Toxizität von Estragol

Warum auch bei Fencheltee pharmazeutische Beratung gefragt ist

Stuttgart - 31.10.2023, 17:50 Uhr

Eine österreichische Übersichtsarbeit konnte zeigen, dass der Estragol-Gehalt in Tees mit Werten zwischen 78,0 und 4633,5 µg/l stark schwankt. (Foto: TATIANA Z / AdobeStock)

Eine österreichische Übersichtsarbeit konnte zeigen, dass der Estragol-Gehalt in Tees mit Werten zwischen 78,0 und 4633,5 µg/l stark schwankt. (Foto: TATIANA Z / AdobeStock)


Bereits vor knapp 20 Jahren hat der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel der europäischen Arzneimittelagentur über das potenziell kanzerogene Risiko von Estragol-haltigen Tees informiert. Estragol ist vor allem in Fenchel- und Anis-haltigen Arzneimitteln zu finden. Inzwischen sind etliche neue toxikologische Studienergebnisse veröffentlicht worden. In einer im Mai veröffentlichten Richtlinie hat der Ausschuss nun die Datenlage neu bewertet.

Aufgrund ihrer krampflösenden und schleimlösenden Wirkung werden die Früchte des Fenchels (Foeniculum vulgare) traditionell zur symptomatischen Behandlung von Blähungen, Bauchschmerzen und Husten eingesetzt. Insbesondere in Form von Tees ist die Anwendung von Fenchel bei Babys, Kleinkindern, Schwangeren und Stillenden beliebt. Die Wirkung wird unter anderem dem in dem ätherischen Öl enthaltenen Estragol zugeschrieben. Bereits 2005 hatte der HMPC-Ausschuss (Herbal Medicinal Products) der europäischen Arzneimittelagentur EMA auf das potenziell kanzerogene Risiko von Estragol-haltigen Arzneimitteln hingewiesen. 

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Damals konnte in tierexperimentellen Untersuchungen gezeigt werden, dass dosisabhängig aus Estragol der reaktive Metabolit 1´-Hydroxyestragol gebildet wird. Dieser bindet an die DNA und bedingt so die genotoxischen und karzinogenen Folgen. Vor allem in sehr hohen Dosen traten in zahlreichen Studien Lebertumoren bei Mäusen auf. Der HMPC kam seinerzeit zu dem Schluss, dass bei einer kurzzeitigen Anwendung von Estragol-haltigen Tees in der empfohlenen Dosis bei Erwachsenen nicht von einem signifikanten Krebsrisiko ausgegangen werden kann. Schon damals empfahl der Ausschuss, dass aufgrund der limitierten Datenlage Kinder unter vier Jahren möglichst kein Fencheltee zu sich nehmen sollten.

Ergebnisse für Menschen relevant

Inzwischen hat sich einiges getan und die Ergebnisse neuer toxikologischer Untersuchungen wurden veröffentlicht. In einer aktuellen Revision der Richtlinie hat der HMPC deshalb die Datenlage zu fenchelhaltigen Arzneimitteln erneut aufgerollt. Dabei kamen die Experten unter anderem zu dem Schluss, dass sich die Ergebnisse der tierexperimentellen Untersuchungen durchaus auf den Menschen übertragen lassen. Infolgedessen sollte generell die Zufuhr von Estragol so niedrig wie möglich gehalten werden. 

Ein genauer Estragol-Grenzwert lässt sich dennoch laut HMPC nicht festlegen, da es aktuell zu wenig Daten zur Aufnahmemenge von Estragol über die Nahrung gibt. Als groben Orientierungswert für sensible Gruppen wie Schwangere und Stillende berechnen die Experten entsprechend der ICH-Leitlinie M7 eine maximale Estragol-Aufnahme von 0,052 mg/Tag. Kinder bis elf Jahre sollten den Experten zufolge nicht mehr als 1,0 µg Estragol pro Kilogramm Körpergewicht am Tag zu sich nehmen.

Vorsicht – stark schwankende Estragol-Gehalte

Ass.-Prof. DDr. Peter Voitl, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde und Leiter der Kinderintensivstation in Wien, ordnet die Ergebnisse des HMPC in der „Monatsschrift Kinderheilkunde“ ein. Eine österreichische Übersichtsarbeit konnte zeigen, dass der Estragol-Gehalt in Tees mit Werten zwischen 78,0 und 4633,5 µg/l stark schwankt. Für Säuglinge entspricht das etwa einer täglichen Estragol-Zufuhr von 0,008 bis 20,78 µg pro Kilogramm Körpergewicht. Da auch in einzelnen Babynahrungsmitteln wie Brei Fenchel verarbeitet sein kann, ist es daher durchaus möglich, dass die verabreichte Estragol-Tagesdosis dem von der EMA deklarierten hepatotoxischen Bereich nahekommt. 

Voitl empfiehlt deshalb, so wenig und nur so kurz wie möglich Estragol-haltige Produkte anzuwenden. Entscheidend ist seiner Meinung nach vor allem auch die „die korrekte pharmakologische Zubereitung, die einen standardisierten Gehalt von Estragol in einem sicheren Dosisbereich in den Tees garantiert.“ Generell sieht er zudem die Gabe von fenchelhaltigen Tees bei unruhigen Säuglingen aufgrund der nicht nachgewiesenen Wirksamkeit als fragwürdig an.

Literatur

Public statement on the use of herbal medicinal products containing estragole. Informationen des Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC), European Medicine Agency (EMA), EMA/HMPC/137212/2005 Rev 1 Corr 1*12. Mai 2023

Voitl, Peter. Fencheltee für Kinder? Die aktuelle Richtlinie der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zur Verwendung von estragolhaltigen Produkten. Monatsschrift Kinderheilkunde 2023, Ausgabe 11


Marina Buchheit-Gusmão, Apothekerin
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Leider viel zu ungenau

von Tamme am 04.11.2023 um 11:48 Uhr

Ich finde es gut und richtig, dass auch Pflanzen auf ihre Inhaltsstoffe untersucht werden.
Das die hohen Dosen bei Tieren, es waren 600 µg am Tag, zu Leberschäden geführt haben, dass ist nicht von der Hand zu weisen.

Die Auswertung der Studie und die Übertragbarkeit auf den Menschen empfinde ich als unzulänglich. Es müssten auch in solchen Texten, wie sie oben geschrieben werden, "genaue" Angaben gemacht werden, wie man dazu kommt, dass es im Grunde keine tolerierbare Menge für den Menschen zu geben scheint. Estragol ist in einigen beliebten Kräutern enthalten, unter anderem Basilikum und Petersilie . . .
Es stellt sich zudem die Frage, wenn täglich geringe Mengen konsumiert werden, ob der Körper sich nicht daran gewöhnt und ob er dadurch sogar krebsresistenter werden kann, was bei anderen Stoffen durchaus möglich ist. Die Dosis und die Reaktion im Körper spielen eine entscheidende Rolle.
Ich esse jeden Tag ein wenig Fenchel, Tee nur ganz selten, ab und zu Basilikum und Petersilie im Essen . . . Und was jetzt? Solche ungenauen Aussagen können extrem verunsichern. Zudem gibt es auch Noceboeffekte, die nicht zu unterschätzen sind. Solche Aussagen, zu gängigen Nahrungsmitteln, halte ich für genauso bedenklich wie der Stoff es selber auch sein kann.
Ich würde mir hier mehr Forschungsarbeit und reale Studien wünschen, die auch auf das normale Leben übertragbar sind. Aber das kostet alles Geld, zudem müssen Forschungsarbeiten meist auch gesponsert werden . . .

Erstaunlich ist zudem, dass in anderen Bereichen Schäden für die Umwelt bekannt sind und dass hier nicht gehandelt wird. Zum Beispiel bei Spülmaschinentabs,. Diese enthalten Stoffe, die die Kläranlage nicht herausfiltern kann. Es gibt Duftstoffe, die bauen sich ebenfalls nicht in Kläranlagen ab. Wir haben hier einen Bach, der stinkt nach Weichspüler und das gewaltig. Da passiert aber nichts. Darüber findet man kaum etwas in den Medien. Die Liste könnte man noch lange fortsetzen.

Ich habe inzwischen schon einige Nahrungsmittel von meiner Liste gestrichen. Gerade bei den Nahrungsmitteln, die ich täglich verzehre, möchte ich mir sicher sein dürfen, dass da nichts schief geht. Es ist gar nicht so ungewöhnlich, dass so manch gesundheitsliebender Mensch täglich seine Kräuter isst.

Trotzdem, danke für die Info. Sie, als Zeitung, können auch nur das widergeben, was die Vorlagen hergeben..

Eine ratlose Mitleserin

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Leider viel zu ungenau

von Tamme am 06.11.2023 um 14:18 Uhr

Ergänzung: :)

Es sollte 600 mg heißen.

Wie man zu der Empfehlung von 1 µg pro kg Körpergewicht gekommen ist, kann man hier nachlesen.

https://kluedo.ub.rptu.de/frontdoor/deliver/index/docId/6464/file/_Dissertation+Ruth+Schulte-Hubbert.pdf

Das Problem ist, dass in einem anderen Text der Apothekerzeitung stand, dass normaler Ethanol-Fenchelextrakt, auch in höheren Verabreichungen, keine Tumore hervorgerufen hat im Gegensatz zu dem isolierten Extrakt.

https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2004/daz-28-2004/uid-12255

In dem alten Text, wusste man noch nichts von der Metabolisierung im menschlichen Körper. Das hat man jetzt nachgeholt. Aber wie gesagt, man weiß trotzdem kaum etwas darüber, wie sich normale Gewürze und Tees in ihrer Ganzheit tatsächlich im Körper verhalten.
Diese Diskrepanz ist der Pferdefuß der neuen Studie.

Ich habe in Foren gelesen, dass Mütter viel Fencheltee getrunken haben, das Babys regelmäßig Fencheltee bekommen haben und dass manche Menschen auch regelmäßig Kräuter, insbesondere Basilikum verwenden.



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