Kommentar

Initiative Pro Apotheke: 7,7 Millionen Unterschriften - Eindeutiges Votum gegen

Berlin (ks). Am 3. Juli nahm die Unterschriftenaktion "Initiative Pro Apotheke" ihr offizielles Ende: ABDA-Präsident Hans-Günter Friese präsentierte der parlamentarischen Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch (SPD) auf dem Berliner Bebelplatz die gesammelten Unterschriftenlisten gegen den Arzneimittelversandhandel. Zu diesem Ereignis fanden sich neben den ABDA-Repräsentanten einige hundert Apotheker im weißen Kittel aus Berlin und Umgebung ein. Auch Fernsehen und Presse sowie Vertreter aus dem Bundestag zeigten reges Interesse an der Veranstaltung.

Knapp zwei Monate lang, vom 20. April bis zum 15. Juni, wurden in deutschen Apotheken Unterschriften gegen den Arzneimittelversandhandel gesammelt. Das Ergebnis ist überwältigend: 7.745.500 Menschen haben ihr Votum gegen den Versandhandel abgegeben - eine so große Unterschriftenaktion hat es in Deutschland noch nie zuvor gegeben. Dass das Umzugsgepäck solche Ausmaße annehmen würde, hatte man sich wohl auch bei der ABDA kaum erträumt.

Nur wenige Tage nach dem Einzug ins neue ABDA-Haus in Berlin-Mitte wurden die Unterschriftenlisten zu zwei hohen Türmen gestapelt auf einem Lastwagen zum Bebelplatz gebracht. Weiterer Blickfang auf dem Platz zwischen Oper und Humboldt Universität: Ein Heißluftballon, der von weitem sichtbar auf die "Initiative Pro Apotheke" hinwies - auch wenn ihm der Aufstieg behördlich versagt blieb. In der eindrucksvollen Kulisse der aufgetürmten Unterschriftenlisten übergab Friese der in Vertretung für Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt erschienenen Staatssekretärin symbolisch eine notarielle Urkunde mit der Bestätigung der genauen Unterschriftenanzahl.

Friese: eindeutiges Votum der Bürger

Zuvor erläuterte Friese erneut die Argumente der Apotheker: "Der Versandhandel ist das trojanische Pferd der Systemveränderer" und bedeute einen "Frontalangriff auf das bestehende, bewährte, schnelle und sichere System". Doch nicht nur die Worte der Apotheker sollten die Regierenden hören - auch das Votum der Bürgerinnen und Bürger sei eindeutig, betonte Friese. Er forderte daher Regierung und Parteien auf, diese "Willensäußerung der Bevölkerung bei ihrer politischen Arbeit zu berücksichtigen". Es gebe Alternativen zum Versand und die ABDA sei bereit, "konstruktiv an der Optimierung der Arzneimittelversorgung mitzuwirken". Ein entsprechendes Modell der ABDA, das eine Internetbestellung und einen Botendienst durch pharmazeutisches Personal vorsieht, wurde den politischen Akteuren bereits vorgestellt.

Friese stellte auch klar, dass kein Apothekenkunde zur Teilnahme an der Unterschriftenaktion genötigt wurde. In der "Süddeutschen Zeitung" vom 3. Juli wurde den Apothekern vorgeworfen, Patienten als "Geisel" zu "missbrauchen", um "Besitzstände zu verteidigen". Derartige Behauptungen wies der ABDA-Präsident entschieden zurück. Einige Kunden seien sogar ausschließlich zur Unterschriftsleistung in die Apotheke gekommen.

Schaich-Walch: eigene Konzepte schaffen, ehe die EU bestimmt

Schaich-Walch hatte in ihrer anschließenden Rede keinen leichten Stand. Die anwesenden Apotheker hielten ihren Missmut gegenüber der Regierungspolitik nicht zurück. Doch die Staatssekretärin blieb unbeirrt und erklärte, die Regierung nehme die Argumente der Apotheker und die Meinung der Bürger ernst. Es habe auch nie einen Zweifel daran gegeben, dass "diese Bundesregierung ohne Wenn und Aber für den Erhalt der wohnortnahen Apotheke ist". Die Zulassung von Versandapotheken in anderen Staaten habe aber gezeigt, dass auch dort die öffentliche Apotheke weiterhin bestehe. Es sei damit zu rechnen, so Schaich-Walch, dass das deutsche Versandhandelsverbot angesichts der europäischen Grundfreiheiten nicht dauerhaft Bestand haben kann.

Sicherheit wird erst eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) geben, die voraussichtlich im Frühjahr 2003 fallen wird. Man stehe daher vor der Frage, ob man die "Zukunft im gemeinsamen Dialog aktiv selbst gestalten" möchte oder sich lieber von der europäischen Rechtsprechung Vorgaben machen lässt. Die SPD-Politikerin schätzt die Chancen für ein Überleben des nationalen Versandverbots vorm EuGH auf 50:50. Ihre schlimmste Vorstellung: das Verbot kippt und es sind keine neuen Strukturen geschaffen. Daher müssten schon ab Beginn der neuen Legislaturperiode gemeinsam mit den Apothekern Konzepte entwickelt werden, wie ein Versandhandel zu realisieren sei. Einige wichtige Punkte des Konzepts seien schon klar: So müsse der Patient frei entscheiden können, ob er seine Medikamente in der Internetapotheke kaufen wolle oder nicht. Auch die Arzneimittelsicherheit müsse gewährleistet bleiben, eine Kostenerstattung sei nur möglich, wenn die Versandapotheke bestimmte Qualitätsanforderungen erfülle. Versandapotheken müssten weiterhin Vollsortimenter sein und sich an Nacht- und Notdiensten beteiligen (ggf. finanziell durch Zahlung in einen Pool). Auch eine deutschsprachige Patienteninformation müsse sichergestellt sein und für die Preise müssten die gleichen Wettbewerbsbedingungen gelten.

Seehofer: deutsche Arzneimittelsicherheit als Vorbild für Europa

Ex-Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), der im September sein ehemaliges Amt gerne wieder aufnehmen würde, fand beim Publikum mehr Zuspruch als seine Vorrednerin: Er sieht durch den Versandhandel vor allem die Arzneimittelsicherheit und die wohnortnahe Rund-um-die-Uhr-Versorgung gefährdet: "Arzneimittel gehören in die Hände von Fachfrauen und Fachmännern und dürfen nicht einem unüberschaubaren und unkontrollierbaren Internethandel ausgesetzt werden." Wer glaubt, hier Kontrolle ausüben zu können, gehe "an der Realität vorbei". Unverständlich ist für Seehofer, wie auf der einen Seite infolge von Skandalen die Kontrollen für Lebensmittel und Tierarzneimittel immer strenger werden, bei Humanarzneimitteln aber genau gegenläufig gehandelt werde. Bei der Arzneimittelsicherheit müsse selbst der Wettbewerb zurückstecken: "Wir wollen Arzneimittelsicherheit und nicht betriebswirtschaftliche Optimierung". Auch das SPD-Argument, man müsse sich auf Europa vorbereiten, zieht bei Seehofer nicht: Als größter Zahler in der Union werde man nicht abwarten, was die Kommission Deutschland "aufoktroyiert", sondern dafür sorgen, dass die deutschen Interessen in Europa zum Tragen kommen. Der CSU-Politiker war sichtlich froh, von Apothekern derart positiv aufgenommen zu werden. Er erinnere sich noch an ganz andere Zeiten, räumte der ehemalige Gesundheitsminister ein. Und er sei sich bewusst, damals "den einen oder anderen Fehler" gemacht zu haben - doch aus diesen will er gelernt haben.

Thomae: Freiberuflichkeit schützen

Auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Dieter Thomae fand sich auf dem Bebelplatz ein, um die Apotheker zu ihrer gelungenen Unterschriftenaktion zu beglückwünschen. Neben der Erhaltung der Arzneimittelsicherheit und der wohnortnahen Versorgung gehe es ihm und seiner Partei vor allem um die Wahrung der Freiberuflichkeit für die Apotheker. Diese Freiberuflichkeit sichere die bestmögliche Versorgung für den Patienten und dürfe nicht durch die Rosinenpickerei von Internetapotheken gefährdet werden, so Thomae.

Es waren noch weitere Politiker zugegen, um Argumente auszutauschen. Doch nun hat erst einmal die parlamentarische Sommerpause begonnen. Vor den Wahlen im September wird in Sachen Versand also nicht viel passieren. Einen über die Bundestagsferien hinausgehenden Eindruck sollten die Unterschriftenberge aber allemal hinterlassen haben.

{zt}Zitate Es kann nicht sein, dass ein funktionierendes System der Arzneimittelversorgung durch die öffentliche Apotheke, um das uns die Welt beneidet, ohne Not irreversibel zerstört wird. Hans-Günter Friese

Es kann nicht verboten werden, dass Menschen innerhalb Europas Arzneimittel einkaufen und bestellen. Wie sind daher gezwungen, uns mit der Einführung des Versandhandels auseinander zu setzen und ein gemeinsames Konzept zu erschaffen, das die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Apotheke sichert. Gudrun Schaich-Walch

Wir dürfen unser deutsches Gesundheitswesen nicht auf europäischen Durchschnitt zurückfahren, sondern müssen darauf achten, dass möglichst viel von unserer guten Entwicklung in der Medizin und in der Medikamentenversorgung zum Standard in Europa wird. Horst Seehofer

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