Österreich

Studie: Patienten profitieren nicht von OTC-Deregulierung

Remagen/Berlin - 10.01.2018, 17:00 Uhr

Laut einer aktuellen österreichischen Studie würden die Konsumenten von OTC-Medikamenten durch eine Deregulierung nicht bessergestellt werden. (Foto: Benjamin Nolte /stock.adobe.com)

Laut einer aktuellen österreichischen Studie würden die Konsumenten von OTC-Medikamenten durch eine Deregulierung nicht bessergestellt werden. (Foto: Benjamin Nolte /stock.adobe.com)


In Österreich drängt insbesondere die Drogeriekette dm seit Jahren auf eine Deregulierung des OTC-Marktes. Das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien hat jetzt im Auftrag des Österreichischen Apothekerverbandes eine Studie zum Vertrieb von OTC-Arzneimitteln erstellt. Anhand von Regulierungen aus liberalen Vergleichsländern resümiert das Gutachten, das der OTC-Verkauf an Tankstellen und Co. die Preise einerseits nicht senkt und Konsumenten auch nicht bessergestellt würden.   

Angesichts der jüngsten Bestrebungen in Österreich, das Apothekenpflicht-Prinzip für nicht-rezeptpflichtige Arzneimittel ins Wanken zu bringen, hat der österreichische Apothekerverband das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien damit beauftragt, den Vertrieb von nicht-rezeptpflichtigen Arzneimitteln (NVA) im internationalen Vergleich zu untersuchen. Im Fokus der Studie, die DAZ.online vorliegt, standen der Arzneimittelvertrieb in liberalisierten Märkten, wie Dänemark, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Großbritannien und den USA sowie die Auswirkungen der Deregulierung in diesen Ländern auf die Versorgung, die Preise, den Medikamentenkonsum und die Arzneimittelkompetenz der Bevölkerung. In diesem Zusammenhang wurden auch weitere Deregulierungsmaßnahmen wie die Aufhebung des Fremd-und Mehrbesitzverbotes von Apotheken auf den OTC-Markt unter die Lupe genommen.

Deregulierte und regulierte Märkte

Während die Arzneimittelmärkte in den USA oder in England seit jeher wenig reguliert sind, wurden in mehreren Ländern in Kontinentaleuropa erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten Reformmaßnahmen zur Deregulierung des Vertriebs von OTC-Arzneimitteln umgesetzt. Im Ergebnis dürfen in Dänemark und in Norwegen gewisse Präparate neben Apotheken auch in speziellen von Apotheken betriebenen Verkaufsstellen sowie in autorisierten Abgabestellen außerhalb des Apothekensektors vertrieben werden. In den Niederlanden dürfen bestimmte OTC-Medikamente unter Überwachung eines Drogisten in Drogerien bzw. Drogerieabteilungen in Supermärkten verkauft werden. Eine stärker eingeschränkte Auswahl ist außerdem in Supermärkten und Tankstellen erhältlich. Letzteres gilt auch in England. In den USA unterliegt der Verkauf von nicht-rezeptpflichtigen Arzneimitteln nach dem Studienbericht beinahe keinen Einschränkungen. Demgegenüber halten neben Österreich auch Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich und Spanien weiterhin an der Apothekenpflicht fest.

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Auswirkungen auf die Versorgungslandschaft

Wie dem neuen Gutachten zu entnehmen ist, haben die Deregulierungsmaßnahmen tendenziell zu einer Erhöhung der Anzahl an Verkaufsstellen geführt, allerdings nur in urbanen Räumen, während die Verfügbarkeit im ländlichen Raum kaum bzw. nicht zunahm. Das Ausmaß der Verlagerung des Vertriebs von den Apotheken zu anderen Verkaufsstellen sei in den betrachteten Ländern unterschiedlich. In Dänemark würden nach wie vor zwei Drittel der OTC-Arzneimittel in Apotheken verkauft, in Norwegen etwa die Hälfte. In Schweden hätten in einer Befragung gar drei Viertel der TeilnehmerInnen angegeben, diese weiterhin über die Apotheke zu beziehen. In den Niederlanden hingegen würden nur mehr 13 Prozent davon in Apotheken vertrieben. 

Fremd-und Mehrbesitz lässt Preisabsprachen befürchten

In einigen Ländern hätten überdies umfassende Deregulierungsmaßnahmen zu einer erhöhten Marktkonzentration geführt, so zum Beispiel in Norwegen und Schweden, wo die durchgeführten Reformen neben der Liberalisierung des OTC-Vertriebs auch die Besitzregelungen für Apotheken betrafen. In Norwegen habe dies zu einem hohen Maß an vertikaler und horizontaler Integration geführt. Als Konsequenz seien über 80 Prozent der Apotheken im Besitz einer der drei größten Großhandelsfirmen. Statt erhöhten Wettbewerbs sei es dort zu Marktstrukturen mit heterogenen Oligopolen gekommen. In Schweden hätten sich in Folge der Auflösung des staatlichen Apothekenmonopols ebenfalls nur wenige großen Apothekenketten gebildet. Permanente Kontrollen der Wettbewerbsbehörden im Hinblick auf potenzieller Preisabsprachen seien deshalb unumgänglich.

Kein Effekt auf die Preise von OTC-Arzneimitteln

Im Übrigen konnten die Autoren des Gutachtens in Folge von Deregulierungsmaßnahmen keine anhaltenden Senkungen der Preise für OTC-Arzneimittel beobachten, ein Befund, den sie nach eigenem Bekunden so nicht erwartet haben, denn die ökonomische Theorie sage ein Sinken der Preise aufgrund des erhöhten Wettbewerbs vorher. Vielmehr habe sich zum Beispiel in Dänemark sogar ein Preisanstieg bemerkbar gemacht, wobei die Preise in den Verkaufsstellen außerhalb des Apothekensektors im Schnitt niedriger lagen als in den Apotheken. 

Verdacht auf gesteigerten Konsum, aber keine Daten

Bezüglich der Auswirkungen von Deregulierungen auf den Konsum von OTC-Präparaten bzw. das Ausmaß von Fehleinname und Missbrauch trifft die Studie keine eindeutigen Aussagen. Zwar konnte in keinem der betrachteten Länder ein Anstieg im Konsum der Mittel festgestellt werden, der eindeutig auf die entsprechenden Deregulierungsmaßnahmen zurückzuführen wäre. Die empirische Literatur deute aber darauf hin, dass „Fehleinnahme und Missbrauch auch bei nicht-rezeptpflichtigen Mitteln in nicht zu vernachlässigendem Ausmaß vorliegen“ und dass ein Teil der Konsumenten nur ein mangelhaftes Wissen über die Risiken habe, schreiben die Verfasser des Gutachtens. Hinzu komme, dass auch eventuell sinkende Preise letztlich dazu führen könnten, dass die Menschen mehr und auch untrollierter OTC-Medikamente einnehmen. Empirische Beweise für diese klassischen ökonomischen Theorien gebe es allerdings nicht.

Wert der Beratung in Apotheken hängt von der Qualität ab

Während der Kauf von Arzneimitteln in der Apotheke zumindest die Möglichkeit einer Beratung durch eine Person mit entsprechendem Fachwissen böte, sei dies beim Kauf außerhalb von Apotheken oft nicht möglich, so wird weiter festgestellt. Tendenziell schätzten Konsumenten die Apotheken als vergleichsweise sichere Bezugsquelle von OTC-Arzneimitteln ein. In welchem Ausmaß die Beratung in Apotheken allerdings zur Vermeidung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei den Präparaten beitrage, sei bisher noch nicht empirisch untersucht worden. Hier dürfte deren Qualität ausschlaggebend sein.

Gleichbehandlung für alle in Sachen Beratung

Wolle der Gesetzgeber die Fachberatung als gesundheitspolitisches Ziel aufrechterhalten, so müsse die pharmazeutische Beratung bei einer Deregulierung des Vertriebs von OTC-Arzneimitteln auch den neuen Vertriebsformen gesetzlich vorgeschrieben werden, fordert das Gutachten. Sehe der Gesetzgeber diese Auflage als nicht notwendig an, so müsse er im Gegenzug den Kontrahierungszwang und die Beratungspflicht der Apotheken aufheben.

Andernfalls sei in relevantem Ausmaß mit Trittbrettfahrer-Verhalten der Konsumenten zu rechnen. Konsumenten ließen sich in der Apotheke kostenlos beraten, kauften das Arzneimittel dann jedoch nach dem „Beratungsdiebstahl“ bei einem anderen, möglicherweise günstigeren Anbieter (z.B. Supermarkt, Tankstelle).

Konsumenten nicht besser gestellt

Aufgrund der Ergebnisse der theoretischen und empirischen Analyse müsse ein deregulierter Markt der OTC-Distribution nicht notwendigerweise dazu führen, dass die Konsumenten damit besser gestellt würden, so ein Fazit der Autoren. Als Schlussfolgerung fordern sie deshalb vom österreichischen Gesetzgeber, ein etwaigen Verkauf von Arzneimitteln außerhalb von Apotheken restriktiv zu handhaben, sofern dieser angedacht werde.

Botschaft an die deutschen Honorar-Gutachter?

Als interessantes Zusatzargument für die Apothekenpflicht wird übrigens das Folgende angeführt: „Weiters kann die Apothekenpflicht auch insofern für Relevanz für die Arzneimittelversorgung sein, als die aus dem Verkauf von OTC-Arzneimitteln generierten Umsätze als Querfinanzierung von Nachtdiensten bzw. Randzeitenversorgung dienen.“ Dieser Satz thematisiert einen Komplex, den auch die Honorar-Gutachter vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) angeführt hatten: Im deutschen Honorar-Gutachten war es nämlich auch um die Querfinanzierung innerhalb der Apotheke gegangen.

Die Agentur-Mitarbeiter fordern darin, dass das Rx-Fixhonorar drastisch abgesenkt wird, weil die Apotheker damit unter anderem die OTC-Beratung mitfinanzieren. Das österreichische Institut stellt zwar auch eine Querfinanzierung innerhalb der Apotheke fest (hier geht es um die OTC-Umsätze, die etwa Nachtdienste mitfinanzieren). Allerdings kommen die Gutachter ganz im Gegenteil zu ihren deutschen Kollegen zu dem Schluss, dass die Einnahmen in der Apotheke bleiben sollen und diese Querfinanzierung durchaus sinnvoll sei.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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