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Arzneimittel und Therapie
Neu bei Störungen des Harnstoffzyklus: Carglumsäure
Störungen des Harnstoffzyklus werden vererbt und kommen bei einer von 25.000 bis 50.000 Geburten vor. Damit gehören Harnstoffzyklus-Defekte zu den "Orphan"-Erkrankungen. Das sind Krankheiten, die so extrem selten sind, dass sich dieser "Waisenkinder der Medizin" kein großer Pharmakonzern annimmt.
Zentraler Stoffwechselweg
Der Harnstoffzyklus ist ein zentraler Stoffwechselweg, auf dem in der Leber Ammoniak, der beim Abbau von Stickstoff aus Proteinen entsteht, zu Harnstoff umgewandelt und dann mit dem Urin ausgeschieden wird. Am Harnstoffzyklus sind mehrere Enzyme beteiligt. Wenn eines davon fehlt oder nicht richtig arbeitet, wird Ammoniak nicht ausreichend abgebaut und reichert sich im Körper an. Der erste Teil des Harnstoffzyklus findet in den Mitochondrien statt, der zweite im Zytosol. Als erster Schritt wird N-Acetylglutamat (NAG) aus Acetyl-CoA und L-Glutamat gebildet. NAG ist als Koaktivator für das nachfolgende Enzym Carbamylphosphat-Synthetase (CPS) und damit für den ganzen Zyklus unentbehrlich.
Der Harnstoffzyklus ist ein äußerst sensibles System. Heute sind sechs verschiedene Störungen des Harnstoffzyklus als Folge einer Störung eines der beteiligten Enzyme bekannt:
Wenn Ammoniak den Körper vergiftet
Alle diese Störungen führen zu einer abnorm hohen Ansammlung von Ammoniak im Blut (Hyperammonämie) sowie im Gewebe. Ammoniak ist für jede Zelle und vor allem für die Nervenzellen im Gehirn sehr giftig. In schwerwiegenden Fällen kann die erhöhte Ammoniakkonzentration zu einer Bewusstseinsminderung, zum Koma und zum Tod führen. Die Patienten, die überleben, sind häufig geistig retardiert.
Vor allem neurologische Symptome
Bei Neugeborenen können die ersten Zeichen einer Hyperammonämie innerhalb der ersten 24 bis 48 Lebensstunden auftreten. Die typischen Symptome sind Trinkschwäche, Erbrechen, abnorme Atmung, Lethargie, Krämpfe und Koma. Bei späterem Krankheitsbeginn können sich die Symptome in Form von rezidivierenden Anfällen oder in Form eines progressiven und chronischen Verlaufs äußern. Das klinische Bild ist oftmals weniger dramatisch und durch schlechte Nahrungsaufnahme, episodenhaftes Erbrechen, Gedeihstörungen, Wachstumsverzögerung und neuropsychiatrische Symptome gekennzeichnet. Einige Patienten mit verzögertem Krankheitsbeginn bleiben bis zum Auftreten von akuten Krankheitssymptomen gesund. Möglicherweise sind sie schlechte Esser und schränken unbewusst und spontan ihren Proteinkonsum ein.
Rasche Behandlung verhindert Hirnschäden
Besteht der Verdacht auf einen Harnstoffzyklusdefekt, so ist unverzüglich noch vor der Diagnose mit der medikamentösen Behandlung zu beginnen, um Hirnschäden zu vermeiden. Oftmals verschlechtert sich der Zustand der Patienten in rasantem Tempo, so dass sie zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits im Koma sind. Ob eine Behandlung der Stoffwechselstörung Erfolg hat, hängt also von der schnellen Diagnostik und einem möglichst raschen Therapiebeginn ab.
Patienten, die an Störungen des Harnstoffzyklus leiden, müssen ihren Proteinkonsum einschränken. Dadurch lässt sich eine übermäßige Stickstoffbelastung und damit die Anhäufung von Ammoniak im Körper verhindern. Eine Diät allein reicht jedoch nicht immer zur Kontrolle der Stoffwechselstörung aus, so dass weitere therapeutische Maßnahmen erforderlich werden.
Therapie mit Natriumphenylbutyrat
Im Jahr 2000 wurde Natriumphenylbutyrat (Ammonaps®) als Zusatztherapie bei der Langzeitbehandlung von Stoffwechselstörungen des Harnstoffzyklus eingeführt. Mit diesem medikamentösen Therapieverfahren wird der überschüssige Stickstoff über einen alternativen Stoffwechselweg aus dem Körper entfernt.
Natriumphenylbutyrat wird im Körper schnell zu Phenylacetat verstoffwechselt, das durch Acetylierung mit Glutamin zu Phenylacetylglutamin konjugiert und über die Nieren ausgeschieden wird. Stöchiometrisch gesehen ist Phenylacetylglutamin mit Harnstoff vergleichbar (beide Verbindungen enthalten zwei Stickstoffatome); Phenylacetylglutamin eignet sich daher als alternativer Träger zur Ausscheidung von überschüssigem Stickstoff. Für jedes Gramm eingenommenes Natriumphenylbutyrat werden zwischen 0,12 und 0,15 g Phenylacetylglutamin-Stickstoff produziert. Auf diese Weise kann Natriumphenylbutyrat eine erhöhte Konzentration von Ammoniak und Glutamin im Blut von Patienten mit Störungen des Harnstoffzyklus senken.
Enzymmangel im Harnstoffzyklus
Jetzt gibt es mit der Carglumsäure (N-Carbamoyl-L-Glutaminsäure, Carbaglu®) eine neue medikamentöse Therapie für eine Störung des Harnstoffzyklus, den Mangel an N-Acetyl-Glutamat-Synthase (NAGS). Dieses Enzym bildet im ersten Schritt des Harnstoffzyklus N-Acetylglutamat (NAG) aus Acetyl-CoA und L-Glutamat. NAG ist als Coaktivator für das nachfolgende Enzym Carbamylphosphat-Synthetase (CPS) und damit den ganzen Zyklus unentbehrlich. Ist die NAGS defekt, verringert sich die Syntheserate von NAG, der Harnstoffzyklus funktioniert nicht, und Ammoniak reichert sich an.
Carglumsäure ähnelt strukturell dem N-Acetylglutamat und kann dieses in vivo ersetzen. Dadurch wird das CPS-Enzym aktiviert, und der Harnstoffzyklus kommt in Gang. In der Folge sinken die Ammoniakspiegel im Plasma, meist bis auf Normniveau. Das Mittel wurde bislang als Pulver eingesetzt und liegt jetzt erstmals als teilbare Tablette vor. Wenn die Behandlung eingeleitet wird, bevor Ammoniak das Gehirn dauerhaft geschädigt hat, können die Patienten normal wachsen und sich entwickeln.
Dosierung, Art und Dauer der Anwendung
Mit der Behandlung kann bereits am ersten Lebenstag begonnen werden. Die tägliche Anfangsdosis sollte 100 mg/kg bis zu 250 mg/kg betragen. Sie sollte dann individuell angepasst werden, um normale Ammoniakkonzentrationen im Plasma aufrecht zu erhalten. Bei langfristiger Einnahme beträgt die tägliche Dosis 10 bis 100 mg/kg. Die tägliche Gesamtdosis sollte auf zwei bis vier Dosen aufgeteilt werden, die vor den Mahlzeiten bzw. vor dem Füttern zu geben sind.
Nebenwirkungen, Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
Bei den klinischen Erfahrungen von 90 Patientenjahren traten erhöhtes Schwitzen (zwei Patienten) und erhöhte Transaminasewerte (ein Patient) auf. Die Plasmakonzentrationen von Ammoniak und Aminosäuren müssen innerhalb der normalen Grenzen gehalten werden. Da nur sehr wenige Daten über die Sicherheit von Carglumsäure zur Verfügung stehen, wird die systematische Überwachung der Leber-, Nieren- und Herzfunktion und der hämatologischen Parameter empfohlen. Im Falle einer geringen Proteintoleranz kann eine Einschränkung der Proteinaufnahme und Argininergänzung angezeigt sein.
Steckbrief: Carglumsäure
Handelsname/Hersteller: Carbaglu (Orphan Europe Germany, Dietzenbach) Einführungsdatum: 1. September 2004 Zusammensetzung: 1 Trinktablette enthält 200 mg Carglumsäure. Hilfsstoffe: mikrokristalline Cellulose, Natriumdodecylsulfat, Hypromellose, Croscarmellose-Natrium, hochdisperses Siliciumoxid, Natriumstearylfumarat Packungsgrößen, Preise und PZN: 15 Tabletten, 1538,74 Euro, PZN 0196569; 60 Tabletten, 6102,88 Euro, PZN 0197014. Stoffklasse: Präparate des Verdauungstrakts und Stoffwechsels Indikation: Zur Behandlung von Hyperammonämie auf Grund eines N-Acetylglutamatsynthase-Mangels. Dosierung: Anfangsdosis: täglich 100 bis 250 mg/kg. Bei langfristiger Einnahme: täglich 10 bis 100 mg/kg, aufgeteilt auf zwei bis vier Dosen. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegenüber dem wirksamen Bestandteil oder einem der Hilfsstoffe. Nebenwirkungen: erhöhtes Schwitzen, erhöhte Transaminasewerte Wechselwirkungen: nicht bekannt Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Da nur sehr wenige Daten über die Sicherheit von Carglumsäure zur Verfügung stehen, wird die systematische Überwachung der Leber-, Nieren- und Herzfunktion und der hämatologischen Parameter empfohlen. Im Falle einer geringen Proteintoleranz kann eine Einschränkung der Proteinaufnahme und Argininergänzung angezeigt sein.
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