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Arzneimittel und Therapie
Schilddrüsenhormone vergessen – und nun?
Ein kurzer Überblick zur richtigen Einnahme von Levothyroxin
Levothyroxin gehört zu den wenigen Arzneimitteln, die im Mikrogramm-Bereich dosiert werden. Neben der engen therapeutischen Breite erschweren Ernährung, Komedikationen und gastrointestinale Erkrankungen die Justierung der Dosis. Oberstes Ziel ist eine möglichst stabile Einstellung der Blutspiegel an freiem Triiodthyronin (fT3), freiem Thyroxin (fT4) und Thyreoidea-stimulierendem Hormon (TSH). Zur Überprüfung wird in der Regel der TSH-Wert herangezogen, der nach Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) bei Substitution von Schilddrüsenhormonen im Bereich von 0,4 bis 4,0 mIU/l liegen sollte. Bei älteren Patienten werden auch etwas höhere Werte akzeptiert. Annähernd konstante Wert können jedoch nur erreicht werden, wenn die Tabletten täglich unter gleichen Bedingungen eingenommen werden, auf jeden Fall aber nüchtern. Erfolgt die Einnahme zu einer Mahlzeit, ist die Resorption deutlich reduziert. Mit polyvalenten Kationen bildet Levothyroxin schwerlösliche Komplexe. Zu Aluminium-haltigen Antazida und Sucralfaten, Eisen- und Calcium-Präparaten muss ein Abstand von mindestens zwei Stunden eingehalten werden, zu Arzneimitteln, die Levothyroxin im Gastrointestinaltrakt binden (z. B. Colestyramin, Sevelamer) mindestens vier Stunden.
Dr. med. Joachim Feldkamp, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie, Infektiologie am Klinikum Bielefeld Mitte, weiß, wie schwierig es ist, allgemeingültige Regeln für die Einnahme von Levothyroxin zu formulieren, die dann von Patienten auch konsequent eingehalten werden. „Grundsätzlich rate ich dazu, die Tabletten 30 Minuten vor dem Frühstück nüchtern einzunehmen. Dazu sollte Leitungswasser getrunken werden. Die Resorption wird behindert durch Tee oder Kaffee. Aber auch Calcium kann die Wirkstoffaufnahme behindern, so dass die Einnahme mit Calcium-reichen Mineralwässern nicht günstig ist.“
Vor dem Essen
Die Empfehlung, Levothyroxin morgens vor dem Frühstück einzunehmen, stammt aus den Fachinformationen der verfügbaren Präparate. Einige Patienten haben jedoch Schwierigkeiten, gleich nach dem Aufstehen eine Tablette zu schlucken („Zuerst brauche ich meinen Kaffee“). Mehrere Studien beschäftigten sich in den vergangenen Jahren deshalb mit der Frage, ob eine abendliche Einnahme eine sinnvolle Alternative wäre – das Ergebnis: unentschieden.
In einer Untersuchung von Bach-Huynh et al. aus 2009 nahmen 65 Patienten jeweils über acht Wochen Levothyroxin entweder eine Stunde vor dem Frühstück, mit dem Frühstück oder vor dem Schlafengehen ein. Im Vergleich zur morgendlichen Gabe führte die Einnahme am Abend zu höheren TSH-Werten (1,06 vs. 2,19 mlU/l), d. h. zu einer verringerten Wirksamkeit. Noch höher waren die Werte bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme (2,93 mlU/l). Auch eine prospektive Cross-over-Studie von Ala et al. aus dem Jahr 2015 beobachtete diesen Trend. Hier wurden 50 hypothyreote Patienten randomisiert auf zwei Gruppen aufgeteilt: Jede Gruppe erhielt verblindet pro Tag eine Tablette vor dem Frühstück und eine vor dem Abendbrot. Eine Tablette enthielt Levothyroxin, eine Placebo. Nach zwei Monaten wurde gewechselt. Der Switch der Levothyroxin-Einnahme auf den Abend führte zu einem signifikanten Anstieg des TSH-Spiegels (p = 0,001) und einem leichten Abfall des T4-Levels (p = 0,3). Die Autoren schlussfolgern, dass die Verlagerung der Einnahme auf den Abend eine minimale Verminderung der therapeutischen Effektivität zur Folge haben kann.
Zum gegenteiligen Ergebnis kommt die niederländische Arbeitsgruppe um Bolk et al., deren doppelblinde Studie aus dem Jahr 2010 ein häufig zitiertes Argument für die abendliche Einnahme von Levothyroxin ist: Sie fanden heraus, dass die abendliche Einnahme sogar mit einer besseren Resorption und einer höheren Lebensqualität verbunden ist als die Einnahme vor dem Frühstück. In den Abendstunden wird eine verbesserte Bioverfügbarkeit angenommen, da die Magen-Darm-Tätigkeit verlangsamt ist und eine verlängerte Kontaktzeit mit der Schleimhaut besteht.
„Bei Patienten, bei denen die Schilddrüsenhormoneinstellung nicht gut gelingt, kann es sinnvoll sein, die Tablette abends vor dem Schlafengehen einzunehmen.“
Dr. med. Joachim Feldkamp, Bielefeld
Gestützt wird diese These durch die im darauffolgenden Jahr veröffentlichte Studie von Rajput et al. mit 152 Levothyroxin-naiven Patienten, die über zwölf Wochen entweder eine Tablette morgens oder abends auf nüchternen Magen einnahmen. Am Ende ergaben sich leicht höhere TSH-Werte unter der Morgen-Dosis (5,13 mlU/l vs. 3,27 mlU/l) – allerdings wurde keine statistische Signifikanz erreicht. Die aktuellste Untersuchung stammt von Skelin et al. aus dem Jahr 2018: Bei den eingeschlossenen 84 Patienten war es für den Therapieerfolg unerheblich, ob Levothyroxin 30 Minuten vor dem Frühstück, eine Stunde vor der Hauptmahlzeit oder zum Schlafengehen eingenommen wurde.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) stellt in ihrer Leitlinie „Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis“ frei, ob die regelmäßige Einnahme von Levothyroxin am Morgen (mind. 30 Minuten vor dem Frühstück) auf nüchternen Magen oder am Abend vor dem Schlafengehen erfolgt. Die American Thyroid Association wird in ihren Guidelines etwas konkreter: Levothyroxin sollte mindestens 60 Minuten vor einer Mahlzeit oder mindestens drei Stunden nach dem Abendbrot eingenommen werden. Nach Ansicht von Dr. Feldkamp als Vertreter der DGE ist es für eine generelle Empfehlung der Einnahme vor dem Schlafengehen aber noch zu früh: „Bei Patienten, bei denen die Schilddrüsenhormoneinstellung nicht gut gelingt, kann es sinnvoll sein, die Tablette abends vor dem Schlafengehen einzunehmen. Idealerweise sollten die Patienten dann möglichst zwei Stunden vor dem Schlafengehen nichts gegessen haben (vermutlich reichen allerdings auch 60 Minuten). Zuerst sollte jedoch die Einnahme entsprechend der Zulassung morgens versucht werden.“
Die Firma Merck, Zulassungsinhaber von Euthyrox®, hat auf Nachfrage nichts dagegen, die Einnahme auf den Zeitpunkt vor dem Schlafengehen zu verlagern, solange die Tabletten immer annähernd unter gleichen Bedingungen eingenommen werden. Erfahrungen bei Schichtarbeitern würden dieses Vorgehen sogar unterstützen.
Vor dem Messen
Die richtige Dosierung sollte für jeden Patienten individuell ermittelt werden, orientiert an den laborchemisch gemessenen Schilddrüsenwerten und dem subjektiven Befinden des Patienten. Bei manifester (primärer) Hypothyreose wird in der DEGAM-Leitlinie für Patienten unter 60 Jahren ohne Komorbiditäten initial die Gabe von 1,6 µg Levothyroxin pro Kilogramm Körpergewicht empfohlen. Bei einem Körpergewicht von 75 kg entspricht dies einer Menge von 120 μg Levothyroxin täglich. Um eine euthyreote Stoffwechsellage zu erreichen, wird die tägliche Dosis stufenweise jeweils nach ca. sechs Wochen um je 25 bis 50 µg erhöht oder verringert. Vor allem in der Einstellungsphase und bei Dosisumstellungen wird geraten, die TSH-Serumkonzentration regelmäßig überprüfen zu lassen. Eine Messung ist frühestens nach acht Wochen sinnvoll, da der TSH-Wert mindestens so viel Zeit benötigt, um sich auf einen konstanten Wert einzupendeln. Ist die Dosierung etabliert, genügen halbjährliche, später jährliche TSH-Verlaufskontrollen.
Am Morgen der Blutentnahme sollten Patienten ihre Schilddrüsentabletten nicht einnehmen – als reine Vorsichtsmaßnahme, wie Feldkamp erläutert: „Die Levothyroxin-Einnahme beeinflusst TSH-Spiegel erst über einen längeren Zeitraum. Eine morgendliche Einnahme beeinflusst den TSH-Wert an dem Tag nicht, wenn an dem gleichen Tag der TSH-Wert gemessen wird. Der einzige Laborwert, der sich verändern kann, ist der Wert für das freie T4. Etwa zwei Stunden nach der Einnahme kommt es zu einem leichten Anfluten des freien T4-Wertes im Blut. Dies kann gelegentlich mit einer kurzen Überhöhung dieses Wertes im Laborblattausdruck sichtbar werden. Wenn der Arzt weiß, dass der Patient morgens die Tablette eingenommen hat, kann er dies entsprechend interpretieren. Um solche Interpretationsschwierigkeiten zu vermeiden, wird allgemein empfohlen, morgens die Tablette nicht einzunehmen.“
Nach dem Vergessen
Eine Hypothyreose erfordert in der Regel eine lebenslange Substitution von Levothyroxin. Während dieser Zeitspanne gelingt die korrekte Einnahme sicher nicht immer einwandfrei. Hat der Patient eine Tablette vergessen, sollte ihm geraten werden, am darauffolgenden Tag mit der normalen Dosierung fortzufahren, auf keinen Fall aber die doppelte Menge einzunehmen. Ein Tag Pause scheint demnach keine gravierenden Folgen zu haben. Wie sieht es mit mehreren Tagen aus, beispielsweise wenn der Patient wie oben beschrieben in seinem Urlaub unfreiwillig auch Ferien von seinen Schilddrüsenhormonen macht?
„Eine kurze Medikamentenpause ist kein großes Problem.“
Levothyroxin weist eine extrem hohe Plasmaeiweißbindung von 99,97% auf. Zwischen im Plasma an Protein gebundenem Hormon und freiem Hormonanteil findet ein kontinuierlicher und sehr rascher Austausch statt. Die Eliminationshalbwertszeit von Levothyroxin beträgt im Mittel sieben Tage – Zeit genug, um einige Tage ohne Nachschub zu überbrücken, beruhigt Feldkamp. „Da die Schilddrüsenhormone im Blut an Eiweiß gebunden sind, besteht ein großer Vorrat, der ohne Levothyroxin-Zufuhr über wenige Tage nur gering niedriger wird. Ein Vergessen der Tabletten beispielsweise über das Wochenende spielt daher keine Rolle. Der Patient kann danach mit seiner normalen Dosis fortfahren. Erst nach mindestens einwöchiger Therapiepause ist damit zu rechnen, dass Symptome der Unterfunktion auftreten. Länger als eine Woche sollten substitutionspflichtige Patienten deshalb nicht auf ihre Schilddrüsenhormone verzichten.“
Doch auch dann verspürt der Patient nicht sofort Beschwerden. „Körperliche Symptome treten meist erst ab einer Medikamentenpause von zwei bis drei Wochen auf. Wir kennen diese Situation gut bei Patienten, die nach einer Schilddrüsenoperation wegen Krebs vor einer Radioiodtherapie bewusst in eine Unterfunktion gebracht wurden. Zusammengefasst ist also eine kurze Medikamentenpause kein großes Problem.“
Ebenfalls urlaubsrelevant: Aufgrund der langen Halbwertszeit von Levothyroxin ist bei Fernreisen häufig keine Anpassung des Rhythmus erforderlich. Nur wenn die Zeitverschiebung mehr als 36 Stunden oder weniger als zwölf Stunden beträgt, sollte der Einnahmezeitpunkt verschoben werden. |
Quelle
Schmiedel K. Störanfällige Levothyroxin-Therapie. DAZ 2017, Nr. 7, S. 50
S2k-Leitlinie „Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis“. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. (DEGAM), AWMF-Register-Nr. 053-046, Stand 2016
Bach-Huynh TG et al. Timing of levothyroxine administration affects serum thyrotropin concentration. J Clin Endocrinol Metab 2009;94(10):3905-3912
Ala S et al. Dose administration time from before breakfast to before dinner affect thyroid hormone levels? Caspian J Intern Med 2015;6(3):134-140
Bolk N et al. Effects of evening vs morning levothyroxine intake: a randomized double-blind crossover trial. Arch Intern Med 2010;170(22):1996-2003
Rajput R et al. Can levothyroxine be taken as evening dose? comparative evaluation of morning versus evening dose of levothyroxine in treatment of hypothyroidism. J Thyroid Res 2011;2011:505239
Skelin M et al. Effect of timing of levothyroxine administration on the treatment of hypothyroidism: a three-period crossover randomized study. Endocrine 2018;62(2):432-439
Salewski B. Fragen aus der Praxis: Morgendliche Nüchterneinnahme kein Muss. DAZ 2013, Nr. 15, S. 56
Leung AM. Levothyroxine Dosing: Morning, Night, or In Between? Medscape vom 22. März 2019. www.medscape.com; Abruf am 27. Mai 2019
American Thyroid Association Task Force on Thyroid Hormone Replacement. Guidelines for the Treatment of Hypothyroidism. Thyroid 2014;24(12):1670-1751
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