Aus den Ländern

Der Countdown läuft ...

Ab 2022 werden Stationsapotheker in Niedersächsischen Krankenhäusern zur Pflicht

In etwas mehr als einem halben Jahr verpflichtet das Gesetz alle Kliniken in Niedersachsen, Stationsapotheker einzustellen. Mit dem Gesetz will der Landtag die Patientensicherheit erhöhen. Nachdem sich viele Kliniken zuerst dagegen gewehrt hatten, in neue Fachkräfte zu investieren, steigt jetzt die Zahl der ausgeschriebenen Stellen. Zu Beginn dürften auch viele Jungapprobierte die Posten auf Station übernehmen. Die DAZ hat nachge­sehen, wie viele Apotheker bereits eingestellt wurden, welche Probleme sich bei der Umsetzung ergeben und wie die Apotheker auf Station bei den Ärzten ankommen. | Von Anna Schlattl

Auch während der Pandemie passieren in deutschen Kliniken täglich vermeidbare Medikationsfehler, infolge derer Patienten geschädigt werden. Apotheker auf Station überprüfen alles rund um die Arzneimittel der Patienten, wodurch sie den Medikations­prozess sicherer gestalten. Zum Deutschen Apothekertag 2019 reichten die baden-württembergische und die Bayerische Landesapothekerkammer sowie der Bayerische Apothekerverband einen Leitantrag ein, in dem die Antragsteller fordern, Stationsapotheker bundesweit verpflichtend einzuführen. Obwohl der Antrag damals angenommen wurde, blieben weitere politische Konsequenzen bisher aus. In einem Bundesland unterstützt der Gesetzgeber gezielt Pharmazeutinnen und Pharmazeuten in der stationären Versorgung: Ab dem 1. Januar 2022 sind nach § 18 Niedersächsisches Krankenhausgesetz (NKHG) Stationsapotheker für alle Kliniken im Nordwesten Deutschlands Pflicht. Nicht bei allen Beteiligten stieß dieses Gesetz auf Gegenliebe. Während das Vorhaben insbesondere Klinikapotheker deutschlandweit feierten, äußerte die Niedersächsische Krankenhaus­gesellschaft (NKG) Einwände, wie die Stellen finanziert werden sollen und wo das entsprechende Personal herzunehmen sei. Gerade die letzte Frage stellen sich auch die mit Nachwuchssorgen gebeutelten Offizinapotheker. Durch die SARS-CoV-2-Pandemie rutschte das Thema zwar fürs Erste in den Hintergrund – doch nun sind es weniger als neun Monate, bis die Anstellung eines Apothekers auf Station Pflicht ist. Der Countdown läuft also.

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Berufseinsteiger sind gefragt

Noch liegen keine Zahlen dazu vor, wie viele Stationsapotheker bereits eingestellt wurden. Allerdings plant die Niedersächsische Krankenhaus­gesellschaft, noch im Laufe des Jahres eine Umfrage zu starten, um sich ein Bild über die aktuelle Lage zu verschaffen. In den Aussagen der NKG schwingt Skepsis gegenüber der Tat­sache mit, ob ein flächendeckender Einsatz von Stationsapothekern bis zum Ende der Frist am 31. Dezember 2021 erfolgen kann. Die niedersächsische Apothekerkammer zeigt sich optimistischer: Die Vorstellung, als Stationsapotheker zu arbeiten, sei sehr attraktiv beim pharmazeutischen Nachwuchs. Viele Studierende orientieren sich schon frühzeitig in Richtung Stationsapotheker, demzufolge ist die Nachfrage an Praktikumsstellen im Krankenhaus stark gestiegen. Die Apothekerkammer setzt also auf Berufsanfänger. Ob und wie sich das auf Vor-Ort-Apotheken auswirkt, wird sich wohl erst im Laufe der nächsten ein bis zwei Jahre klären, wenn die Kliniken das Gesetz vollständig um­gesetzt haben.

Um den Fachkenntnissen gerecht zu werden, müssen Stationsapotheker die Gebietsweiterbildung für Klinische Pharmazie abgeschlossen oder begonnen haben. Die Weiterbildung richtet sich an alle klinisch tätigen Pharmazeuten in Deutschland. Dabei werden Grundlagen für Krankenhausapotheker vermittelt. Einen Schwerpunkt auf Stationsarbeit, Arzneimittelherstellung oder Logistik zu setzen, ist nicht möglich. Diese Weiterbildung allein reicht nicht aus, um sich für die Arbeit auf Station zu wappnen. Um diese Lücke zu schließen,implementierte die LAK Niedersachsen in Zusammenarbeit mit der Bundesapothekerkammer die Bereichsweiterbildung „Medika­tionsmanagement im Krankenhaus”. Aufgrund fehlender zeitlicher und finanzieller Valenzen wird es nur einem Teil der angehenden Stationsapotheker möglich sein, beide Weiterbildungen parallel zu absolvieren. Bis „frische” Stationsapotheker tatsächlich die Bereichsweiterbildung Medikationsmanagement abschließen können, werden sie voraussichtlich schon mehrere Jahre auf der Station gearbeitet haben. „Kleine”, abendliche Fortbildungen für spezielle Themen, wie sie für Offizin-Apotheker angeboten werden, fehlen bislang.

Neulinge fühlen sich auf Station oft überfordert und verloren. Der Druck, alles wissen und beantworten können zu müssen, ist groß. Nach wie vor besteht der größte Nutzen für jeden, der in die Stationsarbeit einsteigt, aus routinierteren Kollegen, gleich ob pharmazeutisch oder ärztlich. Denn die im Pharmaziestudium und in Weiterbildungen erlernte Theorie ist nicht immer praxisnah. Unterstützende, erfahrene Kollegen, ob vor Ort oder anderswo, sind der Schlüssel zum Erfolg der Stationsarbeit.

Mehr Patientensicherheit nach Mordserie

Der Niedersächsische Landtag verabschiedete im Oktober 2018 das Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes (NKHG), um die Patientensicherheit zu erhöhen. Das Gesetz ist eine Reaktion des Landtags auf die Mordserie von Niels Högel. Der ehemalige Krankenpfleger Högel applizierte 2000 bis 2005 in Kliniken in Delmenhorst und Oldenburg tödliche Dosen verschiedener Arzneistoffe, z. B. des Antiarrhytmikums Ajmalin. Nach Aussagen der Staatsanwältin habe Högel dies aus Langeweile getan, und um Kollegen zu demonstrieren, wie gut er reanimieren kann. Die Richter des Oldenburger Landgerichts verurteilten Högel im Juni 2019 für 85 Morde zum zweiten Mal zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Insgesamt leiteten die Behörden in 332 Fällen Ermittlungsverfahren ein. Die Mordserie ist die vermutlich größte der bundesdeutschen Kriminalgeschichte. Neben der Einführung von Stationsapothekern nach § 19 NKHG müssen nach § 18 ­Arzneimittelkommissionen gebildet werden. Die Kommission schreibt die Arzneimittellisten der Kliniken fort und berät zu Fragen der Arzneimittelversorgung und –Sicherheit. Sie tagt mindestens zweimal im Jahr.

Auf welchen Stationen arbeiten Apotheker?

In einem früheren Gesetzesentwurf sah der Gesetzgeber vor, pro 300 Betten einen Stationsapotheker zu beschäf­tigen. Nach Kritik der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft fehlt diese Formulierung im verabschiedeten Gesetzestext. Nach Aussage der Landesapothekerkammer sei dennoch „klar festgelegt”, dass die Größe des Hauses und die Fachrichtungen den Umfang der pharmazeutischen Sta­tionsarbeit und den genauen Einsatzort bestimmen. § 18 NKHG beschreibt die Notwendigkeit eines Stationsapothekers insbesondere auf Stationen, bei denen „die Arzneimittelversorgung anzupassen ist, verschiedene Infusionen nebeneinander oder nacheinander angewendet werden, mehrere Medi­kamente nebeneinander eingesetzt werden oder neuartige Behandlungen stattfinden“. Dies betrifft fast jede Station und nahezu alle Fachrichtungen. Am höchsten ist der Bedarf auf Intensivstationen und bei den chirurgischen Disziplinen. Doch sieht man sich in der Welt der Stationsapotheker um, taucht jede Fachrichtung als Einsatzort auf. Primär werden vermutlich der Wunsch und die Offenheit eines Chefarztes darüber entscheiden, ob auf einer Station mit einem Apotheker zusammengearbeitet wird.

Wie kann man also bestimmen, wie viele Apotheker eingestellt werden? Laut der LAK steigt die Akzeptanz gegenüber dem Gesetz unter den Kliniken spürbar. Dies zeige sich an einer höheren Anzahl an Ausschreibungen für Stationsapotheker. Dies könnte jedoch auch dem Umstand geschuldet sein, dass die Frist bald abgelaufen ist, bis zu der Stations­apotheker zu beschäftigen sind.

Wer investiert in neue Stellen?

Der finanzielle Aspekt wird mitentscheidend sein, wie viele Stationsapotheker anfangs beschäftigt werden. Ein zentraler Kritikpunkt der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft dreht sich um die Refinanzierung der Stellen. Für die Mehrkosten, die mit Stationsapothekern einhergehen, stellen weder Land noch Bund finanzielle Mittel zur Verfügung. Klar und deutlich äußerten sich auch die Krankenkassen in Niedersachsen: Sie werden sich nicht an den Kosten beteiligen. Sie sind die Nutznießer, wenn Stationsapotheker Einsparungen ermöglichen, indem weniger arzneimittelbezogene Probleme auftreten und das Schnittstellenmanagement zwischen stationärer und ambulanter Versorgung verbessert wird. Daher scheint es nicht nachvollziehbar, dass sie sich der Verantwortung entziehen können. Durch die Corona-Pandemie verschärfte sich die prekäre wirtschaftliche Situation vieler Kliniken. Dennoch stellt sich die Frage, in wieweit Personalkosten für einen Apotheker ins Gewicht fallen, wenn man die gesamten laufenden Kosten einer Klinik betrachtet.

Rückenwind könnten Apotheker auf Station durch das im Oktober 2020 in Kraft getretene Krankenhauszukunftsgesetz erhalten – und das bundesweit. Nach dem Gesetz stellt der Bund Krankenhäusern seit dem 1. Januar 2021 drei Milliarden Euro zur Modernisierung zur Verfügung; die Länder sollen weitere 1,3 Milliarden Euro aufbringen. Zu den förderungs­fähigen Maßnahmen zählt, wenn Kliniken ein durchgehendes digitales Medikationsmanagement einführen. Die Validierung der Medikation durch einen Apotheker ist hierbei ein wich­tiger Bestandteil.

Ein Blick in die Praxis

Vielen brennt die Frage unter den Nägeln, wie die Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft läuft. Die Vorstellung von einer Kommunikation zwischen Ärzten und Apothekern, als würde man auf rohen Eiern gehen, bildet die Realität nicht ab. Wie Stationsapotheker berichten, sind auch Ärzte „nur” Kollegen. Für eine gute Zusammen­arbeit ist ein offener, freundlicher und höflicher Umgang gefragt – genau wie mit jedem anderen auch. Natürlich gibt es ärztliche Kollegen, die Apotheker skeptisch beäugen. Aber die meisten öffnen sich, sobald sie merken, dass Pharmazeuten ihnen keine Fachkompetenz wegnehmen möchten oder können, sondern nur einen anderen, erfrischenden Blickwinkel mitbringen. ­Assistenzärzte dagegen haben oft Respekt vor Pharmazeuten und fühlen sich mitunter kontrolliert und kritisiert. Die meisten Stationsapotheker haben gute Erfahrungen damit gemacht, offen zuzugeben, dass niemand alles im Kopf hat und den alleinigen Masterplan besitzt, und deshalb an einem gemeinsamen Diskurs interessiert zu sein. Denn wo viele Pharmazeutinnen und Pharmazeuten genau über die Dosisanpassung bestimmter Arzneimittel bei Niereninsuffizienz Bescheid wissen, erkennen die wenigsten auf dem Röntgenbild eine Pneumonie. Aktives Nachfragen erweitert den eigenen Horizont, hilft Barrieren abzubauen und bekundet Interesse an der Arbeit des ärztlichen Gegenübers. Nach einiger Zeit empfangen ärztliche Kollegen die Apo­theker mit den Worten „Gut, dass du kommst” oder „Schön, dass du da bist”. Dieses Vertrauen und die Akzeptanz müssen natürlich erst wachsen. Hier ist Geduld gefragt, ebenso wie die Geduld mit sich selbst. Fachwissen und Expertise entwickelt sich nicht von heute auf morgen. Erfahrene Apotheker auf Station raten, sich für den Anfang ein Spezialgebiet zu suchen – wie zum Beispiel die Mitarbeit im Antibiotic Stewardship-Team. Ist der Apotheker auf einer Station oder in einer Klinik integriert, beobachten viele Kollegen einen Dominoeffekt: Immer mehr Ärzte wünschen sich die Zusammenarbeit mit einem Pharmazeuten. Und der Stationsapotheker weiß nicht mehr, wie er priorisieren soll.

Zur Praxis gehört auch die „Lieblingsbeschäftigung” eines jeden Stationsapothekers: die Dokumentation der durchgeführten Interventionen. Je nach Ausführlichkeit macht das Dokumentieren circa bis zu einem Drittel der gesamten Stationsarbeit aus. In vielen Kliniken Deutschlands ist diese mühselige Arbeit die Bedingung dafür, dass die Kliniken Stationsapotheker auch weiterhin beschäftigen. Wie die DAZ erfragen konnte, dokumentieren viele Stationsapotheker in Niedersachsen zwar auch – jedoch mit dem Ziel, den Überblick zu behalten und nicht aus dem Grund, ihre Existenzberech­tigung nachweisen zu wollen. Dieser Punkt wird einen wesentlichen Unterschied zwischen Stationsapothekern in Niedersachsen und denen in anderen Bundesländern ausmachen.

Fazit

Durch die Gesetzesänderung hat Niedersachsen einen ersten und wichtigen Schritt getan, der den Apothekern den Druck nimmt, ihre Legitimität als Stationsapotheker zu rechtfertigen. Diese werden so zunehmend zum Standard für die Patientensicherheit. Dennoch bleiben viele Fragen offen, unter anderem, welchem Budget Sta­tionsapotheker zugerechnet werden. Wünschenswert wäre, dass sich die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft und die Kassen gegenüber dem Gesetz öffnen. Aber wie das mit vielem Neuen und Unbekannten ist, muss sich alles erst einmal beweisen. Die deutsche Apothekerschaft blickt also weiter nach Niedersachsen – hoffnungsvoll, dass die Erfahrungen auch auf Bundesebene antreibend wirken. Mit der Zeit wird sich zeigen, ob den Vorteilen und dem Charme, einen Pharmazeuten mit im Team zu haben, wirklich widerstanden werden kann. |

Autorin

Anna Schlattl schrieb ihre Diplomarbeit am Universitäts­klinikum München zur Arzneimittelanamnese. Sie arbeitet als klinische Apothekerin am Helios Amper-Klinikum in Dachau und in der Arzneimittelinformation des Kompetenzzentrums für Palliativpharmazie in München.

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