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Zytostatikaversorgung

Auf ein neues Fundament stellen

Wie eine Neuordnung der ambulanten Zytostatikaversorgung aussehen könnte

Seit Jahren wird über die Kostenexplosion bei der ambulanten Zytostatikaversorgung geklagt. Immer wieder wurden neue Sparvorschläge gemacht, neue Versorgungswege als Lösung propagiert und je nach politischer Großwetterlage mit oder ohne juristische Winkelzüge auch durchgesetzt. Dabei wurde von den Akteuren viel Porzellan zerbrochen, aber die Versorgung der Patienten nicht wirklich verbessert. Würde man konsequent von den Bedürfnissen der Betroffenen ausgehen, müsste die Versorgungslandschaft ganz anders aussehen, meint Dr. Franz Stadler, Apotheker aus Erding. |  Von Franz Stadler

Ein Krebspatient ist schwer krank, wird möglicherweise bald sterben und möchte, solange es geht, in der Geborgenheit seines familiären Umfeldes leben, bevorzugt also eine ambulante gegenüber einer stationären Versorgung. Natürlich möchte er ohne Abstriche die beste zur Verfügung stehende medizinische und pharmazeutische Versorgung. Diese Wünsche sind nicht weiter verwunderlich und von jedem nachvollziehbar, der sich nur einmal die Mühe macht, sich vorzustellen, selbst Patient zu sein.

Was müsste wer tun, um diesen Wünschen nahezukommen?

1. Klare, für alle transparente Festlegung der ärztlichen und medikamentösen Therapien, deren Kosten von den Krankenkassen übernommen werden.

2. Stärkung der ambulanten, wohnortnahen, onkologischen Versorgung durch Förderung onkologischer Praxen in der Fläche.

3. Soweit nötig: Erweiterung der Arzneimittel-Fachinformationen durch klare Angaben über Haltbarkeits- und Stabilitätsdaten, sowohl in Bezug auf angebrochene Originalpackungen als auch auf zubereitete, applikationsfertige Infusionsbeutel. Vorgaben der Hersteller zur Vermeidung thermischer und mechanischer Belastungen beim Transport der Endprodukte sind zu ergänzen.

4. Strikte Einhaltung und Kontrolle der pharmazeutischen Rahmenbedingungen durch die herstellende Apotheke/den Herstellbetrieb bzw. durch die zuständigen Aufsichtsbehörden.

Die Punkte 1 und 2 sind dabei gesamtgesellschaftliche/politische Aufgaben, während sich 3 und 4 eigentlich aus der Verantwortung der jeweilig Handelnden ergeben. Sollte diese Verantwortung weiterhin nicht wahrgenommen werden, muss der Gesetzgeber im Patienteninteresse handeln.

Letzten Endes gelten ausschließlich die Haltbarkeits- und Stabilitätsangaben der Fachinformationen, weil nur so der Hersteller in der Haftung für die Wirkung seines Produktes bleibt. Solange diese Angaben fehlen oder unvollständig sind, gewährleisten nur möglichst kurze Transportwege (ohne thermische und mechanische Belastung) und möglichst geringe Zeitspannen zwischen Herstellung und Anwendung eine optimale Wirkung.

Die aktuellen Vorgaben des AMVSG

ks | Mit dem zum 13. Mai 2017 in Kraft getretenen Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) ist die Rechtsgrundlage für Verträge zwischen Krankenkassen und Apotheken über die Versorgung mit parenteralen Zubereitungen aus onkologischen Fertigarzneimitteln weggefallen. Die Kassen liefen gegen diese Entscheidung des Gesetzgebers Sturm. Sie sahen in der Ausschreibungsmöglichkeit die Chance, große Wirtschaftlichkeitsreserven zu heben. Dies ging jedoch auf Kosten der freien Apothekenwahl und der meist gut eingespielten Zusammenarbeit von Onkologen und Zyto-Apothekern. Daher hat sich der Gesetzgeber für einen anderen Weg entschieden, in der Zyto-Versorgung Geld zu sparen: „Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen können nun einheitlich und gemeinsam zur Versorgung ihrer Versicherten mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten mit pharmazeutischen Unternehmern Rabatte für die jeweils verwendeten Fertigarzneimittel vereinbaren“. Das regelt der neue Absatz 8a in § 129 des Sozialgesetzbuchs, 5. Buch (SGB V). Die Regelungen, die für „normale Rabattverträge“ nach § 138a Absatz 8 SGB V einschlägig sind, gelten für Zyto-Rabattverträge entsprechend. Besteht ein Rabattvertrag über onkologische Arzneimittel im Sinne der neuen Regelung, so sind die Apotheken ebenso verpflichtet, diese für die von ihnen zu fertigenden Zubereitungen einzusetzen.

Doch der Gesetzgeber will auch noch an anderer Stelle sparen und macht dazu der Selbstverwaltung von Apothekern (DAV) und Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) Druck in Sachen Hilfstaxe: Sie müssen die dort geregelten Preise für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie bis zum 31. August 2017 neu vereinbaren. Können sie diese Frist nicht einhalten, muss die Schiedsstelle angerufen werden und entscheiden. Eine weitere Neuregelung im Zusammenhang mit dem AMVSG und der Hilfstaxe besagt, dass in dem Fall, dass eine Apotheke, die für die Herstellung der Zyto-Zubereitungen einen Betrieb beauftragt, der GKV-Spitzenverband und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen können – inklusive Rabatte. Damit wird der jetzt schon bestehende Auskunftsanspruch gegenüber Apotheken erweitert.

Zentrale Versorgung nicht möglich

Aus dieser patientenorientierten Argumentation ergibt sich automatisch die Forderung nach einer Stärkung der dezentralen Versorgung. Transporte von applikationsfertigen Infusionslösungen, die deren Stabilität und damit deren Wirksamkeit beeinträchtigen können, sind auf 30 km zu beschränken. Die Versorgung kann durch ein Netzwerk vieler kostengünstiger, kleiner Reinräume mit gleichzeitiger Verbesserung der Qualität bewerkstelligt werden. Ziel sollte sein, dass auf Kreisebene mindestens eine Apotheke über einen Reinraum verfügt, was deutschlandweit etwas mehr als 400 Reinraumlabore erfordern würde. Damit können auch steigende Anforderungen erfüllt werden, wenn beispielsweise in Zukunft nicht nur onkologische, sondern auch rheumatologische, gastroenterologische, gynäkologische und urologische Praxen eine versorgende Apotheke brauchen werden. Da eine Zentralisierung der Versorgung dieser Indikationen nicht möglich sein wird, müssen jetzt die Weichen politisch und gesetzgeberisch endlich in die richtige Richtung gestellt werden.

Welche Finanzierung ist möglich?

Bisher wurde definiert, was im Interesse einer optimalen Patientenversorgung liegt. Ausgehend von diesem Qualitätsstandard, dessen Einhaltung allein Ausgaben rechtfertigt (warum sollten Qualitätsmängel oder Sicherheitslücken finanziert werden?), ist es nun notwendig, die Kostenseite zu betrachten. Dazu sind die relevanten Bereiche exakt zu definieren und es ist dabei zu überlegen, wo Kosten gespart werden könnten.

1. Wirkstoffpreise: Sie sind die eigentlichen Preistreiber und bei der jetzigen Gesetzeslage (weitgehend freie Kalkulation bei der Markteinführung neuer Wirkstoffe durch die pharmazeutischen Unternehmer) nur schwer in den Griff zu bekommen. Das mag auch einer der Gründe sein, warum Krankenkassen das Verhandeln der Preise bislang lieber den Apotheken überlassen. Es ist deutlich einfacher, einbehaltene Rabatte zu unterstellen, als diese selbst zu erzielen – besonders bei patentgeschützten Wirkstoffen, die zur Zeit gut 80% des Umsatzes ausmachen. In Zukunft sollte deshalb gerade dieser stets strittige Punkt neu geregelt werden. Eine zufriedenstellende und tragfähige Lösung kann nur in direkten Preisverhandlungen zwischen den Herstellern und den Kostenträgern liegen. Bei der praktischen Durchführung sind dabei zwei Alternativen denkbar:

a) Modell der Wirkstoffausschreibungen: In diesem Modell schreiben die Krankenkassen die Wirkstoffe aus und verhandeln die tatsächlich gezahlten Preise direkt mit den Herstellern (herkömmliches Rabattvertragsmodell). Um das größte Problem der Rabattverträge, die oft mangelnde Lieferfähigkeit der Ausschreibungsgewinner, zu umgehen, sollten die Rabattverträge als Open-House-Verträge gestaltet werden. Das beugt zusätzlich einer Monopolbildung vor. Als Resultat der Rabattverträge werden die Apotheken keine Rabatte mehr bekommen. Sie rechnen nach Rabattvertragspreisen ab und das Handlings­risiko für die Arzneimittel verbleibt bei ihnen. Die Apotheken übernehmen also weiterhin die Vorfinanzierung (mit einer entsprechenden Liquiditätsbelastung), zahlen umsatzbezogene Kammerbeiträge und haften für Lagerverluste (Verfall nicht retournierbarer Ware, Preisverfall etc.). Dieses Risiko kann in diesem hochpreisigen Segment nicht gänzlich ohne Aufschlag übernommen werden. Hier wäre deshalb der übliche 3%ige Aufschlag durchaus angemessen. Sollte das nicht gewünscht werden verbleibt alternativ:

b) Kommissionsmodell: Die herstellenden Apotheken werden von den Herstellern (oder über Großhändler) auf Anfrage mit valutierter (z. B. über 6 Monate) Ware versorgt. Die Apotheken rechnen über ihre Rechenzentren den Arbeitspreis personenbezogen ab und übermitteln dabei die verwendeten mg-Mengen Wirkstoff (inkl. Verwurf und PZN-Nummer). Die Rechenzentren geben die abgerechneten Wirkstoffmengen der jeweiligen Apotheke sowohl an die betroffene Krankenkasse als auch unter Angabe der Krankenkasse und der abrechnenden Apotheke an die Hersteller weiter. Die Hersteller buchen die verbrauchte Wirkstoffmenge vom Apothekenbezugskonto ab und stellen über die gleiche Menge der jeweiligen Krankenkasse eine detaillierte Rechnung. Preis Verhandlungssache. Nicht verbrauchte ganze Packungen können und müssen von der jeweiligen Apotheke vor Ablauf der Valuta fristgerecht retourniert oder bezahlt (weiter valutiert) werden. Die Apotheke muss nicht vorfinanzieren, zahlt keine umsatzbezogenen Kammerbeiträge und haftet nur für grob fahrlässige Beschädigung der Ware, hat aber sonst kein Handlingsrisiko.

2. Herstellungskosten: Zu ihrer Bestimmung sind Vollkostenanalysen notwendig, die alle Kosten im Zusammenhang mit der Herstellung erfassen. Die bisher einzige Publikation zu diesem Thema stammt vom Autor (Pharmazeutische Zeitung 30/2008: S. 64ff) und wurde vor Umsetzung der neuen ApoBetrO veröffentlicht. Sie ergab einen Wert von knapp 80 Euro, der wegen der gestiegenen Anforderungen und Kosten auf ca. 120 Euro pro Beutel angehoben und indexiert (automatische Anpassung an die Steigerung der Lebenshaltungskosten) werden sollte. In diesem Betrag sind Personal-, Raum-, Betriebs-, Wartungs- und Investitionskosten miteingerechnet. Dieser Preis ist für die Herstellung unter Reinraumbedingungen für jeden Infusionsbeutel, unabhängig vom Inhaltsstoff, gleich und als Vergütung für die Dienstleistung prinzipiell unverzichtbar. 


3. Bau und Betrieb der Reinräume: Dieser Bereich wird letztlich und wohl auf absehbare Zeit in der Verantwortung der jeweiligen Apotheke bleiben. Allerdings wird es notwendig sein, dass sich beispielsweise die Hersteller von Reinräumen, Isolatoren und Werkbänken Gedanken über ihre Preispolitik machen und preisgünstige Komplettlösungen auf den Markt bringen, die trotzdem alle qualitativen Anforderungen erfüllen. Einen Markt dafür könnte es geben …

Verhandelbar ist eigentlich nur Punkt 1. Dienstleistung und Baukosten sind zu bezahlen. Ihre Höhe muss angemessen sein, sonst wird zuerst die Versorgungsqualität leiden und dann die Versorgung selbst. Wirkstoffpreise sind hingegen Marktpreise, die sehr stark schwanken können und vom Verhandlungsgeschick der Käufer abhängen. Die Krankenkassen vertreten Millionen Mitglieder und tausende potenzielle Patienten. Sie haben das Verhandlungsmandat. Sie können das Verhandlungsziel, ihr bevorzugtes Abrechnungsmodell, wählen.

Zwist um die alten Zyto-Verträge mit Apotheken

ks | Während GKV-Spitzenverband und DAV über eine neue Hilfstaxe verhandeln und die Kassen erste Ausschreibungen auf Herstellerebene planen, laufen bis Ende August noch die Verträge mit den Apotheken. So auch die bundesweiten exklusiv abgeschlossenen Verträge von DAK/GWQ Service Plus und Barmer/TK/KKH sowie die regional begrenzten verschiedener AOKs. Dabei ist weiterhin strittig, ob Apotheken ohne Vertrag nun wieder Versicherte dieser Kassen versorgen dürfen. Die Kassen beharren auf Exklusivität bis zum Schluss. Apotheken, die diese nicht beachten, drohen sie mit Retaxation. Das Bundesgesundheitsministerium ist jedoch der Meinung, dass das so nicht geht. Ende Mai hat Staatssekretär Lutz Stroppe diese Auffassung nochmals in einem Brief an den GKV-Spitzenverband, die einzelnen Kassenverbände und die Aufsichtsbehörden bekräftigt. Auf drei Seiten legt er dar, dass sich das Ende der Exklusivität laufender Verträge mit Inkrafttreten des AMVSG „aus dem Gesetzeswortlaut und systematischen Überlegungen“ ergebe. Damit lasse das AMVSG auch „keinen Raum für die Retaxationen von Abrechnungen von Apotheken, die keinen Zuschlag im Ausschreibungsverfahren erhalten haben“. Wie die Kassen auf das Schreiben Stroppes reagieren, blieb bis DAZ-Redaktionsschluss offen. Der GKV-Spitzenverband verwies darauf, dass die Verträge von den einzelnen Kassen gestaltet und gelebt werden. Zur Umsetzung könne er nur sagen, „dass wir davon ausgehen, dass die Kassen das vorgegebene Recht beachten“.

Kein Platz mehr für Ausreden

Wahrscheinlicher, weil leichter und schneller umzusetzen, ist das Rabattvertragsmodell (1a). Aus Sicht der Apotheken zukunftsfähiger könnte aber das Kommissionsmodell (1b) sein, dessen detaillierte Ausarbeitung und Umsetzung zwar einige Anschubkosten erzeugen würde, das aber auch als ein Modell für andere Abrechnungsbereiche dienen könnte. Auf diese Weise könnten sich Apotheken wieder verstärkt um die heilberuflichen Belange ihrer Arbeit kümmern und würden vom finanziellen Druck der steigenden Arzneimittelpreise und damit der Krankenkassen weitgehend befreit. Sie würden im Prinzip nur für ihre Dienstleistung bezahlt.

Für den Krebspatienten hätte diese Neustrukturierung den Vorteil, dass die Therapien, die er im gesellschaftlichen Konsens bezahlt bekommt, ohne Wenn und Aber, nach den gültigen pharmazeutischen Regeln, bei Bedarf und wohnortnah hergestellt werden. Der Patient wird entsprechend seiner Grunderkrankung optimal und human versorgt und die Kosten für diese Versorgung werden zwischen den großen Playern, den Pharmakonzernen und den Krankenkassen (im Verbund mit dem Gesetzgeber) vereinbart. Alle Zahlungen wären für die Kassen transparent und kontrollierbar. Die Zeiten der Ausreden über die Ursachen der Kostenexplosion wären vorüber und die systemimmanenten Sicherheits­lücken beseitigt – ganz im Sinne des Krebspatienten. |

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