Interview mit AOK-Chef Martin Litsch

„Unsere Ausschreibungen werden verteufelt“

Berlin - 20.09.2016, 13:30 Uhr

Kompromiss nicht erwünscht: Martin Litsch, Chef des AOK-Bundesverbandes, will keine Rabattverträge für Zytostatika und beharrt auf seinem Ausschreibungsmodell. (Foto:dpa)

Kompromiss nicht erwünscht: Martin Litsch, Chef des AOK-Bundesverbandes, will keine Rabattverträge für Zytostatika und beharrt auf seinem Ausschreibungsmodell. (Foto:dpa)


Bei Rabattverträgen würden wir nicht genug einsparen

DAZ.online: Bei allen Ihren Argumenten geht es nur um das Eine: Einsparungen.

Litsch: Das ist uns auch wichtig. Durch die Umsetzung von herstellerbezogenen Rabattverträgen können die Wirtschaftlichkeitsreserven, die eine Ausschreibung hebt, nicht annähernd erreicht werden. Preisreduktionen durch Einkaufsvorteile der Apotheker bei den Herstellern generischer Wirkstoffe würde man damit zwar auch erreichen. Außen vor blieben jedoch sowohl die Einsparpotenziale bei den Kosten der Zubereitung in der Apotheke als auch die Vorteile durch eine effizientere Verwertung der Arzneimittel.

DAZ.online: Aber es geht ja auch um die Versorgungsqualität. Michael Hennrich beispielsweise sorgt sich um die freie Apothekenwahl…

Litsch: Diese Diskussion führt komplett in die Irre. Die Patientenwahlfreiheit spielt in der derzeitigen Versorgungswirklichkeit überhaupt keine Rolle, denn die Wahl der Apotheke wird durch die Arztpraxis getroffen. Um dies zu ermöglichen, wurde 1999 bestimmt, dass es eine Ausnahme vom Abspracheverbot („Zuweisungsverbot“) zwischen Apotheken und Ärzten bei der Abgabe von Zytostatika-Zubereitungen geben soll. Der Gesetzgeber verwies damals zum einen auf die ‚besondere personelle, räumliche und apparative Ausstattung, die nicht in jeder Apotheke zur Verfügung steht‘. Zum anderen erkannte er, dass solche Zubereitungen grundsätzlich nicht den Patienten ausgehändigt werden sollen.

DAZ.online: Außerdem dürften Sie sich in dieser Frage ja durch das Urteil des Bundessozialgerichtes bestätigt fühlen…

Litsch: Ja. Das BSG hat in seiner Urteilsbegründung im vergangenen Jahr zur ‚freien Wahl der Apotheke durch den Versicherten‘ klargestellt, dass aufgrund der gesetzlich vorgesehenen Direktbelieferung der Arztpraxis ein berechtigtes Interesse der Versicherten an der freien Apothekenwahl gar nicht erkennbar sei. Daran wird sich auch nach Einführung der Rabattverträge nichts ändern.

DAZ.online: Sie sehen also nicht ein, dass es mit der derzeitigen Ausschreibungspraxis Versorgungsprobleme gibt und dass man nachbessern sollte?

Litsch: Nein. Denn in Wirklichkeit geht es darum, die Wahlfreiheit der Ärzte und Apotheken zu erhalten. Bestehende Lieferbeziehungen sollen geschützt werden. Darum werden die Ausschreibungen der Krankenkassen verteufelt. Mit der Diskussion über die angeblich fehlenden Patientenrechte wird vom eigentlichen Problem der mangelnden Transparenz und Wirtschaftlichkeit der aktuellen Versorgung abgelenkt. Herstellerbezogene Rabattverträge sind hierfür keine Lösung.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

es zählt nur die Kohle

von Karl Friedrich Müller am 20.09.2016 um 14:57 Uhr

Die Gier der Kassen kennt keine Grenzen. Dafür wird das Recht und das Wohl der Patienten missachtet (der im Gesundheitswesen immer weniger zählt).
Für Praxen, Patienten und Apotheken wird alles zudem umständlicher und aufwändiger.
Wie lange dauert es noch, bis die Kassen die normale Belieferung von Rezepten ausschreiben?
keine 1,77€ Rabatt mehr von den Apotheken pro Packung, sondern 4 oder 5 €?
Dafür "exklusiv"?
Da wird dann die Belieferung von Diabetikern ausgeschrieben, oder Hypertonikern.
Beratung egal (nur noch auf dem Papier), Hauptsache die Kohle stimmt.

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