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Erhöhtes Risiko durch Chlormadinon und Nomegestrol
Beim ersten Mal: Kombinierte hormonale Kontrazeptiva mit geringstem Risiko verordnen
Das Sicherheitsprofil der „Pille“ ist immer wieder Gesprächsthema. Zuletzt wurde das Thromboserisiko unter ihrer Einnahme genutzt, um das Thromboserisiko einer AstraZeneca-Impfung ins Verhältnis zu setzen. Dieser Vergleich wurde kritisiert, jetzt gibt es ganz unabhängig von Corona neue Daten zum Thromboserisiko der kombinierten hormonalen Kontrazeptiva – und erstmals zu den Gestagen-Komponenten Chlormadinon und Nomegestrol.
Erst kürzlich widmete sich Stiftung Warentest der Frage, wie man sicher und „geeignet“ verhütet. Wie die DAZ berichtete, steht dabei vor allem das Risiko für Thrombosen im Zentrum, weshalb Stiftung Warentest nur Verhütungspräparate mit einem geringen Estrogenanteil und Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat als Gestagenkomponente als „geeignet“ bewertet.
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In der aktuellen Ausgabe des Bulletins zur Arzneimittelsicherheit, das vierteljährlich erscheint, geht es nun auch wieder – und zwar bereits im Editorial – um die sichere Anwendung von kombinierten hormonalen Kontrazeptiva (KHK). Sie sind in Deutschland die gängigste Verhütungsart und erhöhen zwar alle (gering) das Risiko für venöse Thromboembolien (VTE). Doch es ist auch schon länger bekannt, dass KHK der dritten und vierten Generation, mit den Gestagenen Desogestrel, Gestoden, Drospirenon oder Dienogest, ein höheres Risiko venöser Thromboembolien mit sich bringen. Der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Prof. Dr. Karl Broich und der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts Prof. Dr. Klaus Cichutek betonen im Editorial, dass dieses höhere Risiko wiederholt Gegenstand von europäischen und nationalen Verfahren der Risikobewertung ist. „Die unter anderem vom BfArM vertretene Position, insbesondere bei Erstverordnungen sowie für Frauen mit erhöhtem Grundrisiko nur noch KHK mit dem geringsten Risiko für venöse Thromboembolien zu verordnen“, fand in entsprechenden Verfahren jedoch keine Mehrheit, heißt es. Neue Warnhinweise und Risikominimierungsmaßnahmen zeigten dennoch Erfolg, weil die Verordnungen für KHK mit dem höchsten Risiko in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgingen. Allerdings stiegen dadurch nicht nur die Verordnungen der „Pillen“ mit dem geringsten VTE-Risiko, sondern auch die, deren Risiko noch unbekannt war.
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Zu solchen Pillen, deren VTE-Risiko bislang noch unbekannt war, gehören jene mit den Gestagen-Komponenten Chlormadinon oder Nomegestrel. Eine aktuelle vom BfArM geförderte Studie lege nun aber nahe, dass diese Präparate ein deutlich höheres VTE-Risiko mit sich bringen, als Pillen, die Levonorgestrel kombiniert mit niedrig dosiertem Ethinylestradiol enthalten. Die aktuelle Studie bestätige für letztere Präparate das niedrigste Risiko. Untersucht worden war dafür eine Kohorte von KHK-Neunutzerinnen zwischen 2005 und 2017.
Es würden nun noch ergänzende Daten zum VTE-Risiko von KHK mit Chlormadinon und Nomegestrol im Rahmen behördlich angeordneter Studien erwartet, heißt es.
Zwei bis sieben VTE pro 10.000 Mädchen wären vermeidbar
In der aktuellen Studie diente die pharmakoepidemiologische Forschungsdatenbank GePaRD (German Pharmacoepidemiological Research Database) als Datengrundlage, die Abrechnungsdaten von vier gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland enthält. Untersucht wurden 677.331 Mädchen und junge Frauen zwischen zehn und 19 Jahren mit mindestens einer Verordnung eines KHK, die aber zuvor ein Jahr lang keine KHK-Verschreibung erhalten hatten („Neunutzerinnen“). Im Durchschnitt waren die Mädchen 16 Jahre alt.
Nur 39 Prozent der KHK-Neuverordnungen zwischen 2005 und 2017 entfielen insgesamt auf Präparate der Risikoklasse 1 (am wenigsten VTE), während 41 Prozent der jungen Frauen ein Präparat aus Risikoklasse 3 (am meisten VTE) erhielten und 15 Prozent ein Präparat der Kategorie „Risiko unbekannt“. Allerdings heißt es auch: „Der Anteil der Neuverordnungen aus Risikoklasse 1 ist von 32 Prozent in den Jahren 2005 bis 2007 auf 54 Prozent in den Jahren 2015 bis 2017 angestiegen, während die Neuverordnungen aus Risikoklasse 3 im Zeitraum 2005 bis 2007 (46%) verglichen mit dem Zeitraum 2015 bis 2017 (33%) sanken.“
Die Zahl der Verordnungen wird noch weiter aufgeschlüsselt. Mit 96.618 Neuverordnungen (14%) sei die Kombination von Chlormadinon und Ethinylestradiol das häufigste KHK der Risikoklasse „unbekannt“ gewesen. Die Kombination Nomegestrol und Estradiol wurde dagegen selten als erstes KHK verschrieben.
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Interessant ist das nun, weil in der aktuellen Studie die VTE-Inzidenz für Präparate mit Chlormadinon und Nomegestrol im Bereich von neun bis zwölf Ereignissen pro 10.000 Frauen und Jahr lag – wodurch sie der Risikogruppe 3 zuzuordnen sind. Dieses und die anderen neuen Ergebnisse werden im Bulletin in einer Tabelle den bisher bekannten Daten des Pharmakovigilanzausschusses der EMA von 2013 gegenübergestellt:
Risikoklasse | Progestagen | VTE pro Jahr gemäß PRAC | In aktueller Studie beobachtete Inzidenz in den ersten 12 Monaten | |
---|---|---|---|---|
1 | Levonorgestrel | 5–7 von 10.000 | wie erwartet | |
Norgestimat | wie erwartet | |||
Norethisteron | höher* | |||
2 | Etonogestrel | 6–12 von 10.000 | wie erwartet | |
3 | Desogestrel | 9–12 von 10.000 | wie erwartet | |
Gestoden | höher** | |||
Drospirenon | wie erwartet | |||
Dienogest | 8–11 von 10.000 | wie erwartet | ||
unbekannt | Chlormadinon | unbekannt | wie Risikoklasse 3 | |
Nomegestrol | ||||
Quelle: Bulletin zur Arzneimittelsicherheit Ausgabe 2 – Juni 2021 * basierend auf einem Fall bei 818 Neunutzerinnen ** basierend auf zwei Fällen bei 975 Neunutzerinnen |
Als Referenz dient immer Levonorgestrel mit niedrig dosiertem Ethinylestradiol. Das bedeutet, dass weniger als 50 µg Ethinylestradiol enthalten sind. Hier zeigte sich, dass auch bezüglich der Estradiol-Komponente das VTE-Risiko noch weiter variieren kann:
Im Vergleich zu levonorgestrelhaltigen KHK mit 30 µg Ethinylestradiol hatten Neunutzerinnen von levonorgestrelhaltigen KHK mit mehr als 30 µg Ethinylestradiol ein zweifach erhöhtes Risiko; Neunutzerinnen von levonorgestrelhaltigen KHK mit weniger als 30 µg hatten hingegen ein vergleichbares Risiko.
Wie Komorbiditäten sich auf das VTE-Risiko auswirken, wurde in der Studie ebenfalls untersucht, die Ergebnisse sollen aber erst in einer geplanten wissenschaftlichen Publikation dargestellt werden. Außerdem müsse beachtet werden, dass nur Mädchen und junge Frauen bis zum Alter von 19 Jahren in die Studie einbezogen wurden, da KHK in dem untersuchten Zeitraum nur bis zum 20. Geburtstag erstattungsfähig waren. Das VTE-Risiko nehme mit dem Alter zu, jedoch sei abzusehen, dass die relativen Risiken in den Altersschichten vergleichbar sind.
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Abschließend heißt es im Bulletin, dass VTE insbesondere bei jungen Frauen zwar sehr seltene Ereignisse sind. Dennoch sei davon auszugehen, dass es durch die Verschreibung von KHK aus Risikoklasse 3 statt aus Risikoklasse 1 jedes Jahr zu zwei bis sieben zusätzlichen VTE pro 10.000 Mädchen beziehungsweise jungen Frauen kommt. Anwenderinnen sollten also entsprechend aufgeklärt werden.
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