Beschaffung von Corona-Masken

Schaden in Milliardenhöhe befürchtet: Spahn im Kreuzfeuer der Kritik

Berlin - 28.06.2024, 12:15 Uhr

Rät mittlerweile von Open-House-Verträgen ab: Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn. (Foto: IMAGO / Metodi Popow)

Rät mittlerweile von Open-House-Verträgen ab: Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn. (Foto: IMAGO / Metodi Popow)


Jens Spahn (CDU) sieht sich breiter Kritik ausgesetzt. Wegen seiner Maskenbeschaffungsstrategie drohen dem Bundesgesundheitsministerium Klagen in Milliardenhöhe. Die Union hält die angestoßene Debatte für ein „Scherbengericht“. Spahn sieht sich als Opfer von „Verschwörungstheorien“.

Auf Antrag der Ampelfraktionen hat der Bundestag am Donnerstag über die Maskeneinkäufe des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) während der Corona-Pandemie diskutiert. In einer aktuellen Stunde stand auch der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Rede und Antwort. Nach der Anfrage des FDP-Haushaltspolitikers Karsten Klein hatte das BMG angegeben, dass der Gesamtstreitwert der Klagen von Masken-Lieferanten 2,3 Milliarden Euro betrage. Inklusive Zinsen steht eine Summe von 3,5 Milliarden im Raum. Bereits am Mittwoch hatte der Haushaltsausschuss das Thema auf der Tagesordnung.

Das BMG hatte in der Pandemie Open-House-Verträge mit Masken-Lieferanten abgeschlossen, bei denen der Kauf zu stark überhöhten Preisen erfolgte. Im Nachhinein verweigerte das Ministerium viele der Zahlungen – Klagen der Händler folgten.

Mehrere Redner*innen verwiesen auf ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln vom 21. Juni dieses Jahres. Mit der Klage gegen einen Masken-Lieferanten hatte das BMG eigentlich die Rückzahlung von Kaufpreiszahlungen erreichen wollen – weil die Masken teilweise mangelhaft gewesen seien und es eine „versehentliche Überzahlung“ gegeben habe. Doch das Gericht störte sich an eine Vertragsklausel zum Liefertermin: werde dieser überschritten, sei der Vertrag ungültig. Diese Klausel erklärte das OLG Köln in zweiter Instanz für unwirksam. Damit ist auch die Frage, ob die besagten Masken möglicherweise fehlerhaft waren, nicht mehr von Bedeutung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Dennoch könnte es eine Signalwirkung für die knapp 100 weiteren Verfahren im Zusammenhang mit der Maskenbeschaffung haben.

Audresch: „Einer der größten Steuerverschwendungsskandale“

Andreas Audresch von den Grünen verdeutlichte die bekannten Zahlen zum Fall: 5,7 Milliarden Masken seien für insgesamt 6,4 Milliarden Euro beschafft worden. 1,2 Milliarden dieser Masken mussten 2023 vernichtet werden, 1,7 Milliarden seien zur Vernichtung vorgesehen. Lediglich 1,7 Milliarden Masken wurden tatsächlich getragen, so Audresch. Er spricht von „einem der größten Steuerverschwendungsskandale“.

Er warf auch einen Blick auf die bereits bekannten Masken-Skandale rund um die Schweizer Firma Emix: Unter Vermittlung der Tochter des ehemaligen CSU-Generalsekretärs Andrea Tandler und der CSU-Politikerin Monika Hohlmeier war ein umfangreicher Masken-Deal zustande gekommen. Tandler kassierte damals knapp 49 Millionen Euro Provision.

Auch gegen den CSU-Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein und den CSU-Landtagsabgeordneten Alfred Sauter wurde wegen Provisionszahlungen aus Maskendeals ermittelt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Nikolas Löbel gab an, Provisionen für Maskenlieferverträge in Höhe von 250.000 Euro kassiert zu haben.

Weiterhin sei völlig ungeklärt, so Audresch, warum das BMG nach dem 5. Mai 2020 weiter Maskenverträge abschloss – an diesem Tag war der Beschluss im Ministerium gefallen, die Beschaffung zu beenden. Dennoch folgten nach Aussage mehrerer Abgeordneter im Juni weitere Vertragsabschlüsse.

Piechotta: „Schmerzgrenze überschritten“

Scharfe Töne schlug auch die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta an. Sie prangerte die Betrugsfälle bei Corona-Testzentren an. Sie sprach von Schäden in Höhe von 1 Milliarde Euro, die durch Betrugsfälle bei Testzentren entstanden seien. Auch bei der Intensivbettenförderung und den Freihaltepauschalen vermutet sie Betrug und Verschwendung. „Die Schmerzgrenze der Steuerzahler ist überschritten.“ Deshalb müsse umfassend aufgeklärt werden, damit nicht der Eindruck entstehe, „die kleinen Diebe werden gehängt, die großen lässt man laufen.“

Sorge: „An Niederträchtigkeit nicht zu überbieten“

Für den gesundheitspolitischen Sprecher der Unionsfraktion Tino Sorge (CDU) sind die Aufklärungsbestrebungen insbesondere seitens der Grünen „an Niederträchtigkeit und Doppelmoral nicht zu überbieten“. Schließlich seien sie es gewesen, die damals maßgeblich für die Beschaffung von Masken eingetreten waren. Er sprach von einem „ultimativen Corona-Hufeisen“ von den Grünen bis zur AfD. In „verschwörerischem“ Unterton würden Narrative von „Querdenkern“ bedient, so Sorge.

Darüber hinaus sei die Summe des Streitwerts von 2,7 Milliarden irrelevant, meint Sorge, da sie keineswegs dem letztendlichen Schadenswert entspräche. Bereits jetzt sei dem Bund in den meisten der bisher abgeschlossenen Verfahren recht gegeben worden. Bisher gebe es keine Belege dafür, dass unzulässige Verträge abgeschlossen worden seien. Das Urteil des OLG Köln werde auch von Lauterbachs Ministerium angezweifelt, behauptet Sorge. Außerdem wurden damals alle getroffenen Maßnahmen von der SPD mitgetragen, betonte auch seine Parteikollegin Simone Borchardt.

Pilsinger: Vergleichsweise günstig

Mit Blick auf andere Länder versuchte Stefan Pilsinger (CSU) die Kosten der Maskenbeschaffung zu relativieren. In Großbritannien habe man sogar umgerechnet etwa 18 Milliarden Euro dafür ausgegeben. Zudem habe das BMG bereits acht Verfahren im Zusammenhang mit Corona-Masken mit einem Gesamtstreitwert von 50 Millionen Euro gewonnen. In lediglich zwei Fällen habe man verloren, so Pilsinger – der Streitwert habe hier nur bei 230.000 Euro gelegen. Er bezeichnete die aktuelle Debatte als „Scherbengericht“.

Lütke: BMG war völlig überfordert

Für die FDP meldete sich Kristine Lütke zu Wort. Rückblickend scheine das BMG unter Spahns Leitung zu Beginn der Pandemie „völlig überfordert gewesen zu sein.“ Sie rechnete die Dimension der möglichen Schäden vor: Der offene Streitwert sei in etwa so hoch wie die jüngsten Unwetterschäden in Bayern. Sie forderte eine sofortige Aufarbeitung der Pandemie-Maßnahmen im Rahmen einer Enquete-Kommission – ebenso wie die Gruppe der Linkspartei. 

Deren Abgeordnete Heidi Reichinnek (Linke) erinnerte daran, dass das BMG die Rechtsexperten von Ernst & Young beauftragt hatte, um den überteuerten Verträgen zu entschlüpfen – dafür seien weitere 42 Millionen Euro an das Unternehmen geflossen.

Spahn: „Maßlose Verschwörungstheorie“

Abschließend kam Jens Spahn zu Wort: Er erinnerte an die dramatischen Zustände zum Pandemiebeginn. Kliniken standen kurz davor, wegen Maskenmangels schließen zu müssen. Die Maßnahmen in dieser Zeit waren „teuer und chaotisch – wie überall“, sagt Spahn. Aus heutiger Sicht würde er auch von Open-House-Verträgen abraten. Darüber hinaus äußerte er kaum Selbstkritik, verteidigte sein Handeln: „Hätten wir zwei Milliarden für schlechte Masken zahlen sollen?“ Auch die Zahl der gekauften Masken hält er weiterhin für richtig. Es sei nicht absehbar gewesen, wie viele Infektionswellen folgen würden. Allein bei fünf Millionen Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen wären bei zwei Masken am Tag bereits über drei Milliarden Masken im Jahr verbraucht, rechnete Spahn vor.

Spahn hatte sich im Mai dafür ausgesprochen, das Geschehene aufzuarbeiten: „Das kann weder die rosarote Brille für die damalige Bundesregierung sein, noch ein Volksgerichtshof der Corona-Leugner“, sagte er damals. Die Grünen machten nun das „Geschäft der Corona-Leugner“, sagte er am Ende der aktuellen Stunde, das Ganze sei eine „maßlose Verschwörungstheorie“.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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