Onkologie

M. Medinger, J. DrevsAnti-Angiogenese gegen Krebs &n

Die Einsprossung von Kapillaren in das Tumorgewebe ist Voraussetzung für das Wachstum und die Metastasierung von soliden Tumoren. Neben Zytokinen und Metalloproteinasen sind insbesondere Wachstumsfaktoren (Tab. 1) für die Regulierung der Angiogenese oder Gefäßbildung verantwortlich. Der Einsatz von Angiogenese-Inhibitoren, die sich selektiv auf das Tumorgewebe richten, stellt einen innovativen Ansatz der Krebstherapie dar. Wichtige Angriffspunkte für anti-angiogene Substanzen sind der für das Gefäßendothel spezifische Wachstumsfaktor VEGF und seine Rezeptoren. Zahlreiche Substanzen, die die VEGF-vermittelte Angiogenese bei malignen Erkrankungen hemmen, werden derzeit klinisch geprüft.

Anti-Angiogenese als Wirkprinzip

Es gibt viele Möglichkeiten für den therapeutischen Einsatz von Angiogenese-Inhibitoren, da viele Erkrankungen von der Angiogenese abhängig sind [2]. Dazu zählen in erster Linie maligne Erkrankungen. Die Tumorangiogenese zu beeinflussen erscheint deshalb besonders aussichtsreich, weil Gefäßendothelzellen nicht maligne transformiert sind und daher genetisch stabil sind (im Gegensatz zu den genetisch instabilen Tumorzellen), sodass ihre Resistenzentwicklung gering ist [3].

Anschluss an das Gefäßsystem

Das Wachstum neuer Blutgefäße, die Angiogenese, findet physiologischerweise zum größten Teil in der Embryonalentwicklung statt. Im adulten menschlichen Körper kommt Angiogenese hingegen nur noch bei der Ovulation, der Menstruation, der Wundheilung, dem Haarwachstum und bei pathologischen Prozessen wie z. B. diabetischer Retinopathie, Ischämie, Psoriasis, rheumatoider Arthritis und Krebs vor [2].

Von besonderer Bedeutung ist die Angiogenese bei malignen Erkrankungen. Tumorgewebe bis zu einem Volumen von 1 mm³ wird durch Diffusion mit Nährstoffen versorgt. Ab einer Größe von ca. zwei mm³ reicht dies allerdings nicht mehr aus, der Tumor braucht einen Anschluss an das Gefäßsystem des Körpers und verschafft ihn sich mithilfe von Kapillaren.

Die Gefäßbildung wird durch eine Vielzahl an pro- und anti-angiogenen Faktoren gesteuert, die sich physiologischerweise im Gleichgewicht befinden. Während der Tumorigenese mit der Hochregulierung von Onkogenen und der Inaktivierung von Tumorsuppressor-Genen kommt es zu einem Übergewicht der pro-angiogenen Faktoren im Tumorgewebe (sog. angiogener switch). Einer der wichtigsten pro-angiogenen Faktoren ist dabei VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) [1].

VEGF im Tumorgewebe

Während des letzten Jahrzehnts gab es zunehmend Anhalt dafür, dass das Wachstum von vielen Tumorentitäten von der Angiogenese abhängig ist, welche durch VEGF, ein dimeres Glykoprotein, das mit dem Platelet-derived growth factor (PDGF) verwandt ist, stimuliert wird [4].

VEGF wird von nahezu allen Zellen exprimiert. Seine Expression wird gesteigert durch Hypoxie sowie durch eine Vielzahl von Hormonen, Wachstumsfaktoren, Zytokinen, Onkogenen und glykosylierten Proteinen, die durch erhöhte Glucose-Spiegel generiert werden. Die Expression von VEGF ist im Tumorgewebe im Vergleich zu Normalgewebe deutlich hochreguliert [1].

VEGF stimuliert in Gefäßendothelzellen die Expression von invasiven Proteinasen, es aktiviert Integrine und induziert Migration und Mitose der Endothelzellen [5]. Des Weiteren erhöht es die Gefäßpermeabilität, welche charakteristisch für Tumorgefäße ist. Die Relevanz und Selektivität von VEGF in der Tumorangiogenese erklärt sich über seine Rezeptoren.

VEGF-Rezeptoren

Auf Gefäßendothelzellen befinden sich zwei "high affinity" transmembranäre VEGF-Rezeptoren,

  • Flt-1 (VEGFR-1) und
  • KDR (Flk-1 oder VEGFR-2).

    Während Flt-1 auch noch auf einigen weiteren Zellen wie Monozyten [8], dendritischen Zellen [9] und glatten Muskelzellen vorhanden ist, wird KDR nur von Gefäßendothelzellen und wenigen Arten von Neuronen exprimiert. Zusätzlich wird ein dritter homologer Rezeptor, Flt-4 (VEGFR-3), auf einigen embryonalen und adulten Lymph-Endothelzellen exprimiert [10].

    Alle VEGF-Rezeptoren bestehen aus

  • sieben extrazellulären Immunglobulin-Domänen,
  • einer transmembranären Polypeptidsequenz und
  • einer intrazellulären (zytoplasmatischen) Domäne.

    Die Bindung von VEGF an die extrazelluläre Domäne verursacht die Dimerisation des Rezeptors, welche dann an der intrazellulären Domäne zur Phosphorylierung der zytoplasmatischen Tyrosinkinase führt und die nachfolgende Signaltransduktion bis in den Zellkern in Gang setzt (Abb. 1) [5].

    In einer Vielzahl von Tiermodellen erhöht die Aktivierung von KDR durch VEGF die Angiogenese und Gefäßpermeabilität und induziert die Migration und Mitose von Endothelzellen [6]. Hier konnte auch gezeigt werden, dass eine Inhibition von VEGF die Tumorangiogenese und das Tumorwachstum hemmen kann (als Inhibitoren dienten Antikörper, lösliche Rezeptoren, Ribozyme und selektive Tyrosinkinase-Inhibitoren) [11]. Beim Menschen korrelieren erhöhte VEGF-Level mit einem schlechteren rezidivfreien Intervall oder Gesamtüberleben bei verschiedenen Tumorarten, wie z. B. bei Mamma-, Ovarial-, Prostata-, Bronchial-, Ösophagus- und Magenkarzinomen und bei kolorektalen Tumoren.

    Viele anti-angiogene Substanzen

    Viele anti-angiogen wirkende Substanzen befinden sich derzeit in klinischen Studien der Phasen I bis III, nachdem ihr Einsatz in Tiermodellen (in vitro und in vivo) erfolgversprechende Resultate geliefert hatte. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der Wirkmechanismen und Ansatzpunkte. Im Folgenden kann nur auf einige dieser Substanzen eingegangen werden. Besonderes Augenmerk soll dabei auf den Applikationsmodus, das Ansprechen, die Nebenwirkungen und die Biomarker gelegt werden. Die Biomarker zeigen den Effekt der Therapie an den Endothelzellen indirekt an und sind für die Dosisfindung wichtig.

    Niedermolekulare KDR-Tyrosinkinase-Inhibitoren

    Eine medikamentöse Tyrosinkinase-Hemmung in Gefäßendothelzellen ist insofern problematisch, als die verschiedenen Tyrosinkinasen des Organismus sehr ähnliche aktive Zentren besitzen. Die Herausforderung besteht darin, bei den eingesetzten Arzneistoffen eine ausreichende Selektivität zu erreichen und unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden. Niedermolekulare KDR-Tyrosinkinase-Inhibitoren haben den Vorteil, dass sie meistens oral bioverfügbar sind. Mehrere Firmen arbeiten daran, solche Arzneistoffe zu entwickeln (Tab. 2).

    SU5416 Der erste KDR-Tyrosinkinase-Inhibitor, der in klinischen Studien zum Einsatz kam, war das Indolinon SU5416, das später als Semaxanib bezeichnet wurde. Es ist kompetitiv mit ATP, hat eine sehr hohe Bindungsaffinität zu KDR (Ki = 160 nM), eine etwas geringere zum homologen b-Rezeptor des Platelet-Derived Growth Factor (PDGFRb, Ki = 320 nM) und eine mehr als 100fach geringere Affinität zum Fibroblastenwachstumsfaktor-Rezeptor-1 (FGFR1, Ki = 19,5 µM). Obwohl es schlecht löslich ist, hemmt SU5416 die VEGF-stimulierte DNA-Expression in kultivierten humanen Gefäßendothelzellen mit einer IC50 von 60 nM. Der IC50-Wert von SU5416 bei humanen Endothelzellen, die mit FGF-1 stimuliert wurden, ist mindestens 50 µM [19].

    In Tumor-Xenograft-Modellen konnte mit SU5416 sowohl das Tumorwachstum als auch die Metastasierung gehemmt werden [16, 20]. Klinische Phase-I-Studien mit SU5416 bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen begannen 1997. Die Substanz wurde zweimal wöchentlichen i. v. verabreicht, und zwar aufgrund der schlechten Löslichkeit in einer Cremophor-Formulierung, und wurde gut vertragen. In Phase-I/II-Studien wurde die maximal tolerierte Dosis (MTD), ebenfalls bei zweimaliger Verabreichung pro Woche, auf 145 mg/m² festgelegt [17].

    Eine Phase-I/II-Studien prüfte die Kombination von SU5416 mit einer Standard-Chemotherapie: 19 Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom oder soliden Tumoren, die auf Cisplatin/Gemcitabin ansprachen, wurden mit Cisplatin an Tag 1, mit Gemcitabin an den Tagen 1 bis 8 und mit SU5416 zweimal wöchentlich, Wiederholung alle 3 Wochen, therapiert [21]. Bis zu einer Dosis von 85 mg/m² wurden keine relevanten Nebenwirkungen beobachtet, aber nach Steigerung auf 145 mg/m² traten bei drei von sieben Patienten thromboembolische Komplikationen auf. Bei einer Auswahl von sechs Patienten mit niedrigem thromboembolischem Risiko hatten zwei Patienten vaskuläre Ereignisse. Aufgrund dieser Komplikationen wurde die Phase-I-Studie frühzeitig beendet.

    Zwischen den drei verabreichten Substanzen (SU5416, Cisplatin, Gemcitabin) wurden keine signifikanten pharmakologischen Interaktionen beobachtet. Bei drei der analysierten Patienten zeigte sich jedoch ein signifikanter Anstieg der Thrombin-Generation und Endothelzell-Pertubation, die die Rate thromboembolischer Ereignisse bei der Monotherapie mit SU5416 (2,2%) bei Weitem übersteigt und wahrscheinlich auf die Kombination zurückzuführen ist.

    1999 begann eine Phase-III-Studie, in der insgesamt 1300 Patienten mit 5-Fluorouracil (5-FU), Leucovorin und Irinotecan mit oder ohne SU5416 behandelt wurden. Anfang 2002 wurde die Studie beendet, weil eine Interim-Analyse von 355 Patienten keinen klinischen Nutzen von SU5416 zeigte. Die genauen Gründe für den Misserfolg sind nicht bekannt, aber die schlechte Pharmakokinetik bei zweimal wöchentlicher Applikation könnte unzureichende Wirkstoffspiegel zur Folge gehabt haben.

    SU5416 wird derzeit noch bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) geprüft. Von 19 Patienten zeigte ein Patient nach neunmonatiger Behandlung eine Remission [22]. An Nebenwirkungen traten insbesondere Diarrhö, Fatigue und allergische Reaktionen auf. Möglicherweise wirkt SU5416 bei AML nicht durch die KDR-Tyrosinkinase-Hemmung in malignem Knochenmark, sondern durch die Hemmung eines oder mehrerer homologer Rezeptoren von Blutstammzellen wie c-kit, flt-3 oder c-fms. (Es ist bekannt, dass SU5416 c-kit hemmt.)

    SU6668 Der Tyrosinkinase-Inhibitor SU6668 ist oral bioverfügbar, besser löslich als SU5416 und ebenfalls kompetitiv mit ATP. Seine Ki-Werte betragen 2,1 µM für KDR und 1,2 µM für die FGFR1 [26]. Er bindet außer an VEGF-Rezeptoren auch an PDGF- und bFGF-Rezeptoren sowie an c-kit. In humanen Nabelschnurvenen-Endothelzellen liegt die IC50 von SU6668 für die VEGF-stimulierte KDR-Tyrosinkinase-Phosphorylierung zwischen 1 und 3 µM.

    Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass SU6668 die Gefäßdichte, den Blutfluss und die Gefäßpermeabilität verringert. Bei Mäusen hemmte es das Wachstum des Primärtumors und verlängerte das Gesamtüberleben [27, 28]. Des Weiteren konnte eine Wirkung von SU6668 gegen Leukämie-Zellen gezeigt werden, wahrscheinlich über eine Hemmung von c-kit.

    In Phase-I-Studien zeigte SU6668 bei einer einmal täglichen Dosierung von 100 bis 2400 mg/m² eine Halbwertszeit von 1 h bei nüchternen Patienten. Bei nicht-nüchternen Patienten betrug die Halbwertszeit ca. 2 h bei einer Dosierung von 200 bis1600 mg/m². In beiden Patientengruppen traten nur wenige Nebenwirkungen während des 28-Tage-Zyklus auf. Jedoch wurden leichte Müdigkeit, Schmerzen, Thrombozytopenien und gastrointestinale Nebenwirkungen bei zweimal täglicher Dosierung von 200 bis 800 mg/m² beobachtet. Zurzeit laufen Phase-II-Studien mit Patienten mit Mundhöhlenkarzinomen, gastrointestinalen Stromatumoren (GIST), multiplem Myelom und akuter myeloischer Leukämie (AML) [23, 24, 25].

    SU11248 SU11248 ist der neueste Tyrosinkinase-Inhibitor, der von der Firma Sugen/Pharmacia entwickelt wurde. Die oral bioverfügbare Substanz bindet selektiv an KDR, PDGFRb, c-kit und Flt-3 und hemmt in vivo die VEGF-induzierte Gefäßpermeabilität und Angiogenese [29, 30]. Sie wird derzeit in einer Phase-I-Studie bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren geprüft.

    PTK787/ZK222584 (Vatalanib) PTK787/ZK222584 ist ein potenter Tyrosinkinase-Inhibitor, der von den Firmen Novartis und Schering entwickelt wurde. Es bindet an KDR fast genauso sehr wie an Flt-1, zeigt aber auch eine Affinität zu den Rezeptoren anderer Wachstumsfaktoren [14].

    In einem murinen syngenen orthotopen Nierenzellkarzinom-Modell (RENCA) konnte sowohl das Wachstum des Primärtumors als auch die Metastasierung in Lymphknoten und Lunge effektiv mit PTK787/ZK222584 gehemmt werden [12]. In Phase-I-Studien bei Tumorpatienten, die mit einer Dosis von 50 mg bis 2000 mg/Tag behandelt wurden, zeigte sich eine schnelle orale Absorption und eine Halbwertszeit von 5,9 h. Es gab kein Anzeichen für eine Akkumulation der zirkulierenden Substanz, aber die AUC-Werte waren an Tag 15 niedriger als an Tag 1. Von insgesamt 46 Patienten, die an zwei Phase-I-Studien teilnahmen, wurden 39 mittels dynamischer kontrastverstärkter Kernspintomographie (dceMRI) untersucht.

    Es konnte eine signifikante dosisabhängige 29%ige Abnahme des Permeabilitäs-Transfer-Koeffizienten beobachtet werden. Bei Dosierungen über 750 mg/Tag betrug die durchschnittliche Abnahme sogar 45%, und in einer Untergruppe von 24 Patienten mit Lebermetastasen betrug sie 58% an Tag 2 [15]. Bei nahezu der Hälfte der Patienten bildete sich der Tumor für länger als 3 Monate geringfügig zurück oder war stabil. Bei Patienten auf der Dosisstufe 1 g oder höher, die auf die Therapie ansprachen, nahmen die Plasma-VEGF-Konzentrationen um das 5fache zu (Reaktion auf die Hypoxie) [13].

    Bis zu einer Dosis von 2 g/Tag konnte keine dosislimitierende Toxizität beobachtet werden. An Nebenwirkungen traten insbesondere Ataxie und Hypertonie auf, welche mit dem Wirkmechanismus der Substanz assoziiert werden konnten. Anhand der erhobenen Surrogat-Parameter, wie Serum-Level von VEGF und bFGF, Farbdopplersonographie und Tumorblutflussveränderungen in der dceMRI, wurde die optimale Dosis auf 1200 mg/Tag festgelegt [13, 15].

    ZD6474 ZD6474 ist ein potenter Tyrosinkinase-Inhibitor, der ZD4190 in klinischen Studien ersetzt hat. Neben KDR hemmt er in wesentlich geringerem Ausmaß auch EGFR, PDGFRß, Tie2 (= tek) und FGFR1 [33, 34]. In Tumor-Xenograft-Modellen hemmt er das Wachstum von Primärtumoren und die Metastasierung [31].

    In einer Phase-I-Studie mit 49 Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren wurde ZD6474 in Dosierungen von 50 bis 600 mg an Tag 1 verabreicht, gefolgt von einer täglichen Gabe über 28 Tage ab Tag 8. Die Halbwertszeit betrug 120 Stunden und führte zu einer 6- bis 8fachen Dosisakkumulation an Tag 15. So ergab sich bei 300 mg/Tag eine Plasma-Konzentration von ca. 1 µM. An Dosis-limitierender Toxizität traten Diarrhö (Grad 3) und Thrombozytopenie auf. Kardiale QT-Zeit-Verlängerung wurde bei 7 Patienten beobachtet [32, 35]. Aufgrund dieses Toxizitätsprofiles ist die weitere klinische Prüfung dieser Substanz in Frage gestellt.

    CP-547632 CP-547632 ist ein von der Firma Pfizer entwickeltes Isothiazol. Außer an KDR bindet es auch an FGFR und PDGFRb [36]. Es ist oral bioverfügbar, gut verträglich und befindet sich derzeit in Phase-I-Studien bei Tumorpatienten. Vorläufige pharmakokinetische Daten bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen wurden vor kurzem veröffentlicht.

    24 Patienten erhielten CP-547632 über 14 Tage in oralen Dosierungen von 25 mg bis 160 mg/Tag kontinuierlich über durchschnittlich 2 Zyklen (Range 1 – 7) [37, 38]. Die Halbwertszeit wurde auf 29 Stunden geschätzt, und weniger als 2% der verabreichten Dosis befand sich im Urin. Es konnte keine Dosis-limitierende Toxizität beobachtet werden, Nebenwirkungen waren ein vorübergehender nicht-makulopapulöser Hautausschlag bzw. ein trockener Mund bei 2 von 24 Patienten. Stable Disease zeigte sich bei 6 von 22 evaluierbaren Patienten nach 2 Zyklen (über 8 Wochen) und bei einem Patient für 6 Zyklen (über 24 Wochen).

    Höhermolekulare Substanzen Bevacizumab (Avastin®)

    Bevacizumab (Tab. 3) ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper (rhMab) für VEGF, der von den Firmen Genentech und Roche entwickelt wurde [41]. Er wurde von dem murinen monoklonalen Antikörper (mMab) A.4.6.1 abgeleitet, der in einer Vielzahl von humanen Xenografts in Nacktmäusen die Angiogenese, das Wachstum und die Metastasierung von Tumoren gehemmt hatte [40]. Bevacizumab bindet an die Rezeptorbindungsstellen aller physiologisch aktiven Formen von VEGF und hemmt effektiv dessen Funktionen wie Endothelzell-Mitogenese, Gefäßpermeabilität und Angiogenese sowohl in vitro als auch in vivo. Es hat eine durchschnittliche Halbwertszeit von 13 Tagen.

    Klinische Phase-I-Studien wurden bei Tumorpatienten mit messbaren Tumorformationen initiiert. Fünf Patienten auf jeder Dosisstufe (0,1; 0,3; 1,0; 3,0 und 10,0 mg/kg) erhielten eine Infusion über 90 Minuten an Tag 0, 28, 35 und 42. Bevacizumab wurde im Allgemeinen gut vertragen, kein Patient entwickelte eine Immunität gegen den Antikörper. Grad-III/IV-Toxizität wurde bei der höchsten Dosis nicht beobachtet, aber bei vier von 25 Patienten in den niedrigeren Dosisstufen, einschließlich Anämie (bei 0,1 mg/kg), Dyspnö (bei 0,3 mg/kg) und Blutungen (bei 3,0 mg/kg). An Grad-I/II-Nebenwirkungen traten Asthenie, Nausea, Kopfschmerzen und Fieber auf [45]. Partielle oder komplette Remissionen traten nicht auf, aber bei einem Patienten mit Nierenzellkarzinom zeigte sich eine 20- bis 30%ige Abnahme der pulmonalen und Lymphknoten-Metastasen. An Tag 70 erreichten zwölf von 23 auswertbaren Patienten ein Stable Disease, während die restlichen elf Patienten progredient waren [45].

    Eine Phase-Ib-Studie mit Bevacizumab (3 mg/kg wöchentlich i. v. über 8 Wochen) in Kombination mit Doxorubicin oder Carboplatin plus Paclitaxel oder mit 5-FU plus Leucovorin (5-FU/LV) wurde bei 12 Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren durchgeführt. Vier Patienten zeigten Grad-III-Nebenwirkungen (Diarrhö, Thrombozytopenie und Leukopenie), wahrscheinlich aufgrund der zytostatischen Substanzen. Drei von acht Patienten, einer aus jeder Behandlungsgruppe, sprachen auf die Therapie mit Bevacizumab an und setzten sie für weitere 20 bis 40 Gaben fort, ohne dass eine kumulative oder Spät-Toxizität auftrat [46].

    Bei einer Phase-II-Studie erhielten Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen randomisiert 5-FU/LV allein oder 5-FU/LV in Kombination mit Bevacizumab (5 oder 10 mg/kg alle 2 Wochen) für ein Jahr oder bis zum Progress. Die Ansprechraten waren 17% (nur 5-FU/LV), 40% (plus 5 mg/kg Bevacizumab) und 24% (plus 10 mg/kg Bevacizumab); die Zeit bis zum Progress betrug entsprechend 5,2, 9,0 und 7,2 Monate [42].

    Eine weitere Phase-II-Studie bei bisher unbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) erhielten entweder Carboplatin/Paclitaxel allein (alle 3 Wochen über 6 Zyklen) oder in Kombination mit Bevacizumab (7,5 oder 15 mg/kg alle 3 Wochen) für ein Jahr oder bis zum Progress. Bevacizumab verlängerte die Zeit bis zum Progress und das mediane Überleben, doch wurden bei 6 von 66 Patienten lebensbedrohliche Blutungen mit 4 Todesfällen beobachtet. Die sechs Patienten mit pulmonalen Blutungen hatten ein Plattenepithelkarzinom, das in der Nähe großer Blutgefäße und/oder Nekrosen lokalisiert war. Daher erscheint die Kombination Bevacizumab mit Carboplatin/Paclitaxel als sinnvolle Therapieoption bei NSCLC mit Ausnahme des Plattenepithelkarzinoms [43].

    Ergebnisse der Langzeittherapie von 28 Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren (16 kolorektale Tumoren, 7 NSCLC, 4 Mamma- und 1 Prostatakarzinom), die Bevacizumab (5 bis 15 mg/kg alle zwei bis drei Wochen) über einen mittleren Zeitraum von 14 Monaten erhielten, wurden auf dem ASCO 2002 berichtet [40]. Alle Patienten erhielten begleitend eine Chemotherapie und konnten bei Progress wieder mit Bevacizumab beginnen. Komplette Remissionen konnten bei 2 von 28 Patienten, partielle Remissionen bei 12 von 28 Patienten beobachtet werden, während 13 von 28 Patienten ein Stable Disease erreichten, und ein Patient Progress hatte. Die mediane Zeit bis zum Progress war 13,7 Monate.

    Bevacizumab wurde im Allgemeinen gut vertragen. An Nebenwirkungen traten thromboembolische Ereignisse (5/28), Grad-II/III-Hypertonie (3/28), Grad-I-Proteinurie (1/28) und gastrointestinale Blutungen (Grad II und IV bei 2 Patienten mit kolorektalen Karzinomen) auf. Auch bei Patienten mit Nierenzellkarzinom wirkte Bevacizumab positiv [44].

    IMC-1C11 Der von der Firma ImClone entwickelte chimäre monoklonale Antikörper IMC-1C11 verhindert die Bindung des VEGF an KDR [48, 49]. In einer Phase-I-Studie bei 14 Patienten mit hepatisch metastasiertem kolorektalem Karzinom wurde IMC-1C11 einmal wöchentlich als Infusion mit 0,2, 0,6, 2,0 und 4,0 mg/kg über 4 Wochen verabreicht. Mittels dceMRI konnte bereits physiologische Aktivität an den Tumorgefäßen nachgewiesen werden, klinische Resutate stehen aber noch aus.

    IMC-1C11 ist im Allgemeinen gut verträglich, es wurden keine Grad-III/IV-Nebenwirkungen beobachtet, während Grad-I-Blutungen, die ohne Intervention sistierten, bei 5 Patienten auftraten [47]. Humane anti-chimäre Antikörper wurden in der höchsten Dosisstufe nicht beobachtet, aber bei 7 von 10 Patienten in niedrigeren Dosisstufen.

    Angiozyme Die von den Firmen Ribozyme Pharmaceuticals Inc. und Chiron entwickelte Substanz Angiozyme (RPI-4610) ist ein Antisense-Nucleotid, das die Synthese von VEGF-Rezeptoren verhindert, indem es an die bei diesem Prozess beteiligte mRNA bindet und sie funktionslos macht [51, 52].

    Ergebnisse einer Phase-I-Studie mit Angiozyme (100 mg/m² täglich s. c.) in Kombination mit Carboplatin (AUC 6) und Paclitaxel (175 mg/m²) zeigten eine gute Verträglichkeit [50]. Zwölf Patienten erhielten insgesamt 22 Zyklen. An Nebenwirkungen traten Nausea, Erbrechen, Neuropathie, Myalgien, Arthralgien, Fatigue, Anorexie und Irritationen an der Injektionsstelle auf. Grad-III/IV-Neutropenie und Grad-II-Thrombozytopenie wurden ebenfalls beobachtet. Zurzeit wird Angiozyme in Phase-II-Studien bei Patienten mit Melanom, kolorektalen, Mamma-, Bronchial- und Nierenzellkarzinomen geprüft.

    Fazit: Hohe Erwartungen nur zum Teil erfüllt

    Aufgrund der erfolgversprechenden Ergebnisse in Tiermodellen wurden hohe Erwartungen in die Therapie solider Tumoren mit Angiogenese-Inhibitoren gesetzt. Diese Erwartungen wurden aber zum größten Teil nicht erfüllt. Zu den Substanzen, die bislang am aussichtsreichsten erscheinen, gehört PTK787/ZK222584. In zwei Phase-I-Studien wurden nach Auswertung erster Daten bei etwa der Hälfte der Patienten Progressionsfreiheit und bei einigen Patienten geringfügige Remissionen beobachtet, klinisch relevante Nebenwirkungen (Ataxie und Hypertonie) waren moderat.

    Alle anderen anti-angiogenen Substanzen zeigten in den klinischen Studien teils erhebliche Nebenwirkungen, welche sich insbesondere in Form von Blutflussveränderungen (Hypertonie, Ataxie) oder Blutungsneigungen des Tumorgewebes äußerten. Multitarget-Substanzen wiesen das größte Nebenwirkungsspektrum auf.

    Bevacizumab, ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper für VEGF, ist am längsten in klinischer Erprobung. Phase-I-Studien zeigten für Bevacizumab in Kombination mit der klassischen Chemotherapie einen Nutzen bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen und NSCLC. Die Gefahr von lebensbedrohlichen Blutungen und von Thrombosen erfordert jedoch eine engmaschige Überwachung der Patienten. Bei den anderen geprüften Substanzen dominierten folgende unerwünschte Wirkungen:

  • thrombotische Ereignisse ungeklärter Ursache bei Semaxanib,
  • Dosis-limitierende Hypertonie bei CP-547632,
  • verlängerte QT-Zeit bei ZD6474.

    Anhand von Surrogatmarkern, welche allesamt indirekt die Wirkung am Tumorgefäß nachzuweisen suchen, konnte für einige Substanzen eine optimale Dosis bestimmt werden, die deutlich unter der maximalen tolerablen Dosis (MTD) lag. Hier muss das klassische Konzept für die Entwicklung von Zytostatika, welches die MTD auch als optimale Dosis ansieht, überdacht werden.

    Die antitumorale Aktivität der einzelnen Substanzen beschränkt sich bisher (bis auf wenige Ausnahmen) auf eine temporäre Krankheitsstabilisierung bei einigen Patienten. Das lässt vermuten, dass ein angiogener Phänotyp existiert, der bisher nicht voraussagbar ist. Erste Ergebnisse der Surrogatmarker lassen auf prädiktive Faktoren hoffen. Der erneute Progress der Erkrankung nach der Krankheitsstabilisierung lässt auf einen Wechsel in der Rolle der pro-angiogenen Faktoren schließen.

    Die Angiogenesehemmung stellt weiterhin einen attraktiven Ansatz zur Behandlung von Tumorerkrankungen dar. Weitere präklinische und klinische Untersuchungen sind nötig, um mögliche Einsatzgebiete dieser Therapie zu definieren.

  • Die Einsprossung von Kapillaren in das Tumorgewebe ist Voraussetzung für das Wachstum und die Metastasierung von soliden Tumoren. Für die Gefäßbildung oder Angiogenese sind insbesondere Wachstumsfaktoren verantwortlich. Angiogenese-Inhibitoren, die sich selektiv auf das Tumorgewebe richten, stellen daher einen innovativen Ansatz der Krebstherapie dar, der in Kombination mit der klassischen Chemotherapie Erfolg verspricht. Die bisher entwickelten Angiogenese-Inhibitoren verursachen jedoch erhebliche Nebenwirkungen, sodass diese Therapie von einem Durchbruch noch weit entfernt ist. 

    Glossar

  • IC50: Mittlere Hemmkonzentration
  • Ki: Maß der Bindungsaffinität
  • ASCO: American Society of Clinical Oncology
  • dceMRI: dynamic enhanced magnetic resonance imaging
  • Mab: Monoklonaler Antikörper
  • Zusammenfassung

  • Die Angiogenese des Tumorgewebes ist Voraussetzung für das weitere Wachstum und die Metastasierung von Tumoren.
  • Die Angiogenese wird vor allem durch den Wachstumsfaktor VEGF und seine Rezeptoren Flt-1 und KDR gesteuert.
  • Angiogenese-Inhibitoren mit verschiedenen Wirkmechanismen werden in klinischen Studien der Phase I bis III geprüft.
  • Sie erzielen häufig eine Progressionsfreiheit der Krankheit, aber selten Remissionen.
  • Das Nebenwirkungsprofil der derzeit bekannten Angiogenese-Inhibitoren ist teilweise bedenklich.
  • Die Kombination von Angiogenese-Inhibitoren mit der klassischen Chemotherapie erscheint sinnvoll.
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