Arzneimittel und Therapie

Potenzstörungen: Erektile Dysfunktion als Frühsymptom des Diabetes

Die erektile Dysfunktion (ED) tritt bei der Hälfte aller Diabetiker auf, die jährliche Inzidenz ist im Vergleich zu Nicht-Diabetikern mehr als doppelt so hoch. Die Einschränkung der Lebensqualität durch ein gestörtes Sexualleben war Thema eines Pressegesprächs bei der 37. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft in Dresden. Hier wurde eine Studie mit dem Phosphodiesterase (PDE)-5-Inhibitor Vardenafil vorgestellt, in der sich die Erektionsfähigkeit von Diabetikern um 72 Prozent verbesserte. Vor dem Einsatz dieser Substanz, die in Deutschland kurz vor der Zulassung steht, muss das Herz-Kreislaufrisiko der multimorbiden Patienten ermittelt werden.

Auch in der Diabetologie wird das Thema Sexualstörungen und erektile Dysfunktion noch immer in seiner Bedeutung unterschätzt. Dabei führt ein länger bestehender Diabetes mellitus bei der Hälfte der betroffenen Männer zur erektilen Dysfunktion. Bis zu zehn Prozent der Diabetiker verlieren durch gleichzeitige Polyneuropathie des autonomen Nervensystems die Fähigkeit zur Ejakulation. Da Diabetiker nicht nur wesentlich häufiger, sondern auch in einem früheren Lebensalter von Sexualstörungen betroffen sind, wird ihre Lebensqualität stark eingeschränkt.

Risikospirale dreht sich

Die Pathogenese der erektilen Dysfunktion bei Diabetes ist multifaktoriell. Neben der Artherosklerose und fortschreitenden Neuropathie kann es zu irreversiblen Veränderungen der Schwellkörper durch Degeneration glatter Muskelzellen, Kollagenablagerungen oder Gefäßschädigungen kommen. Hauptursache sind die neurovaskulären Komplikationen. Das Risiko einer erektilen Dysfunktion erhöht sich um das Fünffache, wenn bereits eine diabetische Neuropathie vorliegt. Die meisten Diabetiker leiden zusätzlich unter Bluthochdruck, Adipositas und Fettstoffwechselstörungen.

Durch zusätzliche Einnahme von Arzneimitteln, die selbst eine erektile Dysfunktion auslösen können, dreht sich die Risikospirale weiter. Die medikamentöse Therapie der erektilen Dysfunktion stellt bei diesen multimorbiden Patienten hohe Anforderungen an die Arzneimittelsicherheit. Bei der Anwendung von PDE-5-Inhibitoren muss vor allem auf das erhöhte kardiovaskuläre Risiko des Diabetikers geachtet werden.

Keine Phosphodiesterase Typ 5 am Herzmuskel

Die Phosphodiesterase 5 findet sich in der Gefäßmuskulatur der Koronararterien, jedoch nicht in den kardialen Myozyten des Vorhofs, des Ventrikels oder des Reizbildungs- und Leitungssystems. Dementsprechend beeinflussen PDE-5-Inhibitoren die Kontraktilität des Herzmuskels ebenso wenig wie die EKG-Parameter. Auf das Gefäßsystem haben sie eine schwache nitrat-ähnliche Wirkung. Sie wirken stärker venös als arteriell dilatierend und senken Vor- und Nachlast des Herzens. Dies führt zu einer leicht blutdrucksenkenden Wirkung von maximal 10 mmHg systolisch und diastolisch und erklärt unerwünschte Wirkungen wie Kopfschmerz, Flush, verstopfte Nase oder Schwindel.

Erektion als vaskuläre Höchstleistung

Vor Beginn jeglicher Behandlung der erektilen Dysfunktion sollte der kardiovaskuläre Status des Patienten berücksichtigt werden, da mit sexueller Aktivität ein gewisses kardiales Risiko verbunden ist. Schließlich stellt die Erektion eine vaskuläre Höchstleistung dar, bei der die Durchblutung bis zu 60 Prozent gegenüber Ruhe gesteigert ist.

Die potenziellen Gefahren für Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit (KHK) sind nur nicht primär dem PDE-5-Hemmstoff anzulasten, sondern der Schwere der Grunderkrankung. Dies gilt besonders für Diabetiker, deren koronare Herzkrankheit aufgrund der Neuropathie asymptomatisch bleiben kann. Daher ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Urologen und Kardiologen unerlässlich. Die Diagnose der erektilen Dysfunktion führt so häufig zur Aufdeckung kardiovaskulärer Schäden bei bisher asymptomatischen Patienten.

Vardenafil wirkt schnell und selektiv

Zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP) in der glatten Gefäßmuskulatur ist das Schlüsselmolekül der Erektion. Liegt ein hoher cGMP-Spiegel vor, entspannen sich die glatten Muskelzellen, zuführende Gefäße weiten sich und der Blutstrom in die Schwellkörper steigt. Durch gleichzeitige Drosselung des Blutabflusses entsteht die Gliedversteifung. Stickstoffmonoxid vermittelt hierbei die Vasorelaxation zwischen Nerven- und Muskelzelle. Durch Hemmung der Phosphodiesterase vom Typ 5 kann der Abbau des cGMP zu GMP blockiert werden; die Erektion wird verstärkt.

Während der Wirkstoff Tadalafil mit seinem langsamen Wirkeintritt und einer Halbwertszeit von 17,5 Stunden für Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit nicht das Mittel der Wahl sein wird, könnte sich das kurzwirksame Vardenafil (tmax: 0,6 Stunden, t1+2: 4 Stunden) hier als vorteilhaft erweisen. Ein weiterer Vorzug von Vardenafil liegt in der wesentlich größeren Selektivität zum PDE-5- als zum PDE-6-Rezeptor, weshalb Farbsehstörungen, wie unter Sildenafil beschrieben, nicht auftreten.

Keine kardiovaskulären Ereignisse in Diabetiker-Studie

Ob die Substanz auch eine Therapieoption für Diabetiker darstellt, wurde in einer doppelblinden, randomisierten Phase-III-Studie in den USA und Kanada überprüft. 452 Diabetiker (54 Typ-1 und 398 Typ-2), die seit mindestens sechs Monaten an erektiler Dysfunktion litten, erhielten über 12 Wochen Vardenafil in Dosierungen von 10 und 20 mg oder Plazebo. In der Plazebogruppe verbesserte sich die Erektion bei 13 Prozent der Probanden. Signifikant bessere Ergebnisse mit 57 Prozent Verbesserung erreichten die Diabetiker mit Einnahme von 10 mg Vardenafil. Am besten schnitt die 20-mg-Gruppe mit 72-prozentiger Verbesserung ab.

Die Fähigkeit zur Penetration und zum Orgasmus verdoppelte sich unter Vardenafil-Einnahme, wobei hierfür kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Dosierungen festgestellt wurde. Die Abbruchrate wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen, wie Kopfschmerzen, Gesichtsröte und verstopfter Nase, lag in der Vardenafil-Gruppe bei vier Prozent gegenüber ein Prozent unter Plazebo. Es traten keine medikamentenbezogene kardiovaskuläre Ereignisse auf.

Vardenafil könnte in Zukunft zu einer besseren Lebensqualität von Diabetikern mit Potenzstörungen beitragen. Allerdings bleibt die Substanz bei fast zehn Prozent der betroffenen Männer unwirksam. Dabei handelt es sich meist um jüngere Typ-1-Diabetiker, deren Gefäße besonders schwer geschädigt sind. Diesen Patienten steht alternativ eine intrakavernöse oder transurethrale Applikation des Prostaglandins Alprostadil zur Verfügung.

Kasten: Hauptursachen der erektilen Dysfunktion

Diabetes mellitus 40% Gefäßerkrankungen 30% Prostata-Operationen 13% Spinale Verletzungen 8% Endokrine Störungen 6% Multiple Sklerose 3%

Kasten: Pharmaka, die Potenzstörungen auslösen oder verstärken können:

Selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer Trizyklische Antidepressiva Benzodiazepine Betablocker Diuretika Cimetidin

Quelle

Prof. Dr. Hartmut Porst, Hamburg, Dr. Frank Merfort, Mönchengladbach, Prof. Dr. Dan Ziegler, Düsseldorf, Prof. Dr. Jai-Wun Park, Hoyerswerda, Pressegespräch "Erektile Dysfunktion und Diabetes", 37. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, Dresden, 9. Mai 2002, veranstaltet von Bayer Vital GmbH und GlaxoSmithKline.

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