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Herausforderung Pharmazeutische Dienst­leistungen

Digitales Frühjahrsseminar des VdPP

Das digitale Frühjahrsseminar des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VDPP) am 11. März 2021 stand unter dem Motto „Pharmazeutische Dienstleistungen. Was Apotheken leisten können und sollen“. Auf der Referentenliste standen keine Vertreter des Deutschen Apothekerverbands (DAV) und des GKV-Spitzenverbands, die derzeit die Rahmenbedingungen zu den pharmazeutischen Dienstleistungen verhandeln. Vielmehr wurde das Thema aus Sicht der Apotheker- und Patientenvertreterseite beleuchtet.

Erfahrungen aus Wissenschaft und Praxis

Susanne Erzkamp, AMTS-Managerin und Apothekerin, berichtete über die große Diskrepanz in der Therapietreue zwischen Patientinnen und Patienten, die bei einer Polymedikation mit einem Medikationsplan begleitet werden, und denen, die ohne Betreuung bleiben. Apotheken böten sich die folgenden Möglichkeiten pharmazeutischer Dienstleistungen: Erstellung eines Medikationsplans, regelmäßige Updates bei Änderungen in der Verordnung, dabei auch alle Medikamente (Selbstmedikation und Verordnung) dokumentieren und beurteilen, die die Patienten einnehmen; Interaktionschecks; Stellen und Blistern der Medikamente; Betreuung der Patienten in der Apotheke und bei Hausbesuchen; Beratung zur Raucherentwöhnung, zur Ernährung, Erstellen von Diätplänen; Schulung bei Selbstkontrolle durch die Patienten, wie Blutzucker, HbA1c, Cholesterin, BMI etc. und aktuell: Schnelltestung auf SARS-CoV-2; Folgeverordnungen und Dosisanpassungen. Besonders wichtig sei dabei, dass das Medika­tionsmanagement von der Apotheke geleistet wird.

Wie weit man mit pharm. Dienstleistungen kommen kann, zeigen Studien aus Kanada. Nach einer Grippeimpfung in Apotheken sagten dort 28 % der Geimpften, dass sie sich ohne die Impfmöglichkeit in der Apotheke nicht hätten impfen lassen. Es zeige sich zudem ein Benefit in Sachen Verbesserung der Therapiequalität; Zufriedenheit und Vertrauen der Patienten in die Beratung, was eine Zunahme der Adhärenz der Patienten zur Folge habe; eine Reduk­tion von Polymedikation und falscher Einnahme; eine leitliniengerechte Versorgung und Kosteneffizienz.

Für die praktische Umsetzung sei es notwendig, innerhalb der Apotheke das Personal weiterzubilden und geeignete Räumlichkeiten zu schaffen. Zudem sollte mit den anderen Professionen im Gesundheitswesen zusammengearbeitet werden. Und letztlich müssten die Patienten pharmazeutische Dienstleistungen akzeptieren, und die Finanzierung der Leistungen müsse sichergestellt sein. Zum Abschluss betonte Erzkamp, dass die Patienten und ihre Therapien im Fokus aller Maßnahmen der Apotheken stehen sollen.

Die Perspektive der Patientenvertretung

Mit Carola Sraier, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen (BAGP) und tätig als Beraterin von Patientinnen und Patienten im Gesundheitsladen München, hatte die Patientenseite eine glühende Verfechterin für Leistungen, die über den reinen Verkauf eines Arzneimittels hinausgehen. Nach ihrer Meinung sind aus Patientensicht folgende Anforderungen an pharm. Dienstleistungen zu stellen: Die Information in der Apotheke soll evidenzbasiert und unabhängig sein. Sie soll den Patienten verständlich in Wort und Schriftform zur Verfügung gestellt werden. Für eine notwendige Vertraulichkeit, auch hinsichtlich des Datenschutzes, in der Apotheke und im Netz muss gesorgt sein. Ein niedrigschwelliger Zugang vor allem für vulnerable Gruppen muss gewährleistet sein. Anlass für eine pharm. Dienstleistung kann eine einfache, unabhängige Beratung oder Information zu Nebenwirkungen und Wechselwirkungen eines Arzneimittels sein, darüber hinaus aber auch eine Zweitmeinung zu einer verordneten Therapie oder ein Verdacht auf einen Behandlungsfehler. Folgende Fragen sollten beantwortet werden: Was sind die politisch vorgegebenen Ziele der neuen Leistungen; was sind die wesentlichsten Aufgaben (Therapiesicherheit, Therapietreue, Versorgungsqualität); wie wird die Finanzierung geregelt; wer sind die Auftraggeber und wer die Nutzer der Leistungen?

Zum Schluss ihres Vortrags wagte die Referentin noch einen Ausblick in die Zukunft. Auf pharmazeutische Dienstleistungen sollte es ihrer Meinung nach einen gesetzlichen Anspruch unabhängig vom Versicherungsstatus geben. Außerdem wäre eine Einbindung der diese Dienstleistungen anbietenden Apotheken in bestehende Strukturen wie Quartiersmanagement oder regionale Gesundheitszentren erstrebenswert.

Mehrwert für Patienten

Dr. Christiane Eckert-Lill, Geschäftsführerin Pharmazie der ABDA, führte in ihrem Vortrag aus, warum pharm. Dienstleistungen in der Apotheke zu einem Mehrwert für Patienten führen. Schon jetzt, so Dr. Eckert-Lill, erbringen Apothekerinnen und Apotheker Dienstleistungen, die über die Anforderungen der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen. Internationale Erfahrungen und Studien/Untersuchungen in Deutschland, z. B. Pharm-CHF-Studie, ARMIN oder Verbesserung von Inhalationstechniken und Blutzuckerkontrollen, zeigten diese Bedeutung auf. Die Referentin betonte, dass pharm. DL zum Teil sehr aufwendig sind und die Krankenkassen nicht bereit seien, sie anzuerkennen und zu honorieren. Mit der Veränderung des SGB V habe es eine neue Rechtsgrundlage gegeben. Diese müsse nun umgesetzt werden.

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Pharmazeutische Dienstleistungen haben einen Mehrwert für Patienten. Die Therapietreue steigt mit der Aufklärung über notwendige Medikamente.

Das verabschiedete Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (§ 129 ABS. 5e SGB V) sieht schon viele pharm. Dienstleistungen vor, die zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimitteltherapie führen sollen. Es berücksichtigt auch Maßnahmen der Prävention und die Pro­blematik der pharmazeutischen Betreuung von Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte. Die Verhandlungen über die Dienstleistungen, Anspruchsvoraussetzungen, Vergütung und Abrechnungsablauf zwischen GKV und DAV müssen aber erst bis 30. Juni 2021 abgeschlossen sein. Der tatsächliche Start ist für den 1. Januar 2022 angesetzt. Schon jetzt sei es aber wichtig, dass sich Apotheken vorbereiten, z. B. durch Zusatzqualifizierung, Planung von Betriebsabläufen und Beschaffung von Infomaterial.

Dr. Eckert-Lill zeigte etliche Auswahlkriterien auf, die wichtig sind für die Apothekerschaft bei den anstehenden Verhandlungen. Dabei spiele es eine große Rolle, dass nur Apotheken – und nicht andere Berufsgruppen außerhalb – diese pharm. Dienstleistungen erbringen dürften. Ebenso sei es notwendig, dass Apotheker diese selbst veranlassen können und nicht nur durch Arzt/Verordner oder Krankenkassen beauftragt werden. Ferner seien natürlich die eindeutigen Abrechnungsmöglichkeiten der erbrachten Leistungen von Bedeutung. Anstehende Aufgaben seien die schrittweise Erarbeitung eines Kataloges. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass sie zu Prävention und Früherkennung von Volkskrankheiten, Verminderung von Risiken durch (Poly-)Medikation und zu einer besseren Therapietreue führten. Als Beispiele für pharm. Dienstleistungen nannte Dr. Eckert-Lill die Medikationsanalyse und die Wichtigkeit der Begleitung von Patienten bei neuer Medikation und von chronisch und schwerst Kranken.

Diskussion und Ausblick

Zur Bewertung von pharmazeutischen Dienstleistungen braucht es eine Einschätzung, welchen Mehrwert diese Leistungen für Patienten haben können. Mit dieser Aussage eröffnete ­Florian Schulze die Diskussion.

Die vorhandenen wissenschaftlichen Untersuchungen werden nicht wert­geschätzt, und somit fließen diese Erkenntnisse zu wenig in die Verhandlungen ein, sagte Apothekenleiter und Wissenschaftler Dr. Olaf Rose, Münster. Auf lange Sicht sei eine Änderung der Approbationsordnung notwendig, damit zukünftige Pharmazeutengenerationen mit dem Schwerpunkt Arzneitherapiebegleitung ausgebildet werden.

Für das Problem der Nicht-Zusammenarbeit von Apothekern und Ärzten gab es keine Lösungsvorschläge. Punktuell gibt es gute Kooperationen, aber andererseits sprechen sich Medizinfunk­tionäre z. B. strikt gegen die Erlaubnis zum Impfen in Apotheken aus.

Die besten Ansätze gibt es zurzeit im Bereich Pflege- und Altersheime – ­Medikationsanalysen führen hier zu deutlicher Therapie-Verbesserung vor allem von multimorbiden Patienten.

Hörte man der Diskussion genau zu, vernahm man die Euphorie, die im Anfang einer neuen Zeit steckt. Es blieb die Frage offen, ob „Pharmazeutische Dienstleistungen“ das Potenzial zum Gamechanger für einen neuen Typ von Apotheken haben. Die Diskussion machte deutlich, wer bei dem „Projekt“ pharmazeutische Dienstleistungen zusammen am Tisch sitzt:

  • Die Visionäre, die aus den heutigen Defiziten den Aufbruch vorbereiten für eine Pharmazie, die nah am Patienten ist, das Wissen aus dem Studium kombiniert mit dem Wissen der Ärzte, und medikamentöse Therapie sicherer macht.
  • Die Standesorganisation, die mit Routine verhandelt, im Rücken die vielen Mitglieder, von denen die einen die Rakete in die Neuzeit zünden wollen und die anderen die Heringe fest in den Boden schlagen, damit das Jetzt erhalten bleibt.
  • Die Krankenkassen, die von Anfang an dagegen waren und die in erster ­Linie dann einen Mehrwert in pharm. Dienstleistungen sehen, wenn sie damit für die eigene Kasse Werbung machen können.
  • Die Warner vor dem, was da kommen könnte: Finanzieller Missbrauch! Bezahlbarkeit nicht aus dem Auge verlieren! Sind die Studien wirklich so gut, wie gesagt wird? Datenschutz beachten!

Vielleicht kommen die Veränderungen notgedrungen. Die Vorlaufzeit für eine gute Planung darf man nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wo in Zukunft Ärzte fehlen, muss die Arbeit anders verteilt werden. Jahrhunderte alte Dünkel-Politik hilft da niemandem. Medizin, Pharmazie und Pflege müssen an einem Strang ziehen. |

Gudrun Hahn, Thomas Hammer, Dorothea Hofferberth, Heidi Sauer

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