Kommentar zu Rezeptur-Retaxationen

Hilfstaxe: Auf die Einkaufspreise kommt es an

30.09.2024, 17:50 Uhr

Ganze Packung oder nur Teilmengen? Was Apotheken abrechnen dürfen, darüber ist ein Streit entbrannt. Am Kern des Problems geht der aber vorbei, findet DAZ-Autor Dr. Thomas (Foto: Racle Fotodesign /AdobeStock)

Ganze Packung oder nur Teilmengen? Was Apotheken abrechnen dürfen, darüber ist ein Streit entbrannt. Am Kern des Problems geht der aber vorbei, findet DAZ-Autor Dr. Thomas (Foto: Racle Fotodesign /AdobeStock)


Die Kündigung der Hilfstaxe war konsequent, weil alle Regelungen an steigende Preise angepasst werden müssen. Die Apotheken haben dabei zwar eine gute Position, aber ein neuer Streit über die Auslegung der Arzneimittelpreisverordnung führt zu Retaxationen. DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn fürchtet, dass dabei das eigentliche Ziel aus dem Blickfeld geraten kann und begründet dies in einem Kommentar.

Regelungen oder Vereinbarungen über feste Preise für Waren oder Dienstleistungen sind praktisch und transparent und können aus manchen Gründen geboten sein. Doch in einer dynamischen Wirtschaft mit immanenten Preissteigerungen können Anbieter damit nur arbeiten, wenn solche Preise mit einer gewissen Regelmäßigkeit angepasst werden. Apotheken erfahren das seit vielen Jahren schmerzlich beim Festzuschlag auf Rx-Arzneimittel. Dieselbe Logik greift bei der Hilfstaxe für Rezepturen, auch wenn das die kleinere Baustelle ist. Da die Krankenkassen nicht zu Preisanpassungen bereit waren, hat der Deutsche Apothekerverband im vorigen Jahr die Anlagen 1 für Stoffe und 2 für Gefäße gekündigt.

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Anreiz für Verhandlungen

Dass es überhaupt soweit kommen musste, ist beklagenswert. Denn die Hilfstaxe sieht ausdrücklich vor, dass eine technische Kommission die Preise nach einem festgelegten Regelwerk aktualisiert. Da dies viele Jahre lang nicht stattgefunden hatte, handelten die Vertragspartner vor Jahren neue Preise aus. Danach war die Hoffnung groß, dass die Anpassung künftig auf der neuen Grundlage gelingen würde. Doch es klappte wieder nicht - und in Zeiten erheblich steigender Preise ist das doppelt schlimm. Die Kündigung war damit folgerichtig. Zudem schafft sie starke Anreize für die Krankenkassen sich erneut mit den Apotheken zu einigen. Denn im vertragslosen Zustand gilt die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Die Apotheken dürfen nun Rezepturen ausgehend von den tatsächlichen Einkaufspreisen taxieren, die dann wohl allerdings auch belegt werden müssen. Die längst überholten Preise aus der Hilfstaxe sind damit erledigt. Das allein könnte Antrieb genug für die Krankenkassen sein, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Neuer Streit über Taxierung von Teilmengen

Dieser sinnvolle und für die Apotheken ausnahmsweise komfortable Anreiz wird allerdings von einem neuen Problem überschattet. Denn neben der Frage nach den anzuwendenden Einkaufspreisen für Stoffe und Gefäße ist beim Taxieren meistens auch zu klären, ob die gesamte Einkaufsmenge eines Stoffes oder nur anteilig die verwendete Menge zu berechnen ist. Über die Auslegung der AMPreisV zu dieser Frage ist ein Streit entbrannt. Der Deutsche Apothekerverband betont, dass gemäß AMPreisV eine übliche Abpackung des betreffenden Stoffes zu taxieren ist. Die Verbände stützen sich dabei insbesondere auf den Wortlaut von § 5 Absatz 2 AMPreisV und auf die betriebswirtschaftliche Logik. Denn die Rezepturpreise sollten insgesamt auch den Aufwand für die Identitätsprüfung abgelten, und spätere erneute Verordnungen eines Stoffes sind im Vorhinein kaum oder gar nicht abzuschätzen. Außerdem würde eine Vorgehensweise in Abhängigkeit von den individuellen Einkäufen die Gleichpreisigkeit in Frage stellen. Daraufhin empfehlen die Verbände entsprechend zu taxieren. Die Krankenkassen sehen das aber nicht so - insbesondere nicht, wenn derselbe Stoff innerhalb kurzer Zeit mehrfach eingesetzt wird. Daraufhin werden mittlerweile Rezepturverordnungen von den Krankenkassen retaxiert. Da bei den Verbänden nicht bekannt ist, wie viele Apotheken nach welchen Regeln taxieren, haben die Verbände allerdings noch keinen Überblick darüber, welche Kassen wie oft und in welchen Konstellationen retaxieren.

Das Ziel muss die Preisanpassung bleiben

Auch wenn die rechtliche Position der Apotheken hier gut ist, führt diese Situation doch zu Unsicherheit. Sie macht bei Retaxationen Mühe und bringt Ärger, der eigentlich vermeidbar wäre. Denn allein die Taxierung der tatsächlichen Einkaufpreise sollte bereits genug Anreiz für die Krankenkassen sein, sich zu bewegen. Die Anpassung dieser Preise ist das wesentliche Ziel - und die AMPreisV gibt den Apotheken auch die Möglichkeit dies durchzusetzen.

Was den Umgang mit Teilmengen eingekaufter Stoffe angeht, stellt die Hilfstaxe einen in sich schlüssigen Kompromiss dar, der seit Jahrzehnten bewährt ist. Dort werden gängige Substanzen festgelegt, bei denen jeweils Teilmengen taxiert werden. Für die weniger gängigen Stoffe sind die ganzen Einkaufsmengen anzusetzen. Doch nun entwickelt sich ein nerviger Streit um eine Frage, die sich mit der gemeinsam vereinbarten Hilfstaxe gar nicht stellen würde. Stattdessen könnte die Hilfstaxe ein schönes Beispiel für eine konstruktive Selbstverwaltung sein. Von dieser Vorgehensweise möchten auf die Dauer wohl auch die Apotheken nicht abweichen. Letztlich geht es bei den Teilmengen „nur“ um ein Druckmittel. Es sollte den Krankenkassen deutlich machen, wie sehr sie von der Hilfstaxe profitieren. Natürlich wäre dieser Druck noch wirksamer, wenn die Position der Apotheken höchstrichterlich bestätigt wird. Doch letztlich wird dabei Energie aufgewendet, um die Regeln für eine Situation zu klären, die niemand haben will, nämlich den vertragslosen Zustand. Der könnte damit zum Normalfall werden. Das ist eine Bankrotterklärung für die Selbstverwaltung. Vor allem droht das Ziel aus dem Blickfeld zu geraten. Die Hilfstaxe sollte mit Leben gefüllt und nicht zerstört werden. Es geht darum, realistische Preise für die Hilfstaxe auszuhandeln und endlich eine regelmäßige Anpassung zu etablieren, die funktioniert. Das ist die wesentliche Aufgabe - übrigens auch weit über die Rezeptur hinaus. Dieses Ziel gilt es zu verfolgen, und hier müssen sich die Krankenkassen bewegen, weil die Preissteigerungen nicht zu leugnen sind.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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