- DAZ.online
- News
- Apotheke
- Barmer-Projekt soll ...
Sektorenübergreifende Arzneimitteltherapie
Barmer-Projekt soll Informationslücken schließen
Dass beim Übergang vom ambulanten in den stationären Sektor und zurück häufig wichtige Informationen zur Medikation versickern, ist keine neue Erkenntnis. Ebenso wenig, dass dies für die Patienten höchst riskant sein kann. Dennoch: Wesentliche Verbesserungen gab es in den vergangenen Jahren nicht. Das will die Barmer nun zusammen mit vielen Partnern – darunter die ADKA – mit dem vom Innovationsfonds geförderten Projekt TOP („Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit“) ändern.
Rund 45 Prozent der stationär behandelten Patienten nehmen bereits vor der Krankenhausaufnahme fünf oder mehr Arzneimitteln ein. 62 Prozent von ihnen erhalten ihre Medikation von mindestens drei niedergelassenen Ärzten. Doch wie gut wissen die Klinikärzte tatsächlich über die Arzneimittel dieser Patienten Bescheid? Seit Oktober 2016 haben gesetzlich Krankenversicherte, die dauerhaft drei oder mehr Arzneimittel verordnet bekommen, einen Anspruch auf einen Medikationsplan – hilft das möglicherweise bei der Information?
Laut Barmer-Arzneimittelreport 2020, der die sektorenübergreifende Arzneimitteltherapie in den Fokus nimmt, trifft das nur sehr bedingt zu. Für den am heutigen Donnerstag vorgestellten Report wurden unter anderem knapp 2.900 versicherte Polypharmazie-Patienten und 150 Hausärzte befragt. Es zeigte sich: Nur 29 Prozent der Patienten hatten bei der Einweisung in die Klinik einen vollständigen Bundeseinheitlichen Medikationsplan samt QR-Code, 17 Prozent hatten gar keinen und bei jedem dritten war der Plan unvollständig. Hinzu kommt: Selbst wenn ein Medikationsplan existiert, heißt dies noch lange nicht, dass ein Patient diesen bei seiner Krankenhauseinweisung zur Hand hat. Mehr als die Hälfte aller Patienten konnte laut Barmer bei Krankenhausaufnahme keine Unterlagen zur medizinischen Vorgeschichte von ihrem niedergelassenen Arzt vorlegen – und das, obwohl zwei von drei Patienten von einem niedergelassenen Arzt eingewiesen worden waren.
Barmer-Vorstandschef Professor Christoph Straub betonte bei der Vorstellung des Reports, dass diese Informationslücken an den Sektorengrenzen seit Jahrzehnten bekannt seien und auch vom Gesundheitssachverständigenrat schon lange angemahnt würden. Und obwohl es den Anspruch auf den Medikationsplan gibt, bestünden bei der Krankenhausaufnahme weiterhin „gefährliche Informationsdefizite“ – und das könne schlimmstenfalls lebensbedrohliche Folgen haben. Für Straub ist dies „absolut unverständlich“.
Medikationsplan: Für Kliniken nicht vorgeschrieben
Auch bei der Entlassung aus den Krankenhäusern mangele es häufig an ausreichenden Informationen für die behandelnden Ärzte, erklärte Professor Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken und einer der Autoren des Barmer-Arzneimittelreports. Jeder dritte in einem Krankenhaus behandelte Patient mit geänderter Therapie habe dort keinen aktualisierten Medikationsplan erhalten. Viele Befragte hätten angegeben, dass ihnen die neue Therapie vom Arzt nicht erklärt worden sei. „Eine Arzneitherapie kann nur erfolgreich sein, wenn der Patient sie versteht und mitträgt. Dazu muss er sie entsprechend erklärt bekommen“, so Grandt. Ein Problem sei, dass der Bundeseinheitliche Medikationsplan für Kliniken nicht vorgeschrieben sei – genau das wäre aber sinnvoll für sektorenübergreifenden Informationsfluss.
Alle Daten, elektronische Unterstützung und Kooperation von Arzt und Apotheker
Ursache der Informationsdefizite sei weniger der einzelne Arzt, als vielmehr der unzureichend organisierte und nicht adäquat digital unterstützte Prozess einer sektorenübergreifenden Behandlung, erklärte Straub. Entscheidend sei daher, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, um der Ärzteschaft die Arbeit zu erleichtern und Risiken für Patienten zu minimieren. Daher habe die Barmer mit zahlreichen Partnern – darunter der Bundesverband der Krankenhausapotheker (ADKA) – das Innovationsfondsprojekt TOP ins Leben gerufen, das im Oktober starten soll.
TOP steht für „Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit“ und soll den behandelnden Ärzten aus Krankenkassendaten alle behandlungsrelevanten Informationen zur Verfügung stellen, sofern der Patient sein Einverständnis gegeben hat. Dazu gehören Vorerkrankungen und eine Liste aller verordneten Arzneimittel. Das ganze geschieht auf digitalem Weg, was die Fehleranfälligkeit reduzieren soll. Dabei stützen sich die Barmer und ihre Partnern auf die existierende Telematikinfrastruktur – der elektronische Medikationsplan gehört unabdingbar zum Projekt dazu, wie Grandt betonte. Die Patienten können jederzeit eigenständig ihre Daten und ihren Medikationsplan über eine App abrufen, ebenso Hinweise zu möglichen Wechsel- und Nebenwirkungen.
Ein weiterer wegweisender Aspekt von TOP ist laut Grandt die Intensivierung der Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker – und zwar mit den Krankenhausapothekern ebenso wie mit den Apothekern vor Ort. Sie werde strukturiert und elektronisch unterstützt. In vielen Ländern sei dies bereits üblich und es gebe eine belastbare wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen dieser Zusammenarbeit – nur hierzulande werde sie noch nicht richtig genutzt. „Kombiniert man elektronische und pharmazeutische Unterstützung, kann das Risiko vermeidbarer Arzneimittelnebenwirkungen um 62 Prozent reduziert werden“, heißt es im Report.
TOP ist auf vier Jahre angelegt – und Ziel der Barmer ist, es perspektivisch in der Fläche zum Einsatz zu bringen. Mehr zum Projekt lesen Sie in einem vom ADKA-Präsidenten Professor Frank Dörje mitverfassten Beitrag im aktuellen Barmer Report (ab S. 162).
1 Kommentar
Barmer Projekte sind uns leidlich bekannt.
von Heiko Barz am 14.08.2020 um 10:52 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.