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Arzneimittel und Therapie
Marktrücknahme von Cerivastatin: Ausgewogene Bewertung ist geboten
Nachdem jetzt von über 50 Todesfällen im Zusammenhang mit Cerivastatin gesprochen wird, erhebt sich die Frage, ob es Lücken in der Arzneimittelsicherheit gibt und ob sich diese Todesfälle hätten vermeiden lassen.
Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) macht in einer Stellungnahme darauf aufmerksam, dass die Problematik der Wechselwirkungen zwischen Cerivastatin und Gemfibrozil schon lange bekannt war und in der Produktinformation sowohl für Fachkreise als auch für Patienten dokumentiert ist. Es handele sich damit bei einer gleichzeitigen Verordnung der beiden inkompatiblen Wirkstoffe Cerivastatin und Gemfibrozil um einen Anwendungsfehler, der nicht dem Präparat bzw. dem Hersteller angelastet werden könne, so die DPhG.
"Mit der Zulassung geht man ein kalkuliertes Risiko ein"
Die DPhG rief zu einer maßvollen Beurteilung der Geschehnisse auf. Sie erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass die amerikanische Arzneimittelbehörde, die Food and Drug Administration (FDA), beispielsweise dem Präparat Sildenafil (Viagra) die Zulassung nicht entzogen habe, obwohl alleine im Zeitraum von März bis November 1998 weit mehr als 100 Todesfälle unter anderem im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Anwendung von Sildenafil und Nitraten dokumentiert seien.
Prof. Dr. Theo Dingermann, Präsident der DPhG, beurteilt die Häufigkeit der Nebenwirkungen von Cerivastatin in einem Gespräch mit der Deutschen Apotheker Zeitung differenziert: "Wenn man sich die verordneten Tagesdosen anschaut, die für einige dieser Statine im dreistelligen Millionenbereich liegen, und dann die Zahlen der tödlichen Nebenwirkungen oder Interaktionen sieht, die jetzt in der Größenordnung von 50 liegen, dann kann man leicht ableiten, dass diese Information vor der Zulassung praktisch nicht zur Verfügung stehen kann. Das heißt, mit der Zulassung eines neuen Wirkstoffs als Medikament geht man hier selbstverständlich ein kalkuliertes Risiko ein." Die Maßnahmen, um dieses Risiko möglichst klein zu halten, sind laut Dingermann eine sehr sorgfältige und zuverlässige Berichterstattung über Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Interaktionen.
Sind die anderen Statine auch gefährlich?
Auch andere Statine können in Verbindung mit Gemfibrozil zur Rhabdomyolyse führen. "Cerivastatin unterscheidet sich von den anderen Statinen dadurch, dass es um einiges potenter ist", meinte Dingermann, "unter Umständen könnte gerade diese besondere Potenz dieses Wirkstoffs zum Problem geworden sein. Aber prinzipiell ist es so, dass diese Gefahr für alle Statine gilt, dass es eigentlich ein Kunstfehler ist, wenn man gerade diese beiden Wirkstoffe sozusagen zusammen verordnet."
Ebenso sah der Altpräsident der DPhG, Prof. Dr. Dr. Ernst Mutschler, keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Cerivastatin und den anderem Statinen: "Der Wirkungsmechanismus aller Statine ist identisch: Sie hemmen das Schlüsselenzym der Cholesterolsynthese. Wenn sie einen qualitativ gleichen Wirkungsmechanismus haben, dann ist auch mit identischen Nebenwirkungen zu rechnen. Die Nebenwirkung Rhabdomyolyse ist nicht allein für Cerivastatin typisch, sondern wurde bei den anderen Statinen ebenfalls beobachtet. Das heißt, es scheint sich mehr um ein quantitatives und weniger um ein qualitatives Problem zu handeln." hel
Kastentext: Zitat
"Der Fall Cerivastatin verdeutlicht erneut die komplexe Natur hochpotenter Arzneimittel. Aus Sicht der DPhG ist es nicht nachvollziehbar, wie man politisch vordergründig bewährte Kontrollmechanismen bei der Abgabe von Arzneimitteln lockern und statt der persönlichen Abgabe durch eine Apothekerin - einen Apotheker - den anonymen und kaum kontrollierbaren Vertrieb durch das Internet zulassen will." Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG)
Kastentext: Zitat
"Sildenafil ist ein Beispiel dafür, dass trotz dokumentierter Todesfälle durch Arzneimittelinteraktionen Arzneimittel zugelassen werden, obwohl bei Sildenafil über 100 Todesfälle in einem relativ kurzen Zeitraum in einem Dreivierteljahr berichtet wurden." Prof. Dr. Theo Dingermann, Präsident der DPhG
Am 8. August 2001 hat die Firma Bayer den Cholesterinsenker Cerivastatin (Lipobay) vom Markt genommen, weil es unter der Behandlung mit Lipobay in sehr seltenen Fällen zu schwerwiegenden Nebenwirkungen an der Muskulatur gekommen war. Sehr wahrscheinlich wird diese Nebenwirkung durch die gleichzeitige Einnahme des Wirkstoffs Gemfibrozil (z. B. Gevilon) vermehrt ausgelöst. In Japan, wo Gemfibrozil nicht im Handel ist, bleibt Lipobay weiterhin erhältlich. Nach der Marktrücknahme des Lipidsenkers gehen nun die Diskussionen weiter. Über 50 Tote soll es weltweit im Zusammenhang mit Cerivastatin gegeben haben. Hat das System der Arzneimittelzulassung versagt, hat die Firma Bayer zu spät gehandelt, und welche Schuld tragen Ärzte und Apotheker?
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