Verwaltungsgericht Düsseldorf

Barrierefreier Zugang zur Apothekenoffizin muss die Regel sein

Berlin - 12.06.2020, 09:00 Uhr

Auch Apotheken müssen einen barrierefreien Zugang bieten. (Foto: RioPatuca Images / stock.adobe.com)

Auch Apotheken müssen einen barrierefreien Zugang bieten. (Foto: RioPatuca Images / stock.adobe.com)


Die Apothekenbetriebsordnung fordert seit 2012, dass die Offizin barrierefrei erreichbar sein soll. Das gilt auch für Apotheken, die schon länger bestehen. Das musste jetzt ein Pharmazeut in NRW erfahren, der die behördliche Anordnung, einen Höhenunterschied von rund fünf Zentimetern zwischen Eingang und Gehsteig rollstuhlgerecht zu überbrücken, für unverhältnismäßig hielt. Seine Klage gegen den Behördenbescheid hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf jetzt abgewiesen.

„Die barrierefreie Erreichbarkeit der Offizin nach § 4 Abs. 2a Satz 1 ApBetrO erfordert grundsätzlich einen von Stufen, Schwellen und anderen Hindernissen vollständig freien Zugang, damit auch Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, selbständig, ohne fremde Hilfe in die Offizin gelangen können.“ Diesen Leitsatz hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf kürzlich für ein in einem Rechtsstreit zwischen einem Apotheker und seiner Aufsichtsbehörde ergangenes Urteil formuliert.

Damit muss der Apotheker für einen Umbau sorgen, der ihn voraussichtlich rund 8.000 Euro kosten wird. Es geht um seine seit 1992 von ihm betriebene Apotheke, die über ein Podest zugänglich  ist, das 4,5 bis 5,5 Zentimeter höher liegt als der Gehweg. Bei einer Inspektion im September 2014 wurde der Apotheker vom Amtsapotheker darauf hingewiesen, dass dies nicht den Anforderungen an den barrierefreien Zugang genüge, da sie „nur über die Stufe erreichbar sei und die Tür nicht automatisch öffne“. Der Apotheker solle „gewissenhaft“ prüfen, ob ein barrierefreier Zugang hergestellt werden könne, und sich zu diesem Zweck mit dem Amt für Verkehrsmanagement der Beklagten in Verbindung zu setzen.

So geschah es: Das Amt für Verkehrsmanagement gab rund ein Jahr später die Auskunft, es sei technisch möglich, den fraglichen Höhenunterschied im Bereich des Gehwegs zu überbrücken. Wegen vorhandener Kellerschächte müsse die Baumaßnahme noch mit dem Hauseigentümer abgestimmt werden. Dann passierte einige Jahre nichts. Erst im Juni 2018 führte der Amtsapotheker eine weitere Inspektion der Apotheke durch. Dabei erkundigte er sich auch, wie es um die Barrierefreiheit stehe. Der Kläger berichtete von einem ergebnislosen Gespräch bezüglich des barrierefreien Zugangs mit dem Verpächter.

Inspektionsbericht: Barrierefreier Zugang ist möglich und daher nötig

Im Sommer 2018 forderte die Behörde den Apotheker auf, bis Ende Januar 2019 einen barrierefreien Zugang herzustellen. In seinem Inspektionsbericht schrieb der Amtsapotheker: „Da entsprechend der Aussage vom Amt für Verkehrsmanagement es möglich ist, einen barrierefreien Zugang einzurichten, ist dieses auch umzusetzen.“

Im September 2018 erhob der Apotheker Klage gegen diese Anordnung im Inspektionsbericht. Vor Gericht erklärte er, es sei bereits fraglich, ob der Begriff „barrierefrei“ einen völlig stufen- und schwellenlosen Zugang erfordere oder ob geringe Höhenunterschiede noch als „barrierefrei“ bezeichnet werden könnten. Jedenfalls sei es aber unverhältnismäßig, ihm die Angleichung der Stufe aufzuerlegen. Der jetzige Zustand habe in der Praxis noch nie Probleme hervorgerufen. Derzeit habe er keinen Kunden, der auf den Rollstuhl angewiesen sei. 

Mobile Rampe und Funkklingel als mildere Maßnahme?

In der mündlichen Verhandlung räumte der klagende Apotheker allerdings auch ein, es sei davon auszugehen, dass der Ausgleich der Stufe durch Anhebung des Gehwegs – und eventuell des Bordsteins – baulich möglich sei. Dennoch: Die voraussichtlichen Kosten von circa 6.000 Euro für die Angleichung des Gehwegs und geschätzt 2.000 Euro für eine vorherige Vermessung stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen einer solchen Maßnahme. Er bot stattdessen an, eine Funkklingel im Eingangsbereich anzubringen und eine mobile Rampe vorzuhalten.

Behindertengleichstellungsgesetz konkretisiert Apothekenbetriebsordnung

Das Gericht konnte den Argumenten jedoch nicht folgen. Es entschied, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2a Satz 1 ApBetrO nicht erfüllt seien. Zunächst stellt es fest, dass diese Regelung, die im Juni 2012 in die Apothekenbetriebsordnung gefügt wurde, auch für Bestandsapotheken wie die des Klägers gilt. Zwar würden die Anforderungen an die barrierefreie Erreichbarkeit in der Verordnung nicht konkretisiert. Sie können demnach aber aus § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) abgeleitet werden, auf den die Begründung des Verordnungsentwurfs verweise. Danach sind bauliche Anlagen barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Nach der Begründung des ApBetrO-Entwurfs soll der Zugang so gestaltet sein, dass die Offizin von jedem Menschen, unabhängig von einer eventuell vorhandenen Behinderung, uneingeschränkt erreicht werden kann.

Und dies, so die Richter, sei bei einer Stufe in Höhe von 4,5 bis 5,5 Zentimeter nicht der Fall. Eine solche Stufe könne für auf einen Rollstuhl angewiesene Menschen, aber auch für Menschen mit anderen körperlichen Einschränkungen, ein Hindernis darstellen, das ohne Hilfe nicht zu überwinden ist.

Die Behörde habe auch ihr Ermessen richtig ausgeübt, das ihr § 69 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelgesetz für eine Anordnung gegenüber dem Beklagten eröffnet. Zwar handelt es sich bei § 4 Abs. 2a Satz 1 ApBetrO um eine „Soll“-Vorschrift. Damit seien Abweichungen von der grundsätzlich vorgeschriebenen Barrierefreiheit in atypischen Fällen zulässig. Daraus folge aber nicht, dass die Behörde nur in atypischen Ausnahmefällen davon absehen darf, eine bauliche Herstellung der Barrierefreiheit anzuordnen. Dabei sei auch zu beachten, dass § 4 Abs. 2a Satz 1 ApBetrO den Belangen von Menschen mit Behinderungen einen hohen Stellenwert einräumt. Diese seien in der Ermessensentscheidung mit den widerstreitenden Interessen des Inhabers der Apotheke abzuwägen. In der Gesamtschau kann das Gericht jedoch keinen Ermessensfehler der Behörde erkennen.

Zugang muss selbstständig möglich sein

Es hält die Anordnung auch nicht für unverhältnismäßig. Insbesondere stehe kein weniger belastendes Mittel zur Verfügung. Der Vorschlag des Klägers, eine mobile Rampe und eine Funkklingel vorzuhalten, sei gemessen am Normzweck nicht ebenso wirksam wie ein dauerhafter baulicher Ausgleich der Höhendifferenz. Es geht schließlich darum, einen selbstständigen Zugang ohne Hilfe zu gewährleisten. Unerheblich sei auch, dass der Apotheker mit Blick auf die Zusammensetzung seiner Kundschaft kein Bedürfnis nach einem barrierefreien Zugang sieht. Zumal nicht auszuschließen sei, dass potenzielle Kunden die Apotheke meiden, gerade weil sie zum Beispiel im Rollstuhl sitzen.

Auch die Kosten von rund 8.000,00 Euro für den Umbau hält das Gericht für zumutbar. Als Maßstab könne der Umsatz der Apotheke oder der Pachtzins herangezogen werden. Und gegen die hierzu von der Behörde vorgetragenen Einschätzungen hatte der Apotheker keine Einwände erhoben.

Gegen das Urteil kann der Apotheker noch die Zulassung der Berufung beantragen.

Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 20. Mai 2020, Az.: 16 K 7633/18



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

Barrierefrei

von Roland Mückschel am 12.06.2020 um 9:53 Uhr

Das muss aber für jede Institution mit Publikumsverkehr
gelten. Nicht nur für Apotheken.
Ansonsten ist diese Vorschrift mehr als fragwürdig und
nur Schikane.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Barrierefrei

von Michael Reinhold am 12.06.2020 um 12:07 Uhr

Das, was Sie schreiben, ist richtig.
Und barrierefrei bedeutet beispielsweise im Falle eines Bankinstituts nicht nur, dass das Gebäude mit dem Rollstuhl erreichbar sein muss (was anscheinend nicht mal dort verpflichtend ist).

Es bedeutet auch, dass sich der Geldautomat/Kotoauszugsdrucker in einer Höhe befindet, so dass er aus dem Rollstuhl bedienbar ist. Es bedeutet auch, dass ein Geldautomat auch von einer blinden Person bedienbar sein muss (Sprachausgabe o. ä.).

Es wäre besser gewesen, wenn man den Passus mit der Barrierefreiheit nicht einfach so in die ApoBetrOrdnung aufgenommen hätte, sondern beispielsweise Förderprogramme organisiert hätte a la: "Mach den Zugang zu Deinem Betrieb behindertengerecht und der Staat beteiligt sich daran mit XY % der Kosten."

So geht Inklusion.

Und Inklusion benötigen wir alle. Wir werden alle mal 70 Jahre (hoffentlich) und sind dann evtl. körperlich oder geistig eingeschränkt.

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