Arzneimittel und Therapie

Das große Übel

Maßnahmen zur Behandlung von Schwangerschaftserbrechen

Foto: Rafael Ben-Ari – Fotolia.com
Von Isabelle Viktoria Maucher | Schwangerschaftserbrechen ist für werdende Mütter eine große Belastung und Herausforderung. Zwar gibt es ein großes Repertoire an verschiedensten Therapien, doch verunsichert eine mangelhafte Studienlage viele. Eine deutsche Leitlinie gibt es nicht. Was weiß man und was kann derzeit empfohlen werden?

In der ersten Schwangerschaftshälfte leidet etwa jede zweite werdende Mutter an Übelkeit und Erbrechen (Emesis gravidarum), zusätzliche 25% kämpfen mit reiner Übelkeit. Erste Symptome beginnen meist in der sechsten bis achten Schwangerschaftswoche und klingen normalerweise vor der 20. Woche von allein wieder ab. In 0,2 bis 3,6% der Fälle kann es jedoch zu einer schweren Verlaufsform kommen, die durch starkes oder über einen längeren Zeitraum bestehendes Erbrechen gekennzeichnet ist. Man spricht hier von der sogenannten Hyperemesis gravidarum. Sie kann eine Klinikeinweisung mit intravenöser Rehydratation und parenteraler Ernährung der Schwangeren notwendig machen. Die Hyperemesis gravidarum ist durch Gewichtsverlust, Störungen des Elektrolythaushalts, Dehydratation, Nährstoffmangel und einen Anstieg von Ketonkörpern charakterisiert. Obwohl sie trotz ihrer niedrigen Inzidenz die häufigste Ursache für eine stationäre Klinikaufnahme in der ersten Schwangerschaftshälfte darstellt, ist nur sehr wenig über ihre Pathophysiologie bekannt. Diskutiert werden erhöhte Choriongonadotropin- und Prostaglandin-Spiegel, ein relaxierter unterer Ösophagussphinkter, ein Vitamin-B6-Mangel und eine höhere Geruchsempfindlichkeit. Bei der Hyperemesis gravidarum richten sich die Behandlungsmaßnahmen vorrangig nach der Schwere der Symptome. Wie vor jeder Therapie ist vor allem in der Schwangerschaft eine Nutzen-Risiko-Abwägung notwendig.

Allgemeine Maßnahmen

Bei leichten Symptomen können bereits einfache Lebensstil­änderungen das Wohlbefinden der Schwangeren verbessern. Es wird empfohlen, mehrmals täglich kleine Mahlzeiten zu sich zu nehmen und eher kohlenhydratreiche und fettarme Nahrungsmittel zu konsumieren. Starke Geruchsstoffe und sehr süße Speisen sollten vermieden werden. Getränke sollten in kleinen Schlucken vor allem zwischen den Mahlzeiten eingenommen werden, dazu eignen sich besonders kalte, klare Getränke, aber auch Pfefferminztee.

Ingwer – ein bewährtes Heilmittel

Im Rahmen eines aktuellen Reviews zeigten sich Zubereitungen mit Ingwer (Zingiber officinale) bei leichten Formen von Schwangerschaftserbrechen und -übelkeit Placebo überlegen [McParlin et al.]. Die Informationsseite des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie (www.embryotox.de) gibt bezüglich der Sicherheit des Ingwers grünes Licht und schreibt, dass Ingwer in allen Phasen der Schwangerschaft in üblicher Dosierung eingenommen werden kann. Dazu, wie diese Dosierung genau aussieht, gibt es keine einheitlichen Empfehlungen. Ein Artikel auf der Website der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) beruft sich auf die Empfehlungen der amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA), die eine Dosierung von 1 bis 4 g Ingwer täglich vorschlägt, verteilt auf mehrere Gaben, beispielsweise in Form von Tee.

Akupressur – wenn es gut tut

Die Akupressur ist eine alternativmedizinische Technik, bei der Druck auf bestimmte Akupunkturpunkte ausgeübt wird. So wird beispielsweise angenommen, dass ein Druck auf das Pericardium 6 (P6) am Handgelenk einen positiven Einfluss auf die Symptomatik von Übelkeit und Erbrechen hat. Die Studienlage ist nicht eindeutig, allerdings empfinden viele Betroffene Akupressur als hilfreich, sodass eine Behandlung in Erwägung gezogen werden kann.

Psychotherapie – einen Versuch wert

Im Rahmen einer Studie war die tägliche Einnahme von 40 mg Vitamin B6 in Kombination mit einer achtmal durchgeführten jeweils 50-minütigen Psychotherapie über drei Wochen der alleinigen Vitamin-Einnahme überlegen [Faramarzi et al.]. Eine psychologische und psychosomatische Unterstützung kann zur Symptomlinderung bei Schwangerschaftserbrechen zumindest beitragen.

Vitamin B6 – zum Kombinieren

Vitamin B6 (Pyridoxin) ist ein wasserlösliches Vitamin, das als essenzielles Coenzym im Metabolismus von Aminosäuren, Carbonsäuren und Lipiden beteiligt ist. In Studien konnte beobachtet werden, dass eine dreimal tägliche Gabe von 1 mg Vitamin B6 verglichen mit Placebo zu einer Reduktion leichter Schwangerschaftsübelkeit führt [McParlin et al.], allerdings ohne das Erbrechen zu lindern. Die Gabe von Vitamin B6 kann in Kombination mit einem Antiemetikum (Antihistaminikum, Anticholinergikum oder Dopamin-­Rezeptorantagonisten) versucht werden. Die FDA empfiehlt dreimal täglich 20 mg Vitamin B6 p. o. Nach Embryotox gibt es keine Hinweise auf eine teratogene Wirkung, eine Tagesdosis von 80 mg/Tag sollte dennoch nicht dauerhaft überschritten werden.

Antihistaminika – der Standard

Klassische sedierende Antihistaminika mit antiemetischer Komponente gelten als Pharmakotherapie der Wahl bei Schwangerschaftserbrechen. In Deutschland kommen primär Dimenhydrinat (z. B. Vomex A®) oder Diphenhydramin (z. B. Emesan®) zum Einsatz, obwohl sie nicht explizit für schwangere Frauen zugelassen sind. Umfangreiche Untersuchungen haben Embryotox zufolge keinen Hinweis auf ein erhöhtes Fehlbildungspotenzial erbracht, sodass ihr vorübergehender Einsatz möglich ist. Sie sollten aber bei vorzeitigen Wehen bzw. drohender Frühgeburt aufgrund einer möglichen kontraktionsfördernden Wirkung gemieden werden. Die FDA empfiehlt Dosierungen von 50 mg drei- bis viermal täglich Dimenhydrinat p. o. oder 25 bis 50 mg Diphenhydramin p. o. alle sechs bis acht Stunden. Embryotox bevorzugt als Arzneistoff der ersten Wahl das sedierende Antihistaminikum Meclozin, das jedoch seit 2007 in Deutschland nicht mehr verfügbar ist. In den USA und in Kanada kommt vor allem Doxylamin zum Einsatz, meist zusammen mit Vitamin B6. Diese Kombination hat sich in Studien gegenüber der Therapie mit den Einzelstoffen als wirksamer erwiesen [McParlin et al.].

Dopamin-Rezeptorantagonisten – bzw. nur MCP

Metoclopramid (MCP) gehört zu den Mitteln der Wahl bei der Behandlung von Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft, hauptsächlich im zweiten Trimenon. Hinweise auf entwicklungstoxische Wirkungen haben sich nicht ergeben. Der Arzneistoff wirkt motilitätsfördernd und kommt speziell bei begleitendem gastroösophagealem Reflux als Therapieoption infrage. Die FDA empfiehlt eine Dosierung von bis zu dreimal täglich 10 mg p. o. Für Domperidon fehlen systematische Studien zur Anwendung in der Schwangerschaft, sodass MCP die besser erprobte Alternative ist.

5-HT3-Antagonisten – für schwere Fälle

Ein typischer Vertreter der Serotonin-Rezeptorantagonisten ist Ondansetron (Zofran®). Die Substanz wirkt über Blockade zentraler 5-HT3-Rezeptoren antiemetisch. Eine Behandlung mit Serotonin-Rezeptorantagonisten führt zu einer Verbesserung der Symptomatik in allen Schweregraden von Schwangerschaftserbrechen, allerdings rät Embryotox dazu, Ondansetron nur bei Versagen besser untersuchter Antiemetika und bei schwerer Symptomatik einzusetzen. Die FDA schlägt eine Dosierung von 2 bis 4 mg i. v. alle sechs bis acht Stunden vor.

Glucocorticoide – wenn nichts mehr hilft

Bei Hyperemesis, die auf eine klassische antiemetische Therapie nicht anspricht, können bei strenger Indikationsstellung kurzfristig Glucocorticoide eingesetzt werden (z. B. Methylprednisolon). Vor der 10. Schwangerschaftswoche scheint jedoch ein gering erhöhtes Risiko für fetale Malformationen (Gaumenspalten mit oder ohne Lippenbeteiligung) zu bestehen. Embryotox betont, dass sich keine sichere Dosis angeben lässt, schätzt aber das individuelle Risiko bei einer Methylprednisolon-Dosis von etwa 8 bis 12 mg als extrem gering ein. Bei Anwendung ab dem 2. Trimenon kann es unter Methylprednisolon in Abhängigkeit von Therapiedauer, Dosis und Indikation zur intrauterinen Wachstumsretardierung, Frühgeburt sowie vorübergehender Hypoglykämie, Hypotonie und Elektrolytstörungen beim Neugeborenen kommen. Bei einer selten erforderlichen, höher dosierten Behandlung über mehrere Wochen sollte das fetale Wachstum regelmäßig sonografisch überwacht werden.

Transdermales Clonidin – nur als Reserve

Als Reservemittel gilt das Sympathomimetikum Clonidin, das agonistisch an α2-Adrenorezeptoren wirkt. In einer Studie erhielten Patientinnen, die auf keine antiemetische Therapie ansprachen, transdermal 5 mg Clonidin über fünf Tage [Maina et al.]. Zusätzlich wurden die Patientinnen mit Antiemetika und Flüssigkeitssubstitution behandelt. In der Clonidin-Gruppe besserte sich die Symptomatik stärker, und die Frauen hatten einen geringeren Bedarf an zusätzlichen Antiemetika sowie intravenösen Flüssigkeiten. Der Erfahrungsumfang mit Clonidin ist insgesamt jedoch gering, sodass möglichst auf besser untersuchte Substanzen zurückgegriffen werden sollte.

Wenn ein stationärer Aufenthalt nötig ist

Eine schwere Hyperemesis kann zu Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolytgleichgewichts, des Säure-Base-Haushalts und zu Ernährungsmangel führen und einen stationären Aufenthalt erforderlich machen. Primärmaßnahmen sind Nahrungskarenz und Flüssigkeitsinfusionen, die neben einer elektrolytreichen Lösung (z. B. Ringer-Lactat) auch Vitamine (insbesondere Vitamin B1, B6 und C) und Kohlenhydrate (z. B. Glucose) enthalten sollte. Auch eine parenterale Ernährung kann in Erwägung gezogen werden.

Zusammenfassung

McParlin et al. fassen in ihrem Review über die aktuelle Studienlage der Therapie von Schwangerschaftsübelkeit und -erbrechen Folgendes zusammen:

  • Bei milder Symptomatik sind Ingwer, Vitamin B6, Antihistaminika und Metoclopramid Placebo überlegen.
  • Bei moderater Symptomatik haben auch Vitamin-B6-Doxyl­amin-Kombinationen und Metoclopramid einen größeren Nutzen als Placebo.
  • Ondansetron führt bei unterschiedlicher Symptomschwere zu einer Verbesserung des Allgemeinzustands.
  • Bei schweren Verläufen sind Glucocorticoide vermutlich mit einem Nutzen assoziiert. |

Quellen

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Lacroix R, Eason E, Melzack R. Nausea and vomiting during pregnancy: A prospective study of its frequency, intensity, and patterns of change. Am J Obstet Gynecol 2000;182:931-937

McParlin C, O‘Donnell A, Robson SC, Beyer F, Moloney E, Bryant A, et al. Treatments for Hyperemesis Gravidarum and Nausea and Vomiting in Pregnancy: A Systematic Review. JAMA 2016;316:1392-1401

Roseboom TJ, Ravelli ACJ, van der Post, Joris A, Painter RC. Maternal characteristics largely explain poor pregnancy outcome after hyperemesis gravidarum. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2011;156:56-59

Matsuo K, Ushioda N, Nagamatsu M, Kimura T. Hyperemesis gravidarum in Eastern Asian population. Gynecol Obstet Invest 2007;64:213-216

Adams MM, Harlass FE, Sarno AP, Read JA, Rawlings JS. Antenatal hospitalization among enlisted servicewomen, 1987-1990. Obstet Gynecol 1994;84:35-39

Grooten IJ, Roseboom TJ, Painter RC. Barriers and Challenges in Hyperemesis Gravidarum Research. Nutr Metab Insights 2015;8:33–39

www.embryotox.de. Hyperemesis gravidarum/Emesis gravidarum. 7. März 2012, www.embryotox.de/hyperemesis_gravidarum_emesis_gr.html

Faramarzi M, Yazdani S, Barat S. A RCT of psychotherapy in women with nausea and vomiting of pregnancy. Hum Reprod 2015;30:2764-2773

Maina A, et al. Transdermal clonidine in the treatment of severe hyperemesis. A pilot randomised control trial: CLONEMESI. BJOG 2014;121:1556-1562

Mihaljevic C, Kuschel B. Schwangerschaftserbrechen. Therapie aktuell 2015;2:61–64, verfügbar unter http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/201502/061.pdf

Autorin

Isabelle Viktoria Maucher studierte von 2007 bis 2012 Pharmazie in Tübingen und Frankfurt, wurde 2013 approbiert und ist seither Doktorandin in Frankfurt.

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