle Variabilität der Konzentration-Zeit-Kurven zeigen. Eine Alternative ist die Dosierung anhand einer vorher festgelegten Ziel-AUC. Diese für Carboplatin bereits etablierte Methode könnte auch für andere Zytostatika erfolgversprechend sein.

In neueren Ansätzen wird versucht, die Dosierung auf Grundlage von pharmakodynamischen Parametern zu individualisieren. Ein pharmakodynamischer Parameter, der mit der klinischen Wirksamkeit (Tumorremission bzw. Toxizität) korreliert, ist z. B. die Anzahl von Platin-DNA-Addukten in den Leukozyten der Patienten.

Arzneistoffkonzentrationen am Wirkort messen

Über die Therapieindividualisierung durch Bestimmung der Arzneistoffkonzentration in der Biophase (d. h. am Wirkort) berichtete Cornelia Bürger, Berlin. Bildgebende Verfahren, invasive Biopsie und "Skin-blister-fluid"-Methode haben erhebliche Nachteile, z. B. berücksichtigen sie nicht die Proteinbindung des Arzneistoffs.

Die innovative, minimal invasive Mikrodialyse hingegen ermöglicht die Bestimmung der Konzentration des ungebundenen (pharmakodynamisch aktiven) Arzneistoffs in verschiedenen Körpergeweben, beispielsweise von Antibiotika im Extrazellulärraum des Fettgewebes, der Muskulatur oder der Haut. Die Bestimmung der Linezolid-Konzentration in verschiedenen Geweben kritisch kranker Patienten direkt am Wirkort mittels Mikrodialyse ist Thema einer aktuellen Studie an der Freien Universität Berlin.

TDM bei trizyklischen Antidepressiva

Die quantitative Bestimmung von trizyklischen Antidepressiva wie Nortriptylin im Serum von Patienten erfolgt primär wegen der relativ hohen Toxizität dieser Substanzen, so Dr. Sebastian Härtter, Mainz. Alle neuen Psychopharmaka zeichnen sich zwar durch ein verbessertes Sicherheitsprofil aus, aber auch sie können aufgrund der hohen pharmakokinetischen Variabilität eine Wirklatenz von bis zu vierzehn Tagen aufweisen. Gerade in der frühen Phase der Behandlung kann die optimale Dosis daher nur durch Kenntnis der Bioverfügbarkeit und Clearance festgelegt werden. Darüber hinaus hat das TDM der neueren Psychopharmaka seinen Stellenwert bei Arzneimittelinteraktionen, unerwarteten Reaktionen unter Normdosierung oder einer vermuteten Non-Compliance.

Wie Katja Grasmäder, Bonn, berichtete, führt das Kompetenznetz Depression eine multizentrische Studie über trizyklische Antidepressiva durch. In einem der sechs Teilprojekte erhält eine Patientengruppe Dosisempfehlungen aufgrund von Plasmakonzentrationen (TDM), während in einer anderen Gruppe keine Dosisempfehlungen, außer bei toxischen Plasmakonzentrationen, gegeben werden. Verglichen werden das Therapieansprechen, die Dauer des Krankenhausaufenthaltes, die direkten Behandlungskosten und die Lebensqualität der beiden Patientengruppen. Eine Zwischenauswertung zeigte bereits, dass in der Gruppe ohne TDM 55% der Patienten Plasmakonzentrationen außerhalb des therapeutischen Bereichs aufwiesen, was sich in einem schlechteren Response und einem signifikant häufigeren Auftreten von unerwünschten Wirkungen widerspiegelte.

Diagnostik mit Genexpressionsprofil

Dr. Matthias Kassack, Bonn, referierte über Pharmakogenomik und Genexpressionsanalyse und spannte dabei den Bogen von der funktionellen Genomforschung bis zur individuellen Anwendung am Patienten. Es gibt zahlreiche gesundheitsrelevante genetische Polymorphismen und Unterschiede in der Genexpression. So können Brustkrebspatientinnen aufgrund ihres Genexpressionsprofils in eine Gruppe mit besserer bzw. schlechterer Prognose eingeteilt werden. Die bisher bei ca. 90% der Patientinnen vorgenommene adjuvante Chemotherapie könnte nun auf Patientinnen beschränkt werden, die voraussichtlich Metastasen entwickeln. DNA-Arrays und Bioinformatik in Korrelation mit dem klinischen Verlauf ermöglichen auch in anderen Fällen eine differenziertere Diagnostik und Therapie.

MDR1-Polymorphismen

Prof. Dr. Heyo Kroemer, Greifswald, zeigte die genetische Ursache für das individuell unterschiedliche Ausmaß der Arzneimittelinteraktionen von Rifampicin und Digoxin auf. Rifampicin induziert in den Enterozyten die Synthese von P-Glykoprotein, das das Digoxin in das Darmlumen transportiert und dadurch dessen Plasmakonzentrationen reduziert. (Transportproteine befinden sich auch an anderen physiologischen Barrieren, z. B. an der Blut-Hirn-Schranke, und können die Konzentration zahlreicher Arzneistoffe wesentlich beeinflussen.) Es ist davon auszugehen, dass die Komedikation von Rifampicin auch die Pharmakokinetik anderer P-Glykoprotein-Substrate, wozu u. a. Betablocker, verschiedene Zytostatika, Erythromycin und Verapamil zählen, verändert.

Die Synthese von P-Glykoprotein hängt von einem Polymorphismus des Gens MDR1 im Exon 26 ab. Ein Polymorphismus im Exon 21 desselben Gens ist verantwortlich für das Ausmaß der intestinalen Synthese des Enzyms CYP3A4, das zahlreiche Arzneistoffe abbaut. Insgesamt ist jedoch die klinische Relevanz der MDR1-Polymorphismen noch nicht eindeutig geklärt.

Neuer Vorstand Am Rande des Vorsymposiums wurde auch ein neuer Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Klinische Pharmazie gewählt. Nach vierjähriger Amtszeit als Vorsitzender kandidierte Prof. Dr. Ulrich Jaehde nicht mehr. Dem Vorstand gehören nun Priv.-Doz. Dr. Georg Hempel, Münster, als Vorsitzender, Dr. Charlotte Kloft, Berlin, als Stellvertreterin und Ulrike Langer, Mainz, als Schriftführerin an.

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