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Arzneimittel und Therapie
Pflanzliche Antidepressiva: Halten freiverkäufliche Johanniskrautpräparate, wa
Medikamentöse Korrektur des Hirnstoffwechsels
Man geht heute davon aus, dass eine Depression durch eine Veränderung des Hirnstoffwechsels hervorgerufen wird. Und zwar egal, ob es sich um eine endogene oder eine erlebnisbedingte Depression handelt. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Neurotransmitter Noradrenalin, Serotonin und Dopamin. Eine Störung in ihrer Funktion kann depressive Verstimmungen auslösen – eine Korrektur dieser gestörten Funktion ist umgekehrt der Angriffspunkt praktisch aller heute zur Therapie depressiver Verstimmung eingesetzter Psychopharmaka.
Die heute verfügbaren chemischen Antidepressiva beeinflussen den Serotonin- oder den Noradrenalinstoffwechsel. Johanniskraut dagegen, ein als wirksam verifiziertes pflanzliches Antidepressivum, greift zwar nicht so stark in diese beiden Systeme ein, reguliert jedoch dazu noch den Dopaminstoffwechsel. Alles zusammen erklärt wahrscheinlich die geringe Nebenwirkungsrate der Johanniskrauttherapie. Antidepressiva greifen kausal in die Ursachen depressiver Verstimmungen ein. Die gängige Vorstellung, hier würden nur bestimmte Symptome unterdrückt, ist nicht haltbar.
Aufklärung und ausreichend hohe Dosierung sind erforderlich
Gemeinsam ist allen – chemischen und pflanzlichen Antidepressiva –, dass sie in ausreichender Dosierung genommen werden müssen und erst mit einer zeitlichen Latenz von 2 bis 3 Wochen zu einer Stimmungsaufhellung und Verbesserung der Antriebssituation führen (Akuttherapie). Nach Abklingen der Depression sollten die Medikamente jedoch nicht abgesetzt werden, sondern in der Regel in unveränderter Dosis für weitere 6 bis 9 Monate beibehalten werden (Erhaltungstherapie). Das Rückfallrisiko ist nämlich innerhalb des ersten Jahres am größten. All dies sind Tatsachen, über die der Patient für eine nachhaltige Behandlung auf jeden Fall aufgeklärt sein muss.
Für die Wirksamkeit der Johanniskrautextrakte in unserem Gehirn werden bestimmte Bestandteile verantwortlich gemacht. Darunter ist vor allen Dingen das Hyperforin zu nennen, wahrscheinlich aber auch verschiedene Substanzen aus der großen Gruppe der Flavonoide und der Biflavone. Aus klinischen Untersuchungen ist bekannt, dass die wirksamen Fraktionen bei einigen hochdosierten und klinisch wirksamen Präparaten Gewebekonzentrationen im Gehirn erreichen, die tatsächlich ihre Wirkung auf die depressive Symptomatik erklären. Präparate, die diese wichtigen Inhaltsstoffe nur in sehr geringem Maße enthalten, können die benötigten Wirkkonzentrationen nicht erreichen und sind daher zur Behandlung von depressiven Störungen nicht geeignet.
Drogen-Extrakt-Verhältnis ist ausschlaggebend
Die Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen geht weit über die traditionelle naturheilkundliche Medizin hinaus. Daher muss der Einsatz von Johanniskrautpräparaten den Kriterien einer rationalen Arzneimitteltherapie entsprechen. Diese wurden vom Gesetzgeber unter den Begriffen
- Qualität
- Wirksamkeit und
- Unbedenklichkeit definiert.
Nach bisherigen Erkenntnissen ist die Wirkung von Johanniskrautextrakten nicht nur auf einen einzelnen Inhaltsstoff zurückzuführen. Verwendet wird, wie in den meisten ähnlichen Fällen, ein Trockenextrakt, der durch Extraktion des Pflanzenmaterials mit Ethanol oder Methanol hergestellt wird. Dieser muss durch ein Drogen-Extrakt-Verhältnis (DEV) in einer natürlichen Spannbreite und durch das verwendete Extraktionsmittel (Art und Konzentration) charakterisiert sein.
Als wirksame Tagesdosis gelten 2 bis 4 g Drogenäquivalente. Je nach Drogen-Extrakt-Verhältnis entspricht dies etwa 500 bis 800 mg der gängigen Extrakte. Zur Sicherung des Therapieerfolges sollten Johanniskrautpräparate eine gleichbleibende pharmazeutische Qualität aufweisen, d.h. über eine angemessene Chargenhomogenität und Chargenkonformität verfügen.
Apotheken- und Supermarktpräparate im Vergleich
Johanniskrautpräparate sind in Deutschland jedoch nicht nur in Apotheken, sondern auch in Drogerien und Supermärkten erhältlich. Aufgrund der besonderen Zulassungsbestimmungen für diese Präparate werden als Indikation hier meist "traditionelle Anwendungen zur Besserung des Befindens bei nervlicher Belastung" genannt. Zu diesen Präparaten greifen meist Kunden, die sich scheuen, ihre depressiven Symptome durch einen Arztbesuch bestätigen zu lassen.
Die nicht-apothekenpflichtigen Johanniskrautzubereitungen sind von wenigen Ausnahmen abgesehen in der Regel dadurch charakterisiert, dass die empfohlenen Tagesdosen zum Teil erheblich unter jener liegen, die heute als wirksam für eine Depressionsbehandlung angesehen wird. Untersuchungen hinsichtlich des Inhaltsstoffspektrums zeigen außerdem, dass der Gehalt an wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffen erheblich niedriger ist, als dies bei klinisch geprüften Präparaten der Fall ist. Die Eignung solcher Präparate zur Behandlung von depressiven Verstimmungen darf daher bezweifelt werden.
Was erfährt der Verbraucher?
An den Beispielen der Untersuchungen des Verbrauchermagazins Öko-Test wird deutlich, wie wichtig Marktuntersuchungen und Produktvergleiche zur Verbraucherorientierung sein können. Das typische Vorgehen im Ressort Gesundheit bei Öko-Test beginnt mit der Auswahl der Produkte, wobei auch die Verkaufszahlen eine Rolle spielen. Nach Recherche und Rücksprache mit den wissenschaftlichen Beratern sowie den Laboren werden die entsprechenden Gutachten und Analysen in Auftrag gegeben. Den Herstellern werden die Ergebnisse mitgeteilt, sie haben Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Das Ergebnis eines Arzneimitteltests gliedert sich üblicherweise in die Testergebnisse
- Pharmakologie
- Hilfsstoffe und
- Verpackung.
Johanniskrautpräparate aus Drogerie und Supermarkt oft mangelhaft
Wichtigste Kriterien für die pharmakologische Beurteilung sind die Wirksamkeit des Produktes und die im Beipackzettel angegebenen Hinweise. Präparate, deren Wirksamkeit für ein Anwendungsgebiet in Studien nicht ausreichend oder gar nicht belegt ist, werden hierfür abgewertet. Fehlen im Beipackzettel wichtige (Warn-)Hinweise, führt dies zu weiteren Abwertungen.
Kritik und Bewertungen orientieren sich an aktuellsten wissenschaftlichen Daten und Befunden. Das geht oft über gesetzliche Auflagen hinaus. Eine noch unveröffentlichte Untersuchung zeigt am Beispiel der nicht-apothekenpflichtigen Johanniskrautpräparate, dass diese Produkte bestenfalls mit "mangelhaft" abschneiden. Kämen dann noch Deklarationsmängel hinzu, bliebe nur das Testurteil "ungenügend". Hauptfehler: die Tagesdosen – bei Einhaltung der vom Hersteller angegebenen Einnahmeempfehlungen – sind zu niedrig für eine effektive Depressionsbehandlung.
Fazit: Der scheinbare Preisvorteil des Supermarktproduktes schwindet, wenn man es doppelt und dreifach dosieren müsste, um eine den Apothekenprodukten vergleichbare Wirkung zu erzielen.
Depressionen nicht einfach hinnehmen
In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid gab eine repräsentativ ausgewählte Stichprobe von 2224 Deutschen an, wie stark sie von depressiven Symptomen betroffen waren: 24% der Befragten fühlten sich von mindestens fünf Symptomen der Depression mittelmäßig bis sehr stark betroffen. Der Anteil von stark und sehr stark Betroffenen betrug noch 6%. Die wenigsten dieser Betroffenen (17%) waren dabei in Behandlung. Am ablehnendsten standen einer Behandlung Männer, jüngere Betroffene und Menschen mit höherer Bildung gegenüber. Das Ignorieren der eigenen Depressivität und die "Strategie des Nichtstun" ist umso bedauerlicher, weil Depressionen heute gut behandelbare Krankheitsbilder sind. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität, der Verlust von Produktivität und die Gefahr der Chronifizierung können, eine wirksame Therapie vorausgesetzt, in den meisten Fällen aufgehoben bzw. vermieden werden.
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